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Debatte über Jahrhundertwinter: Wetter-Modelle kühlen Erwartungen ab


Gerüchte über Jahrhundertwinter
Die Prognosen kühlen die Erwartungen ab


Aktualisiert am 29.10.2025Lesedauer: 4 Min.
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Schneebedeckte Bäume auf dem Fichtelberg 2021: Kommt auch in diesem Winter Extremwetter auf Deutschland zu? (Quelle: Bernd März via www.imago-images.de/imago-images-bilder)
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Kälte, Schnee, Chaos? Spekulationen über einen eisigen Winter machen die Runde. Ein schwacher Polarwirbel soll Deutschland Extremwetter bescheren. Doch Experten warnen vor verfrühten Schlüssen.

Droht Deutschland ein Jahrhundertwinter? Diese Frage macht derzeit im Netz die Runde. Meldungen, in denen extreme Wetterlagen für die kommenden Monate vorhergesagt werden, tauchen regelmäßig auf. Doch was ist davon zu halten?

Die aktuell verfügbaren Langfristmodelle zeigen kein außergewöhnlich kaltes Szenario. Sowohl das europäische ECMWF-Modell als auch das amerikanische CFS-Modell der NOAA rechnen in ihren aktuellen Läufen mit eher milden Temperaturen in den Wintermonaten Dezember, Januar und Februar.

Auch beim Niederschlag gehen die Modelle nicht von extremen Abweichungen aus. Das europäische Modell prognostiziert für den Januar etwas zu wenig Niederschlag, das NOAA-Modell sieht dagegen einen zu trockenen Februar. Eine klare Linie ist bislang nicht erkennbar.

"Starke Tendenz für einen normalen bis wärmeren Winter"

Insgesamt zeichnen beide Modelle ein unspektakuläres Bild. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) fasst es auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur so zusammen: "Die aktuelle Temperaturvorhersage zeigt für Deutschland eine starke Tendenz (86 %) für einen normalen bis wärmeren Winter (Dezember bis Februar) im Vergleich zum Durchschnitt der Winter im Zeitraum 1991 bis 2020."

Dabei handelt es sich nicht um eine klassische Wetterprognose, sondern um eine sogenannte saisonale Klimavorhersage. Diese geben keine detaillierten Auskünfte über einzelne Tage oder Wochen, sondern beschreiben Tendenzen über einen Zeitraum von etwa drei Monaten. Ihre Aussagekraft ist begrenzt. Der DWD betont daher: "Die Vorhersagequalität der saisonalen Klimavorhersage ist schlecht."

Eine Simulation des ICON-Modells
Eine Simulation des ICON-Modells

Die unterschiedlichen Wettermodelle

Das GFS-Modell (Global Forecast System) ist ein globales Wettervorhersagemodell des US-Wetterdienstes NOAA. Es wird viermal täglich neu berechnet und liefert Vorhersagen für bis zu 16 Tage im Voraus. Es gehört zu den wichtigsten Wettermodellen weltweit und wird auch in Europa intensiv genutzt.

Das ICON-Modell ist das Wettermodell des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Die Abkürzung steht für Icosahedral Nonhydrostatic Model. Es gehört zu den modernsten globalen Vorhersagemodellen und rechnet mit besonders hoher Auflösung.

Das ECMWF-Modell, oft auch als EZ-Modell bezeichnet, stammt vom European Centre for Medium-Range Weather Forecasts mit Sitz in Reading, Großbritannien. Es gilt als eines der weltweit genauesten Wettermodelle und ist besonders stark, wenn es um mittelfristige Vorhersagen bis etwa zehn Tage im Voraus geht.

Das CFS-Modell der NOAA (Climate Forecast System) ist ein Klimamodell, das die Wechselwirkungen zwischen Erdatmosphäre, Ozeanen, Land und Meereis simuliert, um langfristige Wetter- und Klimaprognosen zu erstellen.

Weg frei für arktische Luftmassen nach Europa?

Ein wesentlicher Auslöser der aktuellen Spekulationen ist die Vermutung, dass der Polarwirbel über dem Nordpol im kommenden Winter ungewöhnlich schwach sein könnte. Ein entsprechender Internetartikel brachte diese Entwicklung mit möglicher arktischer Kälte in Deutschland in Verbindung – und sorgte für große Aufmerksamkeit.

Doch was würde das überhaupt bedeuten? Der Polarwirbel ist ein großräumiges Zirkulationssystem kalter Luftmassen in der Stratosphäre über den beiden Polen der Erde. Bei stabilen Bedingungen liegt dieser Polarwirbel direkt über dem Pol und hält die Kaltluft dort fest. Kommt es allerdings zu einer plötzlichen Erwärmung in der Stratosphäre, kann der Polarwirbel instabil werden.

