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Heinrich Heine: Wie seine Geschichte heute noch inspiriert


Geschichtsträchtige Begegnung
Er enthüllte die dunklen Seiten der Deutschen

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

16.09.2025Lesedauer: 5 Min.
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Heinrich Heine: Der deutsche Dichter hatte eine prominente Verehrerin. (Quelle: Sunny Celeste/dpa)
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Unser Kolumnist weilt im Süden Frankreichs. Und trifft dort einen deutschen Bekannten beziehungsweise einen bekannten Deutschen. Der erzählt eine abenteuerliche Geschichte.

Nanu, wir kennen uns doch? Vielleicht haben Sie so etwas auch schon erlebt: Sie sitzen in dieser reizenden Trattoria irgendwo in der Toskana, ein Geheimtipp aus dem Reiseführer, und plötzlich trauen Sie Ihren Augen nicht – zwei Tische weiter, die Familie mit den lärmenden Kindern, tatsächlich, die Müllers von nebenan. Oder, noch schlimmer, im 4-Sterne-Hideaway-Hotel auf Mallorca, abends am Grillbuffet, der Typ in den quietschbunten Bermudas, das ist er, Dr. Peinlich, Ihr Chef. Ihre Flucht aus dem Alltag ist gescheitert.

Es kann aber auch ein freudiges Wiedersehen sein, so wie bei mir. Ich treffe einen alten Bekannten im Süden Frankreichs, in der Provence. Er sitzt in einer Grünanlage in Toulon, den Kopf nach vorn geneigt, in der rechten Hand einen Stift, in der linken ein Blatt Papier mit Notizen. Mensch, Heinrich! Was machst du denn hier? Heinrich Heine, unser großer Dichter. Sie kennen ihn auch, mindestens zwei Zeilen von ihm: "Denk' ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht." Oppositionspolitiker im Bundestag lieben dieses Zitat.

Heine ist aus Stein, klar, er war ein Mann des 19. Jahrhunderts. Sein überlebensgroßes Denkmal im Jardin Frédéric Mistral der französischen Hafenstadt erzählt eine Geschichte von Krieg und Frieden, Flucht und Vertreibung, Liebe und Hass. Eine sehr deutsche und eine sehr europäische Geschichte.

Heinrich Heine war ein Linker. Ein guter Freund von Karl Marx. Auch Ferdinand Lassalle und Karl Liebknecht, die Väter der Sozialdemokratie, gehörten zu seinem Bekanntenkreis. Heine verließ Deutschland, weil seine Werke zensiert wurden. Er war ein politischer Schriftsteller. Außerdem schrieb er melancholische Gedichte, meist ging es um die unerwiderte Liebe zu irgendeiner Cousine. Oder um die Loreley: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin ..."

Er war ein Vorbild für die Kaiserin

Das Denkmal in Toulon hat eine Verehrerin in Auftrag gegeben, die auch Sie kennen: Elisabeth, Kaiserin von Österreich, alias Sissi, falls Sie spontan die Filmversion mit Romy Schneider im Kopf haben. Die Kaiserin dichtete selbst, Heine war ihr Vorbild. Als seine Heimatstadt Düsseldorf darüber diskutierte, ob sie ihrem Sohn zum 100. Geburtstag ein Denkmal errichten sollte, sagte sie ein großzügiges Sponsoring zu. In Düsseldorf gab es aber keine Mehrheit für Heine. Zu kritisch, ein vaterlandsloser Geselle, Jude.

Gut, dass Elisabeth sich gerade auf der griechischen Insel Korfu ein Ferienhaus bauen ließ – 130 Zimmer, wir sind schließlich nicht bei armen Leuten. Im Park war Platz für Heine, den ein dänischer Bildhauer aus Marmor schlug. Der Dichter blickte aufs Meer, die Kaiserin fühlte sich inspiriert. Elisabeth wurde bald darauf von einem italienischen Anarchisten erstochen (in die Sissi-Filmtrilogie passte das nicht rein – zu brutal). Und bei den Habsburgern lief es auch sonst nicht rund. Das Anwesen auf Korfu geriet in die Hände des deutschen Kaisers. Wilhelm II. verachtete den Dichter, der seinerseits die preußische Monarchie verachtete.

Heine zog nach Hamburg um. Heinrich Julius Campe, der Sohn seines Verlegers, erwarb die Statue für 10.000 Mark und bot sie der Stadt als Geschenk an. Die Hamburger wollten ihn aber so wenig wie die Düsseldorfer, er fristete ein Dasein in einem Gewerbehof, wurde von rechten Kulturkämpfern besudelt und verhöhnt. "Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen", hatte Heine 1823 geschrieben. 1823! Von Hitler konnte er nichts wissen. Heute ist dieses Zitat auf dem Bebelplatz in Berlin zu lesen, als Teil einer Kunstinstallation, die an die Bücherverbrennung der Nazis von 1933 erinnert.

