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Masernimpfung umgehen: Geschäftsmodell auf Kosten der Gesundheit


Undercover-Aufnahmen
Das tödliche Geschäft mit den Masern


Aktualisiert am 13.10.2025Lesedauer: 13 Min.
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Im Video: t-online-Reporter haben sich undercover bei der Informationsveranstaltung der Impfabzocker eingeschlichen. (Quelle: t-online)
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Die Masern sind in Deutschland längst nicht besiegt. Immer wieder kommt es zu Ausbrüchen, auch mit Toten. Das Masernschutzgesetz sollte die Risiken eindämmen. Doch manche haben in seinem Windschatten ein Geschäftsfeld entdeckt.

Dirk S. wirkt überzeugt von dem, was er tut. Er trägt ein kariertes Hemd, eine blaue Jeans. Mit großen Schritten wandert er durch den Raum, während er redet. Vorn auf der Leinwand ist seine Präsentation zu sehen: "Impfdilemma" steht auf der Folie. Und: "Vertraulichkeit. Keine öffentliche Veranstaltung." S. weiß, dass sein Vortrag nicht überall auf Gegenliebe stößt, er fühlt sich von Kritikern beobachtet. Es ist Mitte Juni dieses Jahres.

Mit fester, lauter Stimme spricht S. seine Zuhörer direkt an. Anfangs sind es 25, im Laufe des Abends finden sich gut 50 Menschen im Festsaal eines Dorfkrugs in der Nähe von Braunschweig ein. Es sind Mütter mit Säuglingen, Rentner, mittelalte Männer und Frauen. Dirk S. will wissen, mit wem er es zu tun hat. Er fragt, ob Ärzte im Raum seien: ja, eine Zahnärztin und ein Hausarzt. "Hebammen?", keine Meldung. "Heilpraktiker?", wieder nichts. S. fragt auch nach Vertretern von Parteien. Die Veranstaltung ist von der Partei "Die Basis" organisiert und einige Hände gehen in die Höhe.

"Journalisten hier?"

Die Fragen haben offenbar noch einen tieferen Sinn. Dirk S. sorgt schließlich für Lacher im Publikum: "Sind Vertreter von Behörden hier oder vielleicht Journalisten?" Keine Meldung. Die zwei t-online-Reporter heben nicht die Hand, schon auf der ersten Folie der Präsentation stand: Keine Filmaufnahmen erlaubt, keine Fotos. Man will hier unter sich sein. t-online dreht trotzdem mit drei versteckten Kameras. Verdeckte Tonaufnahmen verbietet das deutsche Strafrecht, deshalb basieren die hier verwendeten Zitate auf Gedächtnisprotokollen, die direkt nach der Veranstaltung erstellt wurden.

Dirk S. ist ein selbst ernannter Impfexperte. Er berät und informiert Menschen, die Angst vor Impfungen haben oder aus anderen Gründen dagegen sind. Den ganzen Abend hindurch wird von der "Impfpflicht" gesprochen und wie Eltern sie umgehen können. Kinder, die eine öffentliche Einrichtung wie Kitas oder Schulen besuchen, müssen gegen Masern geimpft sein oder eine vorangegangene Infektion nachweisen. So steht es im Masernschutzgesetz. Und das empfinden die Menschen hier als Impfpflicht.

Im Laufe des Abends wird Dirk S. das Publikum fragen, ob schon mal jemand Bußgelder bezahlen musste, wie hoch die Strafen waren und auch, ob Impfschäden im Bekannten- oder Familienkreis bekannt seien. Er wird ihnen Beratung anbieten, gegen Honorar. Um dabei zu helfen, die eigenen Kinder möglichst nicht impfen lassen zu müssen. Später werden auch noch Abo-Modelle angeboten, für tiefergehende Fragen. Schon die Eintrittskarte für diesen Abend hat 15 Euro gekostet. Das Geschäftsmodell von Dirk S. basiert auf der Angst seiner Zuhörer.