Die Folge: Er verformt sich, verlagert oder spaltet sich in zwei Teilwirbel. Bei einem solchen Polarwirbelsplit entweicht die kalte Luft aus der Arktis und kann bis weit nach Mitteleuropa vordringen. Das kann passieren, muss aber nicht.

Ein markantes Beispiel dafür war der Winter 2021. Damals kam es zu einem Polarwirbelsplit, der in Norddeutschland regional massive Schneemengen verursachte. In Langelsheim in Niedersachsen fielen innerhalb eines Wochenendes 45 Zentimeter Neuschnee, auf dem Fichtelberg wurden fast 90 Zentimeter gemessen. Die Temperaturen sanken teilweise auf unter minus 10 Grad.

Die Rolle des Polarwirbels

"Ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen schwachen Polarwirbeln und Kälte in Deutschland gibt, müsse erst noch bewiesen werden", erklärte Martin Gudd vom Wetterkompetenzzentrum der ARD. "Denn ein schwacher Polarwirbel heißt nichts anderes, als dass die Arktis nicht so kalt ist wie früher."

Neben dem Polarwirbel wird in einigen Berichten auch das Klimaphänomen La Niña als möglicher Kälteverstärker genannt. Dabei handelt es sich um eine natürliche Abkühlung des äquatorialen Pazifiks, die weltweit Auswirkungen auf das Wetter haben kann – allerdings sehr unterschiedlich, je nach Region und Jahreszeit. Ob eine La-Niña-Phase tatsächlich das Winterwetter in Deutschland beeinflusst, ist unter Meteorologen umstritten. Die Wirkung ist komplex, die Zusammenhänge sind nicht vollständig verstanden.

Saisonale Prognosen für Winter haben sich verbessert

Grundsätzlich gilt: Langfristige Wetterprognosen sind mit vielen Unsicherheiten behaftet. Doch Lara Wallberg vom Max-Planck-Institut für Meteorologie erklärt: "Saisonale Vorhersagen für den europäischen Winter bleiben eine anspruchsvolle Aufgabe, sind aber im Vergleich zu anderen Jahreszeiten relativ am zuverlässigsten und haben sich besonders in den letzten Jahren merklich verbessert." Großräumige Tendenzen – etwa ein eher milder oder kälter verlaufender Winter – ließen sich zunehmend konsistenter abbilden.

"Dennoch bleiben Unsicherheiten aufgrund der komplexen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozean und Stratosphäre bestehen, auch wenn verbesserte Modelle heute realistischere Wahrscheinlichkeitsabschätzungen als früher liefern", so Wallberg. Besonders die Niederschlagsvorhersagen sind laut ihr häufig wenig zuverlässig. Trotzdem hätten saisonale Prognosen einen Wert – etwa für Energieplanung, Landwirtschaft oder das Katastrophenmanagement.

Video | Wetter: So wird das Wetter in Ihrer Region
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Quelle: Glomex
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Die Winter der letzten Jahre

Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt: Der Trend zu milden Wintern ist kein neues Phänomen. In den vergangenen Jahren lagen die Mitteltemperaturen der Wintermonate durchweg über dem langjährigen Durchschnitt. Besonders deutlich war die Abweichung im Winter 2023/24. Dieser wich fast vier Grad vom langjährigen Mittel ab.

Ein stabiler Polarwirbel galt in vielen dieser Winter als einer der Gründe für die ausgebliebene Kälte. Kalte Luftmassen blieben über der Arktis eingeschlossen, mitteleuropäische Regionen profitierten von eher gemäßigtem Wetter.

Polarwirbel erreicht erst im Winter seine maximale Stärke

Extreme Wintervorhersagen mitten im Oktober bleiben aber aus wissenschaftlicher Sicht eine reine Spekulation. Eine belastbare Einschätzung lasse sich frühestens nach dem Jahreswechsel treffen, erklärte Martin Gudd vom Wetterkompetenzzentrum der ARD. "Was die seriösen Prognosen für den Winter angeht, so können wir vielleicht, aber auch wirklich nur vielleicht, kurz nach dem Jahreswechsel das Strömungsmuster anschauen. Wie war es bisher? Wie könnte es sein?" Daraus ließen sich dann grobe Tendenzen ableiten, wie "der Rest des Winters ungefähr verläuft".

Der Hintergrund: Der Polarwirbel entsteht jedes Jahr im Herbst. Wenn die Sonneneinstrahlung über dem Nordpol nachlässt, sinken die Temperaturen dort auf Werte zwischen –60 und –80 Grad Celsius – auch in etwa 30 Kilometern Höhe. Zwischen Dezember und Februar erreicht der Polarwirbel in der Regel seine maximale Stärke.

Der Deutsche Wetterdienst warnt daher ebenfalls vor voreiligen Schlüssen. Zwar deuten einige Modelle auf einen schwachen Polarwirbel hin, doch ob daraus tatsächlich arktische Kaltlufteinbrüche über Europa resultieren, sei frühestens wenige Wochen im Voraus vorhersagbar.

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