Giorgia Meloni Das hätte ihr keiner zugetraut

Was ist eigentlich mit Italien los? Keine Finanzkrise. Keine Regierungskrise. Keine Flüchtlingskrise. Puh, das klingt langweilig. Ist aber spannend, versprochen.
Unsere Medien haben gerade eine Sensation verpasst: Seit drei Jahren regiert Giorgia Meloni in Rom, so lange hat das in den vergangenen zwanzig Jahren kein Premierminister geschafft. Sie könnte die gesamte Wahlperiode überstehen. Das gab es seit dem frühen Silvio Berlusconi nicht mehr – damals, als er noch nicht so jung war wie in seiner letzten Amtszeit, also vor den vielen Operationen. In den Umfragen steht Meloni aktuell besser da als bei ihrem Wahlsieg 2022. Vielleicht wird sie 2027 wiedergewählt.
Giorgia Meloni, die Postfaschistin. So wurde sie tituliert, von ihren Gegnern und von den Medien, in Italien, in Deutschland, in Europa. Reaktionär, nationalistisch, europaskeptisch, rechts – diese Adjektive ordnete ihr die "Süddeutsche Zeitung" zu, alle in einem einzigen Kommentar. Die Krise der Demokratie habe mit ihrer Wahl einen neuen, dramatischen Punkt erreicht, las man im "Tagesspiegel". Von einem kriegerischen Nationalpopulismus sprach "El País" aus Madrid. Die damalige französische Premierministerin Élisabeth Borne versprach, darauf zu achten, dass in Italien die Menschenrechte eingehalten würden. Der deutsche Grüne Anton Hofreiter forderte, die EU müsse Rom notfalls die Gelder sperren.

Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche.
Also, wenn diese Frau in ihr viertes Amtsjahr geht, dann müsste das doch einen Aufschrei der Empörung wert sein. Es gibt ihn aber nicht, im Gegenteil.
An diese Bilder haben Sie sich inzwischen gewöhnt: Friedrich Merz begrüßt Meloni betont freundschaftlich, Emmanuel Macron herzt "Giorgia", Donald Trump erliegt ihrem Charme, mit Ursula von der Leyen zeigt sie sich als Duo. Das Nachrichtenportal "Politico" kürte Meloni Ende 2024 zur mächtigsten Persönlichkeit Europas. Meloni, die Postfaschistin? Die Inkarnation des Rechtspopulismus? Wie passt das alles zusammen?
Einen zweifelhaften Titel ist Italien los
Offen gesagt, gar nicht. Giorgia Meloni führt in Rom eine Koalition, deren Spektrum von mitte-rechts bis extrem rechts reicht. Aber ihre Politik verdient nicht das abwertende Attribut rechts, sie kommt klassisch konservativ daher.
Wirtschaftlich ist Italien unter Meloni: solide. Ja, Italien, solide. Jenes Italien, das seit Jahrzehnten als Risiko für die Stabilität des Euro galt, das Land mit den Schulden, immer hart an der Grenze der Zahlungsfähigkeit. Italien hat immer noch viel zu hohe Schulden, insgesamt 135 Prozent, gemessen an der Wirtschaftsleistung; 60 Prozent haben sich die EU-Länder als Grenze gesetzt. Aber in den drei Meloni-Jahren ist diese Kennzahl um sage und schreibe 20 Prozentpunkte gesunken. Die jährliche Neuverschuldung ist drastisch zurückgegangen, Italien nähert sich dem europäischen 3-Prozent-Ziel an. Das zu erreichen, galt bisher als Ding der Unmöglichkeit.
Den zweifelhaften Titel des kranken Manns in Europa hat Italien abgegeben – nein, nicht an Deutschland, auch wenn wir gerade bei den Schulden mächtig aufholen. Sondern an Frankreich. In Paris wechseln die Regierungen wie einst in Rom, Frankreich bekommt seine Staatsfinanzen nicht in den Griff, die Gläubiger verlangen bereits einen Risikoaufschlag auf Anleihen aus Paris.
Nicht nur das öffentliche Budget Italiens entwickelt sich positiv, auch der Arbeitsmarkt. Sechs Prozent Arbeitslose verzeichnet die Statistik, das ist sensationell niedrig. Nicht alles ist Melonis Verdienst. Italiens Aufschwung hat viel mit ihrem Vorgänger Mario Draghi zu tun, der die entscheidenden Weichen gestellt hat. Draghi war es auch, der dem von der Corona-Krise besonders gebeutelten Land einen fetten Anteil an den EU-Hilfen herausgehandelt hat, ein steuerlicher "Superbonus" für viele Italiener gehörte dazu. Die Menschen erleben gerade, dass massiv in Straßen, Brücken und Eisenbahnlinien investiert wird, mit EU-Geld. In Deutschland wird über die Investitionen noch geredet.