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Seltener Einblick in die Szene

Die Veranstaltung im Dorfkrug gewährt einen seltenen Einblick in eine wenig beachtete Szene von Geschäftemachern rund um die Impfskepsis. Dabei können Maserninfektionen tödlich verlaufen. In Deutschland ist die Krankheit längst nicht flächendeckend eingedämmt, regelmäßig gibt es Ausbrüche mit teils Hunderten Infektionen und auch Toten. Eine der Ursachen ist eine zu geringe Impfquote, etwa bei Kleinkindern im Alter von 15 Monaten, wie aktuelle Daten des Robert Koch-Instituts zeigen. Das 2019 verabschiedete Masernschutzgesetz soll die Risiken in Kindertagesstätten, Schulen und Gemeinschaftseinrichtungen reduzieren. Und auf lange Sicht tut es das auch.

Allerdings arbeiten Scharlatane dagegen an. Denn in verschwiegenen Kreisen hat sich für sie seitdem ein ganzes Geschäftsfeld eröffnet. Es spielt mit dem Leben der Impfskeptiker, ihrer Kinder und anderer Ungeimpfter. Und zugleich bekommt die Szene Auftrieb durch die aktuelle US-Regierung. Deren Gesundheitsminister ist selbst Impfskeptiker und befeuert seit Monaten mit Desinformation die Gefahr.

Tod durch Masern

Aliana war sechs, als sie starb, Micha war 14, Natalie 13. Zeitungen meldeten jeweils: "Kind stirbt an Spätfolgen der Masern". Seltener meldeten sie, dass die Kinder ein jahrelanges Leiden hinter sich hatten. Dass ihre Eltern kaum hoffen konnten. Die seltene SSPE (Subakute sklerosierende Panenzephalitis) endet tödlich. Immer. Und lässt in Deutschland Kinder sterben, die bis zum Ausbruch gesund schienen.

Die Masernviren hatten Alianas, Michas und Natalies Gehirne 1999 befallen, als sie noch Babys waren. Angesteckt hatten sie sich wie drei weitere Kinder in einer Kinderarztpraxis in Bad Salzuflen. Ein elfjähriger Junge, bei dem die Krankheit noch nicht ausgebrochen war, hatte sie übertragen. Seine Eltern hatten die Impfung abgelehnt.

Dabei sind die Viren vor allem für Säuglinge und Kleinkinder äußerst gefährlich, nicht nur in den Spätfolgen. Nur anderthalb Jahre alt wurde ein Junge, der 2015 in Berlin nach nur kurzer Infektion starb. Damals grassierten die Masern in der Hauptstadt. Hunderte Fälle wurden gemeldet. Schulen und Kitas schlossen. Behörden und Leitungen wollten damit auch die Eltern schützen. Denn auch viele Erwachsene sind in Deutschland nicht vor Masern geschützt.

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Wer ist wie geimpft?

Viele in den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren geborene Eltern wurden als Kinder nie ausreichend geimpft und sind bis heute nicht immun, sofern sie die Krankheit nicht durchlaufen haben. Manche wissen das und halten es nicht für gefährlich, andere wissen es nicht, weil womöglich Impfausweise verloren gegangen sind und sie sich nicht erinnern können. Dabei führen die Viren bei Erwachsenen noch häufiger zu schwerwiegenden Komplikationen. 2019 starb in Hildesheim eine fünffache Mutter. Ihre Kinder, damals 4, 12, 13, 14 und 16, waren ebenfalls alle ungeimpft.

Die Umsetzung des Masernschutzgesetzes stellt die Gesundheitsämter zudem vor Herausforderungen, wie vor Kurzem ein Forschungsprojekt des Robert Koch-Instituts auf Grundlage von Befragungen in Gesundheitsämtern zeigte. Die Corona-Pandemie habe zu erheblichen Verzögerungen geführt. Der Bearbeitungsaufwand, um zu überprüfen, ob Kinder in öffentlichen Einrichtungen geimpft sind, sei wegen der fehlenden Digitalisierung groß, die Zuständigkeit anfangs oft unklar gewesen.

