Wie ein Meteoriteneinschlag in Zeitlupe
Die Fakten sind jedem bekannt: Der Klimawandel schreitet immer weiter voran. Und es besteht kein Zweifel daran, dass diese katastrophale Entwicklung maßgeblich vom Mensch verursacht wird. Dennoch kann sich die Politik nicht zu einem konsequenten Handeln gegen die Erderwärmung durchringen. t-online.de sprach mit dem Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, über die erschreckende Tatenlosigkeit der politisch Verantwortlichen - und über mögliche Auswege aus dem drohenden Desaster.
t-online.de: Warum geschieht so wenig von politischer Seite gegen die Klimaerwärmung? An fehlenden Informationen kann das ja eigentlich nicht liegen …
Prof. Hans Joachim Schellnhuber: Es gibt zwei Hauptgründe. Der eine ist die Natur unseres politischen Systems. Wir haben Nationalstaaten und keine Weltregierung. Die Erderwärmung aber ist ein globales Problem. Derzeit kann jedes Land die Verantwortung einfach einem anderen Land zuschieben. Dieses Verhalten steht der Lösung des Problems wohl dauerhaft im Weg.
Der andere Grund liegt im Wesen des einzelnen Menschen selbst. In unserer Angewohnheit, Probleme zu verdrängen, sie auszusitzen oder in die Zukunft zu verschieben. Klimaveränderung spüren wir vielleicht in gewissen Extremereignissen, die sich häufen, aber die tun all denen nicht weh, die nicht direkt betroffen sind. Das wirkt alles weit weg, räumlich oder zeitlich. Wenn man hört, der grönländische Eisschild schmilzt in 2000 Jahren, warum soll ich mich dann heute in irgendeiner Weise krummlegen?
Hat die Politik den Ernst der Lage nicht erkannt?
Der Klimawandel ist so etwas wie ein Meteoriteneinschlag in Zeitlupe, in Superzeitlupe sogar. Er vollzieht sich über viele Jahrzehnte. Wenn das Ganze innerhalb von zwei Jahren geschehen würde, wenn wir zum Beispiel wüssten, Grönland schmilzt innerhalb von zwei Jahren ab, dann würde die Weltgemeinschaft reagieren. So jedoch kommen die weit verbreitete Unfähigkeit zum langfristigen Denken, und die vielen nationalen Interessen zum Tragen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich manche Länder, wie etwa Russland, vom Klimawandel mittelfristig Vorteile versprechen.
Warum dieser zähe Kampf um klimafreundliche Maßnahmen?
Eigentlich geht es darum, wie die Weltwirtschaft in Zukunft aussehen wird. Und es weiß jeder, dass sie nicht auf fossile Brennstoffe aufgebaut sein kann. Momentan gibt es ein großes Ringen der alten Industrien, so wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurden, basierend auf Öl, Kohle, Gas, Uran. Ihnen stehen schon einzelne Vorläufer einer neuen Wirtschaftsform gegenüber. Dazu zählen etwa erneuerbare Energien oder auch Kreislaufwirtschaften. Dieses Ringen wird mit harten Bandagen ausgetragen.
Wenn ich jetzt Vorstandschef eines großen Energieversorgungsunternehmens wäre, dann würde ich auch versuchen, meinen Einfluss geltend zu machen, damit sich mein Geschäftsfeld sich möglichst nicht verändert. Aber im Interesse der Menschheit muss es sich verändern. Und eigentlich könnten auch diese alten Unternehmen davon profitieren, wenn sie sich neue Geschäftsmodelle erschließen.
Gibt es Szenarien für Alternativen?
Eine Vision ist die Methanisierung. Wind und Sonne fluktuieren natürlich stark, und ein zentrales Problem ist es, die Energie zu speichern bis sie gebraucht wird. Manchmal, wenn gar nicht viel Energie gebraucht wird, weht der Wind sehr stark. Diese überschüssige Energie könnte man nutzen, um Wasserstoff zu produzieren und daraus Methan zu entwickeln. Dabei ließe sich sogar noch CO2 aus Kraftwerksabgasen einsetzen. Die komplette Erdgas-Infrastruktur in Deutschland stünde für die Energieversorgung zur Verfügung. Das Speicherproblem wäre weitgehend gelöst.
Ein beliebtes Argument der Gegner einer konsequenten Veränderung ist die Drohung mit dem Verlust von Arbeitsplätzen…
Die erneuerbaren Energien funktionieren im Vergleich zu den großen Kohlekraftwerken und Kernreaktoren viel dezentraler. Kleine mittelständische Unternehmen würden sehr viele Möglichkeiten haben, um Gewinn zu schöpfen. Die Technik ist zum Teil arbeitsintensiv, da würden Arbeitsplätze entstehen. Das gilt auch für das Steigern der Energie-Effizienz, etwa wenn die Wärmedämmung von Wohnhäusern flächendeckend verbessert würde. Generell würde eine solche Transformation arbeitsmarktförderlich sein, das ist gar keine Frage.
Es geht auch gar nicht darum, gibt es mehr oder weniger Arbeitsplätze – es gibt neue Arbeitsplätze. Die sogenannten Besitzstandwahrer wollen natürlich ihr Revier verteidigen. Deswegen ist die Politik gefordert: Sie muss Strukturmaßnahmen ergreifen.
Wofür lohnt sich das bisweilen frustrierende Engagement fürs Klima?
Es geht vor allem um Generationengerechtigkeit. Das ist das Entscheidende. Ich habe einmal von der "Diktatur des Jetzt" gesprochen. Man plündert die Vergangenheit - wir verbrauchen heute in einem Jahr so viel Erdöl, wie sich in fünf Millionen Jahren gebildet hat. Das kann man nicht als nachhaltig bezeichnen. Wir zerstören aber auch gleichzeitig viele Optionen für kommende Generationen. Wenn man sich das vor Augen führt, erfasst einen schon die Scham.
Wenn wir nicht nur über Arbeitsplätze oder Wettbewerb reden, sondern auch über Verantwortung, für seine Mitmenschen und seine Nachkommen, dann kann man eigentlich gar nicht anders, als versuchen, das Klima stabil zu halten.