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Faktencheck Zeitumstellung: Was bringt uns die Sommerzeit wirklich?


Sommerzeit
Was uns die Zeitumstellung bringt – und was nicht

Von dpa, ktz

Aktualisiert am 25.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Am 26.03.2023 werden die Uhren auf Sommerzeit um eine Stunde vorgestellt. Der Effekt der Zeitumstellung sorgt seit jeher für Diskussionen.Vergrößern des BildesIn der Nacht zum 26. März werden die Uhren auf Sommerzeit, also um eine Stunde vorgestellt. Wozu das eigentlich gut sein soll, wird heiß diskutiert. (Quelle: IMAGO / Image Source)
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Ab Sonntag werden die Tage wieder länger, denn die Uhren werden um eine Stunde vorgestellt. Was für viele schön ist, hat auch seine Kritiker. t-online erklärt, warum.

1916 wurde im damaligen Deutschen Reich erstmals die Sommerzeit eingeführt. Durch den Ersten Weltkrieg waren Ressourcen knapp geworden und es sollte Energie gespart werden. Im Zuge der Ölkrise 1973 kam die Diskussion erneut auf: Mit der Umstellung auf Sommerzeit könne Strom gespart werden, hieß es, weil etwa weniger elektrisches Licht benötigt würde. Durchgängig gibt es die Sommerzeit in Deutschland seit 1980. In der gesamten Europäischen Union werden seit 1996 im März und Oktober die Uhren umgestellt.

Tatsächlich wird in der Europäische Union seit langem über ein Ende der Zeitumstellung diskutiert. Konkret plante die EU dies ab 2018, die Kommission legte einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Das Europäische Parlament stimmte sogar zu, verschob aber das für 2019 geplante Ende der Zeitumstellung auf 2021. Doch tatsächlich zogen die Mitgliedsstaaten nicht mit und legten die Pläne auf Eis.

Argumente für oder gegen die Zeitumstellung gibt es viele. Welche stimmen?

Behauptung: Die Sommerzeit hilft dabei, Energie zu sparen

Bewertung: Weitgehend falsch

Fakten: Für das Jahr 2023 fällt die Energiesparbilanz durch die Zeitumstellung laut dem Umweltbundesamt nüchtern aus. Demnach sei zwar zu erkennen, dass "eine bessere Ausnutzung der Tageshelligkeit" den Stromverbrauch für Beleuchtungen reduziere, aber effizientere Leuchtmittel würden diesen Effekt verpuffen lassen. Das Umweltbundesamt bilanziert weiter, dass das frühere Aufstehen in der Sommerzeit zu einem höheren Verbrauch von Heizenergie in Frühjahr und Herbst sorge.

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag kommt zu dem Schluss, dass sich "bestenfalls nur sehr geringfügige Energieeinsparungen realisieren lassen". Eine Auswertung von Studien aus verschiedenen Ländern habe 2016 mögliche Veränderungen in den Bereichen Stromverbrauch und Raumwärme von nicht mehr als einem Prozent ergeben. Auch eine Befragung bei rund 700 Unternehmen und Verbänden der deutschen Energiewirtschaft ergab kein anderes Ergebnis.

Die Wirtschaftswissenschaftler Korbinian von Blanckenburg und Julian Strauch haben anhand einer Analyse der Daten zweier Netzbetreiber in Kassel und Kempten errechnet, dass das derzeit geltende System der Zeitumstellung nur zu einer Einsparung von 0,78 Prozent beim Stromverbrauch privater Haushalte führt.

Behauptung: Die Zeitumstellung schadet der Gesundheit

Bewertung: Teils richtig

Fakten: Es gibt wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass die Anpassung des Biorhythmus besonders im Frühjahr nicht so einfach ist. Die Krankenkasse DAK etwa hat in einer Langzeitbeobachtung festgestellt, dass in den ersten drei Tagen nach der Zeitumstellung 25 Prozent mehr Patienten mit Herzbeschwerden ins Krankenhaus kamen als im Jahresdurchschnitt.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zitierten 2014 Studien aus Schweden und den USA, die ein leicht erhöhtes Infarktrisiko nach der Zeitumstellung im Frühjahr belegten. Eine australische Studie zeigte einen Zusammenhang zwischen Zeitumstellung und Suizidrate: Auch kleine Veränderungen im Biorhythmus könnten demnach bei gefährdeten Menschen destabilisierend wirken.

In einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK (2018) wiederum gaben 72 Prozent der Befragten an, sie können sich nicht erinnern, dass ihnen die Zeitumstellung schon einmal Probleme bereitet hätte.

Behauptung: Von einer dauerhaften Sommerzeit wären Schüler und Studenten besonders hart betroffen

Bewertung: Richtig

Fakten: Nach Umstellung auf die permanente Sommerzeit würde es im Winter morgens eine Stunde später hell. Mediziner weisen darauf hin, dass Menschen das blaue Licht der Sonnenstrahlung brauchen, um wach zu werden. Alfred Wiater, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), sagte dazu dem Deutschen Ärzteblatt, die Serotoninausschüttung werde durch Licht stimuliert – "so werden wir morgens wach und munter".