Der Kreml ist nicht Melonis Freund
Meloni pflegt zu Brüssel ein pragmatisches Verhältnis, ganz im Gegensatz zu Orbán in Ungarn, Fico in der Slowakei, Weidel in Deutschland oder Le Pen in Frankreich. Für die politische Rechte in Europa ist Brüssel das Problem. Für Meloni ist Brüssel Teil der Lösung.
Von den Rechtspopulisten anderer Länder unterscheidet sich die Italienerin auch außenpolitisch. Meloni ist nicht Putins Propagandatröte wie Alice Weidel. Sie leugnet nicht die Bedrohung, die von Russland ausgeht, wie Marine Le Pen. Sie steht zur Unterstützung der Ukraine. Melonis Italien versteht sich als integraler Bestandteil der Nato und des Westens. Sie pflegt die transatlantische Tradition Roms. Als einzige Regierungschefin der EU nahm sie an Trumps Amtseinführung teil, ohne durch peinliche Anbiederung an den US-Präsidenten aufzufallen.
Im Inneren hebt Meloni ihre Erfolge gegen die ungesteuerte Migration hervor: 2024 sind 60 Prozent weniger Menschen übers Mittelmeer gekommen als im Jahr zuvor. Möglich wurde das vor allem durch einen Migrationsdeal der EU mit Tunesien. Meloni versteht es, den Brüsseler Erfolg zu ihrem zu machen. Übrigens legt sie sogar in Migrationsfragen einen beachtlichen Pragmatismus an den Tag. Die Grenzen für die Einwanderung von Arbeitskräften hat ihre Regierung – entgegen früheren Ankündigungen – weit geöffnet. Italiens Landwirtschaft, der Tourismus, die Krankenhäuser sind darauf angewiesen.
Giorgia Meloni ist 48 Jahre alt, sie stammt aus einfachen Verhältnissen, hat nicht studiert, spricht eine verständliche Sprache. Sie vertritt ein römisch-katholisches Familienbild, selbst ist sie alleinerziehende Mutter einer Tochter. Sie steht für ein restriktives Abtreibungsrecht, hat aber die geltenden Regeln in Italien nicht angetastet. Sie ist gegen die Ehe unter Männern oder unter Frauen, äußert sich aber nicht abträglich über Minderheiten.
Meloni macht es anders als die AfD
Meloni legt Wert darauf, als "Il Presidente" des Ministerrats tituliert zu werden, als Präsident, nicht als Präsidentin. Es gehe um das Amt, sagt sie, nicht um die Person, die es bekleidet, schon gar nicht um deren Geschlecht. Aber klar, das ist eine symbolische Absage an die gendergerechte Sprache, die auch in Italien von den Linken propagiert wird.
Dass sie mit Symbolen umzugehen weiß, zeigte Meloni schon 2012, als sie ihrer Partei den Namen gab: Fratelli d'Italia, die Brüder Italiens. Mit diesen Worten beginnt die Nationalhymne ihres Landes.
Und die Sache mit dem Faschismus? 1996, mit 19 Jahren, hat sie in einem Interview gesagt, Mussolini sei ein guter Politiker gewesen, der beste der vergangenen 50 Jahre. Später sagte sie einmal, sie habe zum italienischen Faschismus ein unbeschwertes Verhältnis. Von dieser Haltung distanzierte sie sich in ihrer Regierungserklärung zum Amtsantritt. Mussolinis Rassengesetze von 1938 nannte sie eine Schande, die das italienische Volk für immer zu tragen habe: "Gräuel und Verbrechen, von wem auch immer begangen, verdienen keinerlei Rechtfertigung und werden nicht durch andere Gräuel und andere Verbrechen kompensiert." Der Duce ist nicht mehr Pate ihrer Politik.
Taugt diese Frau noch als Feindbild? Oder ist sie die sympathische Schwester Italiens geworden, noch dazu Europas Darling? Giorgia Meloni ist eine Rechte, die sich auf den Weg in die Mitte begeben hat. In eine neue Mitte, die nicht sozialdemokratisch und grün ist, sondern konservativ, in der populistische Untertöne nicht zu überhören sind. Diese Mitte gibt es auch in Deutschland, jedenfalls den Wahlergebnissen zufolge. Aber in Deutschland ist sie nicht regierungsfähig. Weil Weidel keine Meloni ist, weil die AfD es sich in der Ecke der Rechtsaußen-Opposition bequem macht.
Giorgia Meloni dagegen regiert seriös und erfolgreich. Ihre Gegner in Politik und Medien sind sprachlos, ihnen fehlt das Feindbild, der Faschismus. Wer hätte das gedacht, damals im Oktober 2022, als die Demokratie in Europa beinahe unterging?






