t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon


HomePolitikUwe Vorkötter: Elder Statesman

Junge Frauen als "Tradwives": Warum die Grünen hier schweigen


Islam in Deutschland
Diese Antwort dürfte überraschen

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

04.11.2025Lesedauer: 5 Min.
Franziska Brantner (l.) und Ricarda Lang: Kolumnist Uwe Vorkötter hätte gerne ein paar Antworten von den Grünen-Politikerinnen.Vergrößern des Bildes
Franziska Brantner (l.) und Ricarda Lang: Kolumnist Uwe Vorkötter hätte gerne ein paar Antworten von den Grünen-Politikerinnen. (Quelle: Bernd Weißbrod/dpa)
News folgen

Junge Frauen entdecken alte Rollenbilder neu: Küche, Kinder, Kirche. Emanzipation, nein danke. Wer sind diese neuen Hausfrauen? Achtung, Überraschung!

Kennen Sie Hannah Neeleman? Oder Nara Smith? Candy Jacob? Das sind Influencerinnen, im Internet sind sie Stars. Diese Frauen inszenieren sich als "Tradwives", als "traditional wives", frei übersetzt: Ehefrauen aus einer anderen Zeit. Im Netz führen sie ihren perfekten Alltag vor. Kinder und Küche spielen eine große Rolle und wie man seinem gestressten Mann den Abend schön macht. Sie sind hübsch und sittsam. Feminin, nicht feministisch.

Klar, dass sich grüne Feministinnen darüber aufregen. "Es geht nicht um Lifestyle, es geht um Frauenrechte", wettert Ricarda Lang. "Die Rückkehr zu alten Rollenmustern ist nicht harmlos", warnt Katrin Göring-Eckardt. Und Franziska Brantner, Bundesvorsitzende der Grünen, nimmt die politische Dimension des Privaten in den Blick: "Antifeminismus ist der Kitt der extremen Rechten."

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Ich stimme den grünen Frauen zu: Diese gesellschaftliche Retro-Bewegung verklärt die Vergangenheit, reproduziert längst überholte Rollenbilder, wirft die Frauen in die Abhängigkeit von ihrem Mann zurück. Eine Konterrevolution gegen die Emanzipation. Frauen haben allen Anlass, dagegen zu sein. Männer auch.

Allerdings habe ich gedacht, diese Traditionsfrauen gebe es nur im Internet, wo das Rollenspiel als Geschäftsmodell funktioniert. Oder kennen Sie junge Frauen, die wieder so leben wollen wie ihre Urgroßmütter, damals in den Fünfzigerjahren?

Liegt die Antwort im "Stadtbild"?

Es gibt sie. Das haben Wissenschaftlerinnen vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung herausgefunden. Sie teilen Frauen zwischen zwanzig und dreißig Jahren in drei Gruppen ein: erstens diejenigen, die eine gleichberechtigte Partnerschaft anstreben, mit oder ohne Kinder, mit Job, finanziell eigenständig. Zweitens diejenigen, die dieses Modell zwar bevorzugen, aber große praktische Probleme sehen: fehlende Kitas und Ganztagsschulen, familienfeindliche Arbeitszeiten, bräsige Partner. Und drittens die Tradwives; auf ihrer Prioritätenliste stehen Mutterschaft und Familie ganz oben, dann kommt lange nichts.

Was meinen Sie, wie groß der Anteil der dritten Gruppe in Deutschland ist? Antwort: ziemlich genau 20 Prozent. Die Autorinnen der Studie schreiben, "nur" 20 Prozent. Die meisten, 60 Prozent, gehören zur Gruppe 1, das ist die Ricarda-Lang-Gruppe. Aber sind 20 Prozent wenig? Bei der letzten Bundestagswahl haben 11 Prozent die Grünen gewählt. 20 Prozent haben AfD gewählt. Da hat niemand gesagt: nur 20 Prozent.

Jede fünfte junge Frau in Deutschland hängt also diesem antiquierten Gesellschaftsbild an. Wer sind diese Frauen? Die Frage wird in der Studie nicht direkt beantwortet. Aber es gibt Indizien. Eine Warnung, falls Sie zur politischen Community der grünen Feministinnen gehören: Das Ergebnis könnte Sie verstören.

Die Forscherinnen haben herausgefunden, dass vor allem zwei Eigenschaften die real existierenden Traditionalistinnen kennzeichnen: ein niedriges Bildungsniveau und eine ausgeprägte religiöse Orientierung. Auf die trendigen Influencerinnen passt das nicht; die sind gut ausgebildet, die Kirche ist für etliche von ihnen eine Eventlocation, Weihnachten eine Art Halloween mit Engeln. Die Erklärung für die 20 Prozent ist eher nicht im Internet zu finden, sondern – um mal den Bundeskanzler zu zitieren – in diesem Stadtbild. Sie können auch gern Ihre Töchter fragen, ob meine Vermutung plausibel ist. Oder Ihre Söhne.

