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Dmytro Jarosch: "Jeder Ukrainer soll eine Schusswaffe tragen dürfen"


Nationalistenführer Jarosch
"Jeder Ukrainer soll eine Schusswaffe tragen dürfen"

Ein Interview von Benjamin Bidder, Kiew

23.04.2014Lesedauer: 5 Min.
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Dmytro Jarosch ist Gründer und Kommandeur der Nationalistengarde Rechter Sektor in der UkraineVergrößern des Bildes
Dmytro Jarosch ist Gründer und Kommandeur der Nationalistengarde Rechter Sektor in der Ukraine (Quelle: dpa-bilder)

Auf dem Maidan bekam er mehr Applaus als Julia Timoschenko: Dmytro Jarosch, 42, Gründer und Kommandeur der Nationalistengarde Rechter Sektor. Die paramilitärische Truppe ist die große Unbekannte im Ringen um die Zukunft der Ukraine, eine neue Kraft. Auf dem Maidan bewachten die Kämpfer des Rechten Sektors die Barrikaden, mit Molotow-Cocktails und Angriffen trugen sie im Februar zu der Eskalation bei, die mehr als hundert Menschen das Leben kostete und Präsident Viktor Janukowitsch das Amt.

Das hat dem Rechten Sektor auch unter gemäßigten Ukrainern Sympathie eingebracht. Viele haben genug von Oligarchen und Kiews politischem Establishment. Jarosch fordert Radikales: eine "Entrussifizierung" der in Teilen zutiefst russisch geprägten Ukraine etwa. Dem Kreml geben Jaroschs rechte Parolen Futter für die eigene Propaganda: Moskau bezeichnet die Maidan-Revolution als "militärischen Putsch faschistischer Kräfte".

Das Außenministerium in Moskau beschuldigt den Rechten Sektor, in der Nacht auf Sonntag den Oster-Waffenstillstand in der Ostukraine gebrochen zu haben. Bei dem Feuerüberfall seien auch Zivilisten ums Leben gekommen. Der Rechte Sektor bestreitet jede Beteiligung.

Bis vor kurzem patrouillierten Kämpfer des Sektors noch im Zentrum von Kiew. Im Hotel Dnipro, einem Hauptquartier ihrer Bewegung, trugen sie stolz Pistolen. "Wir haben keine Waffen mehr", beteuert Kommandeur Jarosch nun. Man habe den "bewaffneten Flügel legalisiert", als Teil der neuen Nationalgarde der "Territorialverteidigung" der Ukraine.

Jarosch hat den grünen Kampfanzug vom Maidan abgelegt, er trägt jetzt Anzug und Krawatte. Am 25. Mai kandidiert er bei den Präsidentschaftswahlen.

Im Interview mit "Spiegel Online" spricht Dmytro Jarosch über seine Chancen bei der Wahl, über Antisemitismus-Vorwürfe und seinen Hass auf die Oligarchen.

Spiegel: Herr Jarosch, Sie sind Gründer der paramilitärischen Truppe Rechter Sektor. Was treibt Sie an?

Jarosch: Ich bin ukrainischer Nationalist. Mein Ziel ist ein starker Staat, die Ukraine soll nie mehr geopolitischer Spielball sein. Unter Wiktor Janukowitsch hat ein völlig korrumpiertes Regime das Land regiert. Das gilt freilich auch für die Zeit vor Janukowitsch. Wir treten an, das zu ändern. Als paramilitärisch würde ich uns aber nicht bezeichnen. Unsere Revolution wird erst vollendet sein, wenn wir den Staat vollständig erneuert haben. Das oligarchisch-korrupte System ist nur geschwächt, aber noch nicht zerstört.

Sie kandidieren als Präsident. Wie können Sie Staatschef des ganzen Landes sein, wenn Millionen Bürger in Lenin nicht wie Sie einen Unterdrücker sehen, sondern einen Teil der eigenen Vergangenheit?

Wir suchen keine Feinde. 40 Prozent der Mitglieder des Rechten Sektors sprechen selbst kein Ukrainisch, kein Problem! Im Alltag hat das keine Auswirkungen. Wer Russisch sprechen will, darf das weiter tun. Wenn jemand Hebräisch reden will, darf er auch gerne Hebräisch reden. Das Nationalbewusstsein wächst auch im Osten. Wieso sonst muss Moskau auf Agenten und bezahlte Provokateure zurückgreifen, um für Unruhe zu sorgen? Selbst in Donezk haben sie nur ein paar tausend Mann mobilisiert.

Aber in Umfragen wollen keine zwei Prozent der Ukrainer Sie wählen.

Ben-Gurion hat gesagt: Wer nicht an Wunder glaubt, ist ein schlechter Realist. Wir haben in den vergangenen Monaten auf dem Maidan bereits Wunder vollbracht und Janukowitsch verjagt. Wieso soll das nicht wieder gelingen?

Was wollen Sie als Präsident tun?

Die Steuern senken, das hilft dem Mittelstand und ausländischen Investoren. Wir müssen Ordnung schaffen in der Justiz. Das Innenministerium ist faktisch eine terroristische Organisation.