Probleme und Erfolge

"Impfgegnerinnen und Impfgegner, so beschrieben die Gesundheitsämter, fänden immer neue Wege, Impfungen zu verzögern oder zu umgehen", heißt es im Epidemiologischen Bulletin. In einem Fall im Landkreis Merzig-Wadern waren demnach "über 20 Kontakte zwischen Gesundheitsamt und Eltern sowie den beteiligten niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten" notwendig um Probleme zu klären – und das über einen Zeitraum von fast anderthalb Jahren.

Gleichwohl verzeichnete das Masernschutzgesetz auch Erfolge: Von 2019 bis 2023 stieg die Impfquote unter 24 Monate alten Kindern um sieben Punkte auf 77 Prozent, bei Sechsjährigen von 89 auf 92 Prozent. In einigen Landkreisen, das zeigen von t-online abgefragte Daten in den Bundesländern, stiegen die Masern-Impfquoten bei Schuleingangsuntersuchungen in den vergangenen Jahren zum Teil drastisch an.

Video | Die Folien zeigen, welche Möglichkeiten der Kontraindikation Dirk S. sieht.
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Im Braunschweiger Dorfkrug wird das womöglich nicht als Erfolg gesehen. Es meldet sich an jenem Abend im Juni der Organisator der Veranstaltung zu Wort, Klaus Sauerland von der Partei "Die Basis". Seine Schwester sei an der Masernimpfung gestorben, sagt er mit belegter Stimme. "Wie das?", fragt Dirk S. "Na, an Leukämie", antwortet er. S. nickt nur zustimmend. Den angeblichen Zusammenhang zwischen Leukämie und Impfung lässt er unwidersprochen stehen.

Dirk S. tourt mit seinem Vortrag durch ganz Deutschland. Iserlohn, Hamburg, Berlin – als Impfgegner und selbst ernannter Aufklärer. "Was bedeutet die Masern-Impfpflicht wirklich? Welche Rechte haben Eltern & Schuler? (sic!) Wie steht es um die Entscheidungsfreiheit?" So hatte "Die Basis" für die Veranstaltung in der Nähe von Braunschweig geworben.

S. arbeitete eigenen Angaben zufolge über 20 Jahre in der chemisch-pharmazeutischen Industrie, unter anderem als Geschäftsführer zweier Auslandsgesellschaften, seit 2011 engagiert er sich im "alternativen Gesundheitsbereich". Heute lebe er im Ausland, in Tschechien und coache europaweit Eltern und Arbeitnehmer, die sich von der vermeintlichen "Impfnötigung" betroffen fühlen, erklärt er auf seiner Homepage.

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Mehr als jeder Zehnte skeptisch

Etwa zehn bis zwölf Prozent aller Eltern in Deutschland lehnen die Nachweispflicht für die Masernimpfung ab oder sehen sie eher ablehnend. Das zeigen Befragungen des Robert Koch-Instituts von 4.863 Eltern, darunter 3.126 Müttern. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin "BMC Public Health" veröffentlicht. Die ablehnende Haltung dieser kleinen Gruppe nahm auch über insgesamt sechs Befragungen der Menschen in einem Zeitraum von 20 Monaten seit September 2020 nicht ab. Es zeigte sich zudem: "Je mehr sich eine Person ärgerte, umso eher wurden andere freiwillige Impfungen der Kinder ausgelassen – ein Warnsignal". Eine Pflicht kann also auch gegenteilige Folgen haben, so die Analysen des Robert Koch-Instituts.

Gegenüber der Vor-Corona-Zeit ist das Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen zudem gesunken, wie eine Auswertung des "Global Listenings Projects" zeigt, das unter anderem von der Gates Foundation unterstützt wird. In Deutschland, wo das Vertrauen in die Sicherheit von Impfstoffen im Zeitraum 2015 bis 2019 besonders hoch war, ist 2023 der Anteil der völlig Überzeugten um 18 Prozent zurückgegangen. Am deutlichsten war der Rückgang in der Gruppe der 25- bis 44-Jährigen, also im Alter, in dem Eltern ihre Kinder impfen lassen. Insgesamt fanden 75 Prozent der rund 1.000 Befragten in Deutschland Impfungen wichtig, 71 Prozent hielten sie zudem für sicher.