Der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg sieht besonders viele Teenager betroffen. Bedingt durch die Pubertät verschiebe sich ihr Biorhythmus und damit ihre Innere Uhr. Das mache sie zu Langschläfern. Schon der Schulstart um 8 Uhr morgens sei für sie vergleichbar mit einem Arbeitsbeginn um 4 Uhr bei Erwachsenen. "Das sollen sich einfach mal Erwachsene vor Augen führen, (...) wie aufmerksam sie dann sind und wie gut sie dann lernen können", so Roenneberg in einem Podcast seiner Universität.

Die Zeitumstellung verschärfe dieses Problem noch: "Die Diskrepanz zwischen dem, was die Innere Uhr leben möchte, und dem, was wir leben müssen, (...) wird eine weitere Stunde vergrößert – mit allen Konsequenzen: Schlafmangel, mehr rauchen, mehr unter Stress stehen usw."

Auch der Deutsche Lehrerverband hält eine dauerhafte Umstellung auf Sommerzeit für unverantwortlich. Eine solche Regelung würde nach Aussage von Verbandschef Heinz-Peter Meidinger dazu führen, "dass über zehn Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland zwei Monate länger bei absoluter Dunkelheit ihren morgendlichen Schulweg antreten müssten, was nicht zuletzt auch die Unfallhäufigkeit in die Höhe treiben würde".

Behauptung: Eine dauerhafte Winterzeit kommt den natürlichen Verhältnissen am nächsten.

Bewertung: Stimmt mit Einschränkungen

Fakten: "Natürlich" wäre es, wenn die Sonne punkt 12 Uhr mittags ihren Zenit erreichen würde – das entspricht der "Sonnenzeit". So ist es beispielsweise im Winter in Görlitz, am östlichsten Zipfel Deutschlands. Die Stadt liegt genau auf dem 15. Längengrad, sie ist deshalb idealtypisch für die Berechnung der "Normalzeit" – der Mitteleuropäischen Zeit MEZ – in Deutschland. Schon in Hamburg oder Dortmund stimmen Sonnen- und Uhrzeit aber nicht mehr überein, weil sie deutlich westlicher liegen.

Die Zeitzonen orientieren sich an der Koordinierten Weltzeit (UTC). Dafür wird der Erdball, ausgehend vom Nullmeridian in Greenwich bei London, gedanklich in 24 Zonen mit einer Breite von je 15 Längengraden eingeteilt. Von einer dieser Zonen zur nächsten beträgt der Zeitunterschied jeweils eine Stunde.

In der Realität werden die Umrisse der Zeitzonen von politischen Grenzen und geografischen Gegebenheiten verzerrt. MEZ etwa gilt in Europa von der Atlantikküste bis an die polnische Ostgrenze. Das führt dazu, dass die Sonne in Spanien den höchsten Stand erst gegen 13 Uhr erreicht, in Polen schon gegen 11 Uhr. Den "natürlichen" Verhältnissen entspricht die dauerhafte Winterzeit also nur in einem kleinen Teil Europas.

Behauptung: Die Sommerzeit begünstigt Verkehrsunfälle.

Bewertung: Teils richtig

Fakt ist, dass gerade die Sommerabende viele Menschen nach draußen lockt. Wie das Umweltbundesamt feststellt, kommt es hierbei zu "einem Mehrverbrauch" von Energie durch Freizeiteinrichtungen und den Verkehr.

Der Bundesregierung kam 1982 zu einem ähnlichen Ergebnis: So sei der Verkehrsanteil in den Morgenstunden geringer gewesen, habe sich am Abend jedoch erhöht "als in den Vergleichszeiträumen ohne Sommerzeit". Durch das höhere Verkehrsaufkommen seien Verkehrsunfälle mit schweren Folgen, etwa mit Todesfällen und Personenschäden, um zwei Prozent gestiegen.

Dabei sei die Unfallrate nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, wie der Deutsche Jagdverband (DJV) 2017 anmerkte. Durch die Umstellung auf die Sommerzeit fielen in Frühling und Herbst der morgendliche Berufsverkehr und die Dämmerung für mehrere Wochen zusammen, so der DJV. Wildtiere wie Rehe, Hirsche und Wildschweine würden im Gegensatz zum Menschen weiter dem für sie natürlichem Tagesrythmus folgen. Der Wildwechsel über Straßen stellt dann für Autofahrer ein höheres Risiko dar. Außerdem würden sich Rehe gerade am Ende des Winters häufiger an Straßenrändern aufhalten, weil sie dort frisches Grün und Streusalzreste locke.

Verwendete Quellen
  • dpa
  • umweltbundesamt.de: "Tipps zum Energiesparen – die Zeitumstellung tut es nicht"
  • dserver.bundestag.de: "Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Sommerzeit in den Jahren 1980 und 1981"
  • jagdverband.de: "Wildtiere kennen keine Sommerzeit!"
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