Die Polizei ist vielen Ukrainern verhasst. Polizisten pressen Bürgern Bestechungsgelder ab, es gibt Fälle, in denen Rauschgiftfahnder selbst im großen Stil mit Drogen handeln. Nach dem Sieg des Maidan versuchen Aktivisten des Rechten Sektors, sich selbst zur Ordnungsmacht aufzuschwingen. Sie bedrängten Streifenpolizisten und Staatsanwälte. Der neue Innenminister Arsen Awakow, ein Gefolgsmann von Julija Timoschenko, hat die Entwaffnung der Truppe angeordnet, sie aber nie durchsetzen können.

Wieso fordern Sie liberalere Waffengesetze?

Jeder Ukrainer soll eine Schusswaffe tragen dürfen. Wir sind eine Kosaken-Nation. Ein Kosake ist ein freier, bewaffneter Mann. Nur so können wir uns zur Wehr setzen gegen die Willkür der Staatsmacht und Russland. Putin kann unsere Armee leicht zerschlagen. Das bewaffnete Volk aber wird er nie besiegen.

Fürchten Sie eine russische Intervention?

Wir bereiten uns darauf vor. Unsere Bataillone sind Teil der neuen Territorial-Verteidigung. Wir stehen in engem Kontakt zum Geheimdienst, mit dem Generalstab. Wir haben eigentlich zu allen gute Beziehungen, außer zur Polizei. Alle Informationen, die wir bekommen, deuten auf eine Eskalation hin. Russland bereitet Schläge vor auf Charkiw, Luhansk, Sumy, Donezk und natürlich von der Krim.

Russland hat seit Wochen Truppen an der Grenze zur Ukraine konzentriert. Die Nato schätzt ihre Stärke auf bis zu 40.000 Mann. Moskau hat die Truppenbewegungen lange dementiert, später dann aber zugegeben. Die Nato fürchtet, dass die Truppen innerhalb von drei bis fünf Tagen die ukrainische Armee überrennen und die halbe Ukraine besetzen könnten. Doch bei aller Ablehnung der Russen, zeigt sich Jarosch auch kritisch, was eine zu große Annäherung an Europa angeht.

Sie geißeln den "liberalen Totalitarismus" der EU. Was soll das sein?

Die Ukraine ist ein europäisches Land, wir wollen das Assoziierungsabkommen. Aber: Wir haben zu lange um unsere Souveränität gekämpft, wir wollen sie nicht gleich wieder abgeben an eine Brüsseler Bürokratie, die uns andere Lebensformen aufzwingen will. Mich stört die antichristliche Ausrichtung der EU. Wir sind gegen die Vernichtung der traditionellen Familie, gegen Homo-Ehen. In Frankreich haben Hunderttausende dagegen protestiert, ihre Stimmen aber werden nicht gehört. Die Medien werden kontrolliert von liberalen Gruppen, die allen ihre Meinung aufzwingen. Das ist eine Spielart von Totalitarismus.

In seiner Kampfschrift "Nation und Revolution" zeigt sich Jarosch als Gegner der parlamentarischen Demokratie. "Parlamentsparteien, Blöcke und Fraktionen" im ukrainischen Parlament seien nur "Segmente des Regimes der inneren Okkupation". Wortgleich mit russischen Nationalisten wettert Jarosch gegen "Entnationalisierung, Homosexualität und Drogensucht". Sein Weltbild ist geprägt von einem totalitären Ethnonationalismus. Er fordert die "Verbreitung der nationalistischen Ideologie auf dem gesamten Territorium unseres Staates" einschließlich des russischsprachigen Ostens. Sein Ziel ist es, die "führende Rolle des Wurzelvolkes im Staat" durchzusetzen.

Sie wundern sich in Ihrem Buch, "warum die Mehrheit der Milliardäre in der Ukraine Juden sind". Sind Sie Antisemit?

Sollen Juden hier Geld verdienen, ich habe nichts dagegen. Sie sollen es nur ehrlich tun und keine antiukrainischen Meinungen in ihren Medien verbreiten. Viele Milliardäre - unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit - dienen nicht dem ukrainischen Volk.

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Nicht nur Moskaus Propaganda hält den Rechten Sektor für faschistisch. Ist Hitler Ihr Vorbild?

Er hat so viel Blut meines Volkes vergossen, ich kann ihm nichts Positives abgewinnen. Der deutsche Nationalsozialismus ist für ukrainische Nationalisten ein Feind.

Wer ist aus Ihrer Sicht das größere Risiko für die Revolution: Putin oder Timoschenko, als Vertreterin der alten Eliten, die Sie bekämpfen?

Eine gute Frage! Im Augenblick natürlich Putin. Seine Truppen bereiten eine Invasion vor. Timoschenko wiederum ist eine sehr spezielle Politikerin mit ihrer eigenen Geschichte. Wir werden uns anschauen, wie sie sich verhält: Bleibt sie Teil des alten Systems? Oder hat sie Schlussfolgerungen gezogen und sich verändert? Will sie helfen, das oligarchisch-politische System zu zerstören?

Auf dem Maidan sind mehr als hundert Menschen ums Leben gekommen. War das nicht ein viel zu hoher Preis, nur um Janukowitsch ein Jahr vor den Wahlen zu verjagen?

Jeder Tod eines Menschen ist eine Tragödie. Wenn Janukowitsch aber an der Macht geblieben wäre, hätte es keine freien Wahlen mehr gegeben. Wir haben den hohen Preis der Freiheit bezahlt. Wir mussten ihn zahlen. Und wenn der nächste Präsident die gleichen Fehler begeht wie der alte, werden wir erneut bereit sein, ihn zu zahlen.

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