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Dirk S. stellt in seinem Vortrag rechtliche Inhalte vor. Was ist das Masernschutzgesetz? Wo hat es Unschärfen? Wie kann man mit diesen Unschärfen als Impfgegner arbeiten? Und: Wie schafft man es im konkreten Fall, seine Kinder vor der Masernimpfung "zu schützen"? Sobald er über Kinderärzte spricht, spielt Dirk S. deren angeblich aggressives Verhalten nach. Seine Stimme wird dann lauter, er tritt auf das Publikum zu und macht aggressive Handbewegungen, zeigt mit Fingern auf Menschen oder ballt die Faust.

Ärzte zu Attesten drängen

"Sie MÜSSEN Ihr Kind impfen", "Es passiert schon nichts" und "Wollen Sie Ihrem Kind etwa schaden?" Sätze, die S. den fiktiven Kinderärzten in den Mund legt. Er zählt auch Nebenwirkungen aus Beipackzetteln auf, an denen Kinder nach einer Masernimpfung schon gestorben seien. Ohne einzuordnen, dass dies in äußerst seltenen Fällen passiert und auch nur, wenn es unerkannte Vorerkrankungen gibt. Wichtig ist ihm dagegen zu sagen: Er kenne eine Möglichkeit, die Ärzte in ihre Schranken zu weisen. Sie dazu zu bringen, ein Attest zu formulieren – damit die Kinder vor der Impfung "geschützt" würden. Doch das hat seinen Preis, wie sich im Verlauf des Vortrages zeigt.

Die Kinder zu "verteidigen": Das ist das zentrale Motiv der Veranstaltung in der Nähe von Braunschweig. Genau das predigt der heutige US-Gesundheitsminister und Impfgegner Robert F. Kennedy seit Jahren. Zuletzt entließ er alle 17 Mitglieder des Impfberatungsausschusses der Gesundheitsbehörde Center for Disease Control and Prevention und ersetzte sie teilweise durch überzeugte Impfgegner. Sein neues Gremium hat eine geänderte Impfempfehlung für Kleinkinder beschlossen. Auch in Deutschland hat Kennedy seit Jahren Anhänger, inzwischen ist er zu einer Art Ikone der Impfgegner geworden.

Rolle des US-Ministers

Als sich im Herbst 2019 die Nachweispflicht für die Masernimpfung abzeichnete und ihre Gegner am Brandenburger Tor gegen sie mobil machten, hingen seine Fotos an der Bühne. Später reiste er trotz rigider Corona-Reisebeschränkungen in die Bundesrepublik ein und machte dafür mithilfe seiner Anti-Impf-Kampagne "Children's Health Defense" eine Ausnahme von den Quarantäneregeln für "Verantwortliche international tätiger Organisationen" geltend. Er gründete damals einen europäischen Ableger seiner Anti-Impf-Lobbygruppe. Kennedy wurde zudem als Hauptredner bei der größten Demo der "Querdenken"-Bewegung an der Berliner Siegessäule gefeiert.

Seine zentrale Botschaft: Nicht nur die Impfung gegen Corona gefährde Kinder, sondern auch andere wie die gegen Masern. Und dagegen müsse etwas getan werden. Nicht erst seitdem, aber seitdem verstärkt, versuchen Impfgegner, staatliche Vorgaben zum Gesundheitsschutz zu umgehen. Dabei spielt die sogenannte "Kontraindikation" eine gewichtige Rolle.

Im Braunschweiger Dorfkrug verwendet Dirk S. viel Zeit auf das Stichwort. Denn tatsächlich gibt es gesundheitliche Gründe, die gegen eine Impfung sprechen können, etwa wenn sie für die betreffende Person ein erhöhtes Risiko für eine Schädigung mit sich bringt. Zu den dauerhaften Kontraindikationen zählt vor allem ein stark geschwächtes Immunsystem oder eine bekannte schwere Allergie gegen Bestandteile des Impfstoffs.