Wulff sprach das Offensichtliche aus

Meine Vermutung: Veränderungen im Stadtbild gehen einher mit Veränderungen im Familienbild. Wer mit offenen Augen durch die Fußgängerzone geht, sieht diese "neuen" Familien: Er mit sorgfältig gestutztem Bart, wie ihn nur der Barber im Shop rasiert; Jeans und Sneaker, trainierte Muskeln. Seine junge Frau trägt die Abaya, hochgeschlossen, langärmelig, der Hijab bedeckt Haare, Hals und Schultern. Die Kinder werden im Bugaboo gefahren, da gibt es keinen Unterschied zwischen Mohammed und Maximilian.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das sind nicht die "Problemfälle", die Merz meint, also Leute, die keinen Aufenthaltsstatus haben, nicht arbeiten und sich nicht an unsere Regeln halten. Das sind Leute, die seit 2015 eingewandert sind, die sich ein besseres Leben in Deutschland aufbauen wollen. Eine Million Menschen sind aus Syrien gekommen, über 400.000 aus Afghanistan. Etwa 2,5 Millionen Menschen mit arabischen Wurzeln leben bei uns, insgesamt mehr als fünf Millionen Muslime.

Der Islam gehört zu Deutschland – das hat der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff bereits 2010 festgestellt. Angesichts der Zahlen ist das eine triviale Feststellung. Die "deutschen" Muslime sind mehr oder weniger religiös, wie Katholiken und Protestanten auch. Längst nicht jeder betet fünfmal täglich gen Mekka, am Freitag besucht nur eine Minderheit die Moschee. Aber während die christliche Religion an Einfluss auf Moral und Alltag der Gesellschaft dramatisch verloren hat, prägen die Regeln des Islam das Leben vieler Migranten, vor allem aus der arabischen Welt. Sie haben ihre Traditionen und ihre Wertvorstellungen mitgebracht.

Loading...
Loading...

Der Satz von Christian Wulff muss deshalb ergänzt werden: Der Islam gehört nicht nur zu Deutschland, er verändert Deutschland. Er etabliert ein Milieu in unserer Gesellschaft, in dem Emanzipation nicht nur ein Fremdwort ist, sondern auch als Sünde gilt. Ein Milieu, in dem der Mann bestimmt, die Frau im Hintergrund fürs Familiäre zuständig ist. Das hat nichts mit Islamismus zu tun. Mit mangelnder Integration? Eine heikle Frage. Unser Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit. Auch die Freiheit, nach den Regeln der Religion zu leben. Viele junge muslimische Frauen tun das augenscheinlich freiwillig. So wie die Influencerinnen im Internet ihr urgroßmütterliches Gesellschaftsbild freiwillig anpreisen.

Beredtes Schweigen

Bemerkenswert ist, was die grünen Frauen dazu sagen: nichts. Gegen die Tradwives im Netz machen sie mobil, erst recht gegen eine wie Candy Jacob, die sich als unterwürfige Hausfrau mit AfD-Wurzeln präsentiert. Sie sind auch zur Stelle, wenn es gegen den Kölner Kardinal Woelki oder andere reaktionäre katholische Würdenträger geht. Sie haben meine volle Unterstützung.

Aber warum schweigen sie, wenn im muslimischen Teil unserer Gesellschaft alle Werte, für die ihre Mütter gekämpft haben, wertlos sind? Wenn in diesem Teil der Gesellschaft das Leben als Feministin, das sie selbst leben, strikt abgelehnt wird? Sie kennen die Antwort: Weil das angeblich den Populisten in die Karten spielt, weil das islamophob sein könnte, anti-muslimisch, rassistisch. Da schauen sie lieber weg. Nach rechts.

Rechts von ihnen steht Friedrich Merz, der Stadtbild-Kanzler und Inbegriff der konservativen Wende. Dessen Frau ist Richterin und Direktorin am Amtsgericht Arnsberg. Eine emanzipierte Frau. Ganz weit rechts steht Alice Weidel, in deren Partei die meisten tatsächlich der angeblich guten alten Zeit nachtrauern. Weidel lebt in einer Partnerschaft mit einer Frau, noch dazu einer, die in Sri Lanka geboren wurde.

Ja, die Gesellschaft hat sich verändert, auch die konservative. Sogar die Rechten sind nicht allesamt in den Fünfzigerjahren stecken geblieben. Die Frauenbewegung hat ganze Arbeit geleistet, herzlichen Glückwunsch! Aber warum versagt sie jetzt? Ricarda Lang, Katrin Göring-Eckardt, Franziska Brantner: bitte antworten.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel


Bleiben Sie dran!
App StorePlay Store
Auf Facebook folgenAuf X folgenAuf Instagram folgenAuf YouTube folgenAuf Spotify folgen


Telekom