Die Situation auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz in Kiew spitzt sich erneut zu. Starke Polizeikräfte setzten wieder Wasserwerfer gegen verbarrikadierte Demonstranten ein. Die Regierungsgegner schleuderten immer wieder Steine, Feuerwerkskörper und Brandsätze auf die Sicherheitskräfte.
Von der Bühne auf dem Maidan riefen Redner dazu auf, die Barrikaden zu verstärken. Radikale Regierungsgegner rüsteten sich für neue Zusammenstöße. Die meisten Zelte der Regierungsgegner auf dem symbolisch wichtigen Platz brannten ab. Über dem Gelände standen große Rauchwolken. Die Untergrundbahn der Millionenstadt ist weiter komplett gesperrt.
Unterdessen kündigte der ukrainische Geheimdienst SBU eine "Anti-Terror-Aktion" im ganzen Land an. "Radikale und extremistische Gruppierungen stellen mit ihren Handlungen eine reale Gefahr für das Leben von Millionen Ukrainern dar", teilte der SBU mit. Der Nationale Sicherheitsdienst sowie das Zentrum für Terrorabwehr hätten die Entscheidung für diesen Einsatz getroffen, hieß es in der Erklärung des Chefs der Sicherheitsdienste, Oleksander Jakimenko.
Tote und Verletzte
Blutige Nacht: Schwere Ausschreitungen in Kiew
Bei der Räumung von Protestlagern kommt es zu Straßenschlachten. Video
Anschläge gegen Klitschko-Partei
Am Dienstag hatten sich in Kiew die Ereignisse überschlagen. Nach schweren Krawallen setzte die Regierung der Opposition ein Ultimatum bis zum frühen Abend, ihre Proteste zu beenden. Dann begannen die Sicherheitskräfte mit der gewaltsamen Räumung des Unabhängigkeitsplatzes. Dem Gesundheitsministerium zufolge wurden bis Mittwochmorgen 25 Menschen getötet, darunter auch zehn Polizisten.
Mehr als 240 Menschen wurden verletzt. Das Zeltlager war vollkommen verwüstet, der Platz stand in Flammen. Noch im Morgengrauen hingen dicke Rauchwolken am Himmel von Kiew.
Auch in westukrainischen Städten war es zu schweren Ausschreitungen, im Osten des Landes zu schweren Anschlägen gekommen. Im nationalistisch geprägten Westen richtete sich die Gewalt gegen die Regierung, im regime- und kreml-freundlichen Osten wurden Brandanschläge unter anderem auf die Partei von Vitali Klitschko verübt.
EU erwägt Sanktionen
In seiner Erklärung bewertet der ukrainische Geheimdienst die Vorgänge so: Die Opposition versuche mit Waffengewalt, Brandstiftung, Entführungen und Mord, ihre Ziele durchzusetzen. "Das sind konkrete Terrorakte." Organisationen, die als terroristisch eingestuft werden, dürfen laut Gesetz "liquidiert" werden. Der SBU teilte zudem mit, wegen "versuchten Staatsstreichs" gegen "einzelne Politiker" zu ermitteln.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union prüfen wegen der Gewalteskalation Finanzsanktionen und Einreisesperren gegen die Verantwortlichen, suchen in der Frage aber nach einer gemeinsamen Linie. "Die Europäische Union wird auf die Verschlimmerung der Lage vor Ort reagieren auch mit gezielten Maßnahmen", erklärte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in Brüssel im Namen der EU-Staats- und Regierungschefs. EU-Diplomaten zufolge könnte der ukrainische Staatschef Viktor Janukowitsch aber von möglichen Sanktionen ausgenommen bleiben.
Steinmeier reist nach Kiew
Deutschland und Frankreich treten gemeinsam für Sanktionen gegen die Verursacher der Gewalt in der Ukraine ein. Das teilte Frankreichs Präsident François Hollande bei einer Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel in Paris mit. "Diejenigen, die sich für diese Taten zu verantworten haben, müssen wissen, dass sie auf jeden Fall sanktioniert werden", sagte Hollande.
Am Donnerstag reist Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Laurent Fabius nach Kiew. Die beiden wollen nach Angaben von Fabius den polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski treffen, der sich bereits am Mittwoch auf den Weg in die ukrainische Hauptstadt gemacht hatte. Die drei Außenminister wollen sich mit Vertretern von Regierung und Opposition treffen, wie aus Regierungskreisen in Paris bekannt wurde.
Putin verurteilt Gewalt scharf
Der russische Präsident Wladimir Putin stärkt unterdessen der ukrainischen Regierung weiterhin den Rücken. Der Kreml-Chef macht "Extremisten" für die tödlichen Straßenschlachten in Kiew verantwortlich. Der russische Präsident verurteile die Gewalt scharf und betrachte die Vorgänge als versuchten Staatsstreich, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben russischer Agenturen.
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Währenddessen hat der kommissarische ukrainische Verteidigungsminister Pawel Lebedew angeordnet, Luftlandetruppen zur Verstärkung nach Kiew zu verlegen. Die sollten Waffen- und Munitionsdepots sichern, sagte Lebedew. Ein Einsatz von Soldaten ist erst nach Ausrufung des Ausnahmezustandes per Gesetz erlaubt - dies steht nach Angaben von Regierungsmitgliedern bisher nicht zur Debatte.