Deshalb sagt die Ärztin Anne Marcic, Sprecherin für Infektionsschutz in der Deutschen Gesellschaft für Öffentliches Gesundheitswesen (DGÖD), des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BVÖGD) und selbst Leiterin des Infektionsschutzes eines norddeutschen Gesundheitsamtes: "Weil es diese Menschen gibt, die nicht geimpft werden können, ist es umso wichtiger, die anderen möglichst vollständig zu impfen." 95 Prozent ist dafür der Zielwert, um den Gemeinschaftsschutz zu erreichen. Als vorübergehende Gründe, die eine Impfung lediglich aufschieben, gelten eine akute, fieberhafte Erkrankung sowie eine bestehende Schwangerschaft.

In seinem Vortrag rät Dirk S. deswegen den Eltern dazu, ein "doppeltes Spiel" zu spielen. Den Anschein zu erwecken, dass sie die Masernimpfung prinzipiell für sinnvoll halten. "Ich bin für die Masernimpfung", sollten sie sagen. "Aber nicht für mein Kind!" Sie sollten mit einem vorgefertigten Brief beim Arzt vorsprechen. Darin sollten sie gezielt alle möglichen Kontraindikationen für ihr Kind ansprechen.

Argumente gegen die Behörden

Wenn sie selbst oder ein Verwandter schon einmal eine Reaktion auf eine Impfung gezeigt hätten, könne das den Arzt umstimmen, referiert S. im Dorfkrug. Ganze 47 Argumente, die man gegenüber Behörden vorbringen könne, führt eine Folie auf, die er präsentiert. Und der Brief werde die "Beweislast" dem Arzt zuschieben. Der werde wegen der Sorge um eine persönliche Haftung dann eher ein Attest ausstellen.

Dirk S. ist nicht der Einzige, der versucht, mit der Angst der Menschen Geld zu machen. Eltern, die den Weg zu ihm nicht über Veranstaltungen finden, googeln vielleicht im Internet nach Auswegen – und landen dann etwa auf einer Seite, auf der sie für 59 Euro und "wenig Aufwand" die vermeintlichen Papiere erhalten sollen, mit der die Impfung abgeblockt werden könne.

Ohne Kontakt zum Arzt wird etwa eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung erstellt, weil eine angebliche medizinische Kontraindikation gegen die Masernimpfung vorliege. Hinter solchen Nachweisen steckt oftmals der Unternehmer Markus Böning, der seit der Coronazeit diverse vergleichbare Seiten erstellt hat. Dort konnten gegen Bezahlung unterschiedliche Dokumente angefordert werden.

  • Gegen Maskentragen verkaufte er "Schwerhörigenausweise" für 14,99 Euro.
  • Negative Coronatest-Bescheinigungen als Selbsttester gab es für 1,99 Euro.
  • Um die Corona-Impfung zu umgehen, bot er "vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigungen" an, für 17,49 Euro.

Ein ähnliches Konzept verfolgt die Homepage "Masern-Impfblocker". Hier wird ein Komplettpaket für Impfgegner angeboten. Im Kleingedruckten mit dem absichernden Hinweis: "Für Vollständigkeit, rechtliche Wirksamkeit oder Erfolg wird keine Haftung übernommen." Trotzdem sollen Interessierte hier 59 Euro bezahlen, damit sie um eine Masernimpfung herumkommen. Vor dem Angebot aus dem Netz warnt deshalb auch der Verein Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung, der zumindest angibt, Impfungen nicht grundsätzlich abzulehnen.

Auch das Geschäftsmodell von Dirk S. basiert auf mehr als nur seinen Vorträgen. Die Besucher, die bereits 15 Euro Eintritt für die Veranstaltung im Dorfkrug bezahlt haben, erfahren dort, dass es weitere, wichtige Informationen gibt, für die sie allerdings noch mehr bezahlen müssten. Dirk S. spricht in diesem Zusammenhang von einem "Inner Circle". Was nach einem verschwörerischen Geheimbund klingt, ist ein Online-Portal: Der Zugang kostet 37 Euro. Einmalig? Erst auf Nachfrage eines Gastes wird klar: Es ist der Preis für ein monatliches Abo. t-online hat einen Einblick in diesen "Inner Circle" bekommen.