Er wurde vergessen. Zum Glück

Nach Hitlers Machtergreifung gingen die wichtigsten deutschen Schriftsteller und Intellektuellen ins Exil: Thomas Mann, Heinrich und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt, Anna Seghers. Der Badeort Sanary-sur-Mer, ganz in der Nähe von Toulon, wurde zur Hauptstadt des deutschen Exils. Die Familie Campe beschloss, auch den steinernen Heine nach Frankreich zu schicken. 2.250 Kilogramm wiegt die Statue, sie wurde 1939 in einer Bretterkiste verstaut und mit dem Schiff von Korfu nach Marseille gebracht, von dort nach Toulon.

Der Zeitpunkt war unglücklich. Kurz darauf marschierten Hitlers Truppen durch Frankreich, sie besetzten Paris. Der Süden blieb zwar unbesetzt, aber auch die Provence war jetzt für die deutschen Exilanten kein sicherer Ort mehr. Einige von ihnen schafften es, auf abenteuerlichen Wegen über Spanien und Portugal nach Amerika zu kommen. Heine lagerte in einem Depot im Hafen von Toulon, er wurde vergessen. Zum Glück.

Erst mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Statue wieder entdeckt. Nun interessierten sich auch die Deutschen für ihren Dichter, aber die Stadt Toulon gab ihn nicht her. Sie ließ das Denkmal restaurieren und gab ihm einen angemessenen Platz mit Meerblick. Frankreich achtet Heinrich Heine, der in Paris lebte, als er noch kein Denkmal war. Begraben ist er auf dem Friedhof von Montmartre.

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Und die Deutschen? Heines Biograf Ludwig Marcuse – auch er war in Sanary im Exil – schreibt, der Kampf um Heine habe die niedrigsten Instinkte der Deutschen ans Licht gebracht. In seinem Werk stecke aber auch die Kraft, die besten deutschen Eigenschaften zu wecken.

Heinrich Heines Spuren in unserem Leben

Die niedrigsten Instinkte: Allen voran der Antisemitismus, der keine Erfindung der Nazis ist und der mit dem Ende ihrer Herrschaft nicht verschwunden ist. Dazu der Nationalismus, Heine sprach abschätzig vom Teutomanismus. "Wir verstehen uns bass, wir Germanen auf den Hass", so dichtete er gegen die reaktionäre Deutschtümelei seiner Zeit an. Ein Blick in Ihre Timeline bei Social Media zeigt, dass sich daran nicht viel geändert hat.

Die besten Eigenschaften der Deutschen: der Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit. Heine stand nicht im Dienste irgendeiner politischen Strömung. Für ihn zählte nur die Qualität des Werks, nicht die Gesinnung des Autors. Das war damals wie heute umstritten. Schon im 19. Jahrhundert wurde von Künstlern gefordert, sie müssten im Freiheitskampf Position beziehen. Heine widersetzte sich dem Druck der politischen Moralisten. In den Worten von heute: Er betrieb keinen Aktionismus, sondern Journalismus.

Ja, Journalismus. Heine war längst nicht nur der romantische Lyriker, als der er – zumindest in der alten Bundesrepublik – Generationen von Schülern nahegebracht wurde. Er schrieb über die Politik seiner Zeit, beißend kritisch, satirisch, polemisch. Er erklärte den Deutschen Frankreich und den Franzosen Deutschland. Zeitungen und Zeitschriften, damals die neuen Medien, nutzte er als Plattformen der Meinungsfreiheit. Das Feuilleton, die Kolumne: Das sind journalistische Formate, die auch auf den Dichter zurückgehen.

Deutschland hat ihn nie losgelassen

In unserer Alltagssprache hat er zahlreiche Spuren hinterlassen. Wenn wir von einem Fiasko sprechen, zitieren wir Heine, er hat den Begriff aus dem Französischen entnommen. Die Vorschusslorbeeren hat er erfunden. Und wenn Sie Politikern oder Managern vorwerfen, dass sie Wasser predigen, aber heimlich Wein trinken, dann stammt dieses Sprachbild aus Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen".

Also, es war mir eine Freude, diesen alten Bekannten getroffen zu haben. Er hat eine lange Reise hinter sich, durch Europa und durch die Geschichte des Kontinents. In Frankreich hat er seinen Ruhesitz gefunden. Aber Deutschland hat ihn nie losgelassen: "Ich hatte einst ein schönes Vaterland. Das küsste mich auf deutsch und sprach auf deutsch. Man glaubt es kaum, wie gut es klang, das Wort: 'Ich liebe dich.' Es war ein Traum." So träumt ein Patriot. Einer unserer Großen.

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