Das Germanwings-Unglück hat eine Debatte über die ärztliche Schweigepflicht entfacht: Hätte eine Lockerung der Regelung die Katastrophe in den französischen Alpen womöglich verhindert? Während CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer mit diesem Gedanken spielte, haben sich Psychotherapeuten nun gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen.
Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Rainer Richter, lehnt eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht ab. "Die Schweigepflicht ist in Fällen, in denen Patienten andere Personen gefährden, nicht das Problem", erklärte Richter. "Schon jetzt sind Ärzte und Psychotherapeuten befugt, die Schweigepflicht zu durchbrechen, wenn sie dadurch die Schädigung Dritter verhindern können. In Fällen, in denen es um Leben und Tod geht, sind sie dazu sogar verpflichtet."
Die Germanwings-Katastrophe hatte eine Diskussion über die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht für bestimmte sensible Berufe wie Piloten ausgelöst. Der 27 Jahre alte Co-Pilot des Unglücksfluges soll den bisherigen Ermittlungen zufolge das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht haben.
"Echte Hilfe" nur mit Schweigepflicht möglich
Eine Lockerung der Schweigepflicht für manche Berufe mit hohem Berufsrisiko könnte nach Ansicht des Psychotherapeuten Richter derartige Katastrophen nicht verhindern. Die allgemeine Schwierigkeit liege darin, "bei einem Menschen die Absicht, sich und insbesondere Dritte zu schädigen, verlässlich zu erkennen und die Ernsthaftigkeit einzuschätzen". Auch eine Jahre zurückliegende Behandlung einer Depression lasse eine Vorhersage einer späteren Suizidgefährdung nicht zu.
Auch die Vereinigung Cockpit (VC) ist klar gegen eine Aufweichung der Schweigepflicht im Fall von Piloten: "Das kann nur jemand sagen, der von der Materie gar keine Ahnung hat", sagte der Präsident der Piloten-Gewerkschaft, Ilja Schulz, der "Rheinischen Post". "Wenn mein Arzt von der Schweigepflicht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein Problem ansprechen, weil immer die Angst vorm Fluglizenzentzug mitschwingt", so Schulz. "Besteht die Schweigepflicht, kann der Arzt dagegen echte Hilfe anbieten."
CDU-Politiker: keine Schnellschüsse
Der Arbeitsrechtsexperte des Arbeitgeberverbandes BDA, Thomas Prinz, forderte im "Tagesspiegel" hingegen eine Lockerung der bisherigen Regel in bestimmten Fällen. "Wenn Arbeitnehmer, die in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten, psychische Probleme haben, sollte eine unabhängige staatliche Stelle davon erfahren", argumentierte er. Dies könne etwa das Gesundheitsamt sein. Das gleiche gelte für Seuchen.
Fachpolitiker der schwarz-roten Koalition lehnten eine Lockerung im "Handelsblatt" ab. Karl Lauterbach, SPD-Politiker und selbst Arzt, stellte klar: "Auch heute schon können Ärzte im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands den Arbeitgeber informieren, wenn sie fürchten müssen, dass vom Patienten Gefahr für Leib und Leben anderer ausgeht."
Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, sagte der "Rheinischen Post": "Die ärztliche Schweigepflicht ist ein sehr hohes Gut. Ich kann nur davor warnen, hier aus spekulativen Annahmen heraus mit Schnellschüssen zu kommen."
Leser von t-online.de mehrheitlich für eine Lockerung
In einer nicht-repräsentativen Umfrage von gestern bewerteten die Leser von t-online.de den Sachverhalt anders: Knapp zwei Drittel (62,5 Prozent) von gut 9300 Lesern sprachen sich für eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht für sensible Berufe aus.
Nur 23,9 Prozent fanden, dass es dazu "auf keinen Fall" kommen sollte. 13,6 Prozent der Leser fiel es schwer, dass zu bewerten.