Im Preis inbegriffen sind mehr als 260 Lektionen und Videos, die meisten hat S. in seinem Arbeitszimmer vor dem Rechner produziert. Die Titel lauten: "Erfolgreich in Kita geklagt", "Impfkritische Studie: Neurologische Störungen nach Impfungen starten", "Arztgespräch: Ausflüchte, Einwände, Vorwände", "Tipps zur Attestverteidigung", "Bitte nennen Sie uns einen Impfarzt!", "Hilfe, ich hab gar keinen Nachweis", "Toxische Inhaltsstoffe zur Attestverteidigung".

Und viele mehr. Wer mit Dirk S. persönlich sprechen möchte, direkte Beratung benötigt, der wird wieder zur Kasse gebeten. Denn nach einem halbstündigen Einführungsgespräch rechnet er "auf Honorarbasis" ab. Der "Inner Circle" biete "Hilfe zur Selbsthilfe", sagt er. Es entsteht der Eindruck, dass seine Vorträge wie im Dorfkrug eigentlich Verkaufsveranstaltungen sind.

Die Dokumente, die im "Inner Circle" angeboten werden, stammen aus unterschiedlichen Zeiträumen. Manche sind von 2020, andere ganz aktuell. Die Sammlung wirkt ungeordnet, wie ein Baukasten für jene, die sich einer "Impfnötigung" ausgesetzt sehen und ihre Kinder vor der Masernimpfung "schützen" wollen.

In den meisten Dokumenten geht es darum, eine medizinische Begründung für eine "Kontraindikation" zu konstruieren. So findet sich unter anderem eine vorgefertigte Liste mit dem Titel "Publikationen und Studien zu Impfschäden am Auge". Darin stehen wissenschaftliche Artikel über Augenentzündungen oder Netzhautschäden nach Impfungen direkt neben Links zu einschlägigen Seiten wie "impfen-nein-danke.de".

Anti-Impf-Szene

Einseitige Studien und Einzelfallberichte ohne wissenschaftlichen Kontext werden aneinandergereiht, um den Anschein einer erdrückenden Beweislast zu erzeugen. Quellen aus der Anti-Impf-Szene werden mit seriösen Publikationen vermischt, um Glaubwürdigkeit zu simulieren. Diese Zusammenstellungen liefern das argumentative Rüstzeug, mit dem Eltern bei Ärzten vorstellig werden können, um eine für die Impfbefreiung notwendige medizinische Kontraindikation attestiert zu bekommen.

Gezeigt wird auch, wie juristisch Druck ausgeübt werden kann, etwa mithilfe des Datenschutzrechts. Schulen und Kindertagesstätten wird in den zur Verfügung gestellten Dokumenten mit horrenden Bußgeldern wegen Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gedroht, sollten sie ein zweifelhaftes Attest an das Gesundheitsamt melden.

Der "Inner Circle" ist aber nicht nur eine Sammlung von Videos und Dokumenten. Immer wieder werden Webinare angeboten, in denen Dirk S. aktuelle Entwicklungen schildert und seine Nutzer zu Wort kommen lässt. Dort verbreitet er auch Desinformationen.

Hilfe nicht kostenlos

Ohnehin erweckt Dirk S. den Eindruck, dass seine Seminare Teil einer Maschinerie sind. Denn der Wust aus Dokumenten, Gerichtsentscheidungen und auch stundenlangen Online-Seminaren ist ohne Anleitung schwer zu durchdringen. So erwähnt Dirk S. wiederholt, dass sich die Menschen aus seinem "Inner Circle" bei konkreten Problemen direkt an ihn wenden sollen. Er werde dann helfen. Doch diese Hilfe ist nicht kostenlos. Auf eine verdeckte Anfrage von t-online nennt Dirk S. die Preise: 50 Euro für die angefangene halbe Stunde Beratung. Hier wird also mit der Angst der meist jungen Eltern gespielt und Geld verdient.

Video | Die Hilfe von Dirk S. ist teuer. Ein Abomodell plus mögliche Zusatzkosten.
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Im Dorfkrug weist Dirk S. auch darauf hin, dass Behörden häufig Bußgelder gegen Impfgegner verhängten. Eine Frau vor Ort bestätigt das. Sie spricht davon, dass sie 1.000 Euro zahlen solle, weil sie sich gegen die Impfung wehre.

Bußgelder als Strafe

Rechtlich ist es für die Behörden möglich, Bußgelder zu verhängen. Sogar die Höhe der Bußgelder können sie relativ frei bestimmen. Ein bundesweiter Trend, wie damit umgegangen wird, ist nicht erkennbar. Zum einen wird nicht überall die Zahl der Bußgelder statistisch erhoben. Zum anderen gibt es dort, wo Zahlen gesammelt werden, aber auch regional gegenläufige Trends. In Niedersachsen etwa waren es bei einer Abfrage des Gesundheitsministeriums unter den Kreisen, kreisfreien Städten und der Region Hannover in den ersten acht Monaten dieses Jahres mit 3.066 Bußgeldverfahren etwa so viele wie im Jahr 2023 insgesamt.

Manche Gesundheitsämter leiten auch gar keine Bußgeldverfahren ein. Offenbar gibt es Behörden, in denen es die interne Anweisung gibt, offensichtlich gefälschte Bescheinigungen grundsätzlich nicht anzuzweifeln. Das ergaben gezielte, ausführliche Befragungen des Robert Koch-Instituts. Für Infektionsschutzexpertin Anne Marcic vom BVÖGD ist ein unterschiedliches Vorgehen der Behörden ein Zeichen dafür, dass nach individueller Sachlage entschieden werde und nicht pauschal. "Gesundheitsämter mit wenigen Verweigerern können es sich leisten, fehlende Nachweise nicht mit der letzten Konsequenz zu verfolgen", sagt Marcic, das schone Ressourcen. Es könne zudem sinnvoller sein, in empathischen Beratungsgesprächen Skeptiker zu überzeugen.

Dirk S. reagiert auf Anfrage

Der Berater Dirk S. nutzt offenbar aus, dass die Behörden manchmal nachlässig sind. Auf acht Fragen, die t-online Dirk S. zu seiner Praxis stellt, hat er mit einem sechsseitigen Antwortschreiben reagiert. Darin weist S. darauf hin, selbst angeblich Opfer eines Impfschadens zu sein. Nur eine Notoperation habe ihn nach einer schweren Hirnhautentzündung infolge einer Fünffachimpfung gerettet. Deshalb habe er ein eigenes Interesse. In seiner Antwort geht er auch auf die Kontraindikationen ein, die jeden berechtigten, sich nicht impfen zu lassen. Außerdem wolle er mit "Nachdruck darauf hinweisen", dass sein Vortrag nicht "auf 'die Umgehung einer gesetzlichen Pflicht'" ziele. "Jeder, der den Vortrag gehört hat, konnte sich von der Ausgewogenheit, Unvoreingenommenheit und Ergebnisoffenheit meiner Herangehensweise überzeugen", so Dirk S. Zu den Kosten seiner Angebote schreibt er: "Ich bitte um Verständnis, dass Fragen, die die Gestaltung meiner Geschäftskonditionen betreffen, unbeantwortet bleiben müssen."

Auf die Frage, warum er nicht eingeordnet habe, dass Leukämie nach einer Impfung äußerst selten ist beziehungsweise in Studien noch nicht nachgewiesen werden konnte, antwortet S., dass diese Nebenwirkungen in der Fachinformation der Impfungen stehen. Sozusagen in einer Art Beipackzettel. Was Dirk S. hier nicht sagt:

Die Behauptung, zugelassene prophylaktische Impfungen könnten Krebs oder Leukämie verursachen, wird durch die weltweite epidemiologische und immunologische Wissenschaft eindeutig widerlegt. Umfangreiche Langzeitstudien und die offiziellen Stellungnahmen führender Gesundheitsbehörden belegen das Gegenteil: Impfungen, von den Routineimpfungen im Kindesalter bis zu modernen mRNA-Impfstoffen, sind laut vielen Studien ein etabliertes Instrument zur Krebsprävention.

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