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Bedrohung durch Ukrainekrieg und Klimawandel darf uns nicht lähmen.


Tagesanbruch
Ein Lichtblick in Krieg und Krise

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.01.2023Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Putin mit den Kommandanten eines Atom-U-Bootes (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Putin mit den Kommandanten eines Atom-U-Bootes (Archivbild). (Quelle: imago stock&people)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es ist kurz vor zwölf. 90 Sekunden, um genau zu sein. So nah stehen wir vor dem Weltuntergang – zumindest, wenn wir den Wissenschaftlern des "Bulletin of Atomic Sciences" glauben. Leider sind das nicht irgendwelche Sonderlinge mit wildem Haar und spinnerten Ideen, sondern Koryphäen ihrer jeweiligen Disziplinen. In einer Tradition, die auf das Genie Albert Einstein zurückgeht, stellen sie jedes Jahr die Zeiger der Weltuntergangsuhr, um der Menschheit zu verdeutlichen, wie nah sie der größten aller Katastrophen gerade gekommen ist: dem "Grande finale", wie es Udo Lindenberg einst euphemistisch besang. Ende Gelände, aus die Maus. Dieses Risiko ist in unserer turbulenten Welt mal größer, mal kleiner.

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Aber noch nie war es so groß wie jetzt: Auf 90 Sekunden vor Mitternacht haben die Wissenschaftler die symbolischen Zeiger deshalb gestellt, weil sie die Gefahr der Vernichtung allen Lebens so groß wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg sehen. Vier Gründe führen sie dafür an:

  • Die Gefahr eines Atomkriegs zwischen Russland und dem Westen ist aufgrund des Ukraine-Konflikts größer geworden.
  • Die Klimakrise verschlechtert die Lebensbedingungen auf dem Planeten rapide.
  • Durch die Erderhitzung und die Überbevölkerung steigt die Bedrohung durch Pandemien.
  • Der Mensch droht die Kontrolle über selbstentwickelte Technologien wie die künstliche Intelligenz zu verlieren.

Betrachtet man diese Liste, kann man in Gedanken schnell bei jedem Punkt ein Häkchen machen. Tatsächlich ist die vielbeschworene Polikrise oder Multikrise längst zum Normalzustand geworden. Täglich ereilt uns eine neue Hiobsbotschaft, irgendwas ist ja immer. Kaum verwunderlich, dass sich angesichts der prekären Weltlage viele Menschen vor dem GAU fürchten – seien es nun Putins Atomwaffen, schmelzende Gletscher oder die Algorithmen von Egomanen wie Musk oder Zuckerberg. Wir leben auf einem Vulkan, und wir haben es selbst in der Hand, ob wir ihn ausbrechen lassen oder nicht.

Nachdem wir nun 1.825 Buchstaben lang das Armageddon beschworen haben, ist es höchste Zeit für einen Kaffee und einen Lichtblick. Schenken Sie sich also bitte noch eine Tasse ein (Tee geht auch) und schöpfen Sie gemeinsam mit mir an diesem kühlen Januarmorgen eine Portion Zuversicht. Denn die Realität muss nicht so düster sein, wie sie uns oft erscheint. Ja, der Krieg ist schrecklich und die Eskalation zwischen Ost und West riskant. Ja, weil die Regierenden sich nun vor allem um Soldaten, Panzer und Erdgas kümmern, drohen sie den Klimaschutz aus den Augen zu verlieren. Und ja, in Sachen Digitales stehen die meisten Politiker ebenso staunend vor den trügerischen Erfindungen aus Kalifornien und Shenzhen wie wir Normalos. Die künstliche Intelligenz ChatGPT schreibt sogar schon Artikel und Essays. Denkbar, dass sich auch Journalisten bald einen neuen Beruf suchen müssen.

Doch es muss nicht jede Bedrohung in das schlimmstmögliche Ergebnis münden. Oft nehmen die Dinge trotz kollektiver Kassandrarufe einen erstaunlich positiven Verlauf. Um das zu verstehen, müssen wir gar nicht erst die Historie bemühen, indem wir etwa auf den glimpflichen Ausgang der Kubakrise 1962 oder den erfolgreichen Kampf gegen das Ozonloch zurückschauen. Es genügt schon ein Blick auf die vergangenen Tage. Denn dort finden wir – versteckt zwischen dicken Überschriften zum Panzerstreit und anderen Dramen – eine Menge Nachrichten, die unser Gemüt aufhellen können:

  • Entgegen allen drastischen Prognosen ist die deutsche Wirtschaft durch die Folgen des Ukraine-Kriegs nicht abgeschmiert, sondern dürfte nun sogar wachsen. Aus dem ersehnten Post-Corona-Aufschwung könnte doch noch was werden.
  • Vor einem Dreivierteljahr hätte es kaum jemand für möglich gehalten, doch tatsächlich sind die Gasspeicher auch jetzt im Winter gut gefüllt. Das Notfall-Management der Bundesregierung wirkt. Wir lassen uns von Putin nicht erpressen.
  • Die Strom- und Gaspreise sind zwar hoch, laufen aber nicht völlig aus dem Ruder. Schon sorgen erste Anbieter mit Preissenkungen für Schlagzeilen. Dank neuer EU-Vorschriften können deutsche Behörden den Windradausbau nun endlich beschleunigen.
  • Zwar setzt die Regierung nun vorübergehend wieder auf Kohle, Öl und Gas, statt den Verbrauch durch strengere Vorschriften einzuschränken (was ein Fehler ist), aber in den Ministerien werden in diesen Stunden Pläne geschmiedet, um das Klimaschutz-Sofortprogramm doch noch zu verwirklichen. Durchaus möglich, dass sich nach dem Koalitionsausschuss gestern Abend sogar die FDP-Leute doch noch auf den Pfad der Vernunft begeben.

Ich könnte noch mehr positive Nachrichten aufzählen, aber ich möchte Ihnen die gute Laune nicht mit einer zu langen Textwurst verderben. Sind ja schon 4.354 Buchstaben. Nur ein letzter Gedanke noch, gern auch für die Wissenschaftler von der Weltuntergangsuhr: Wem es wie dem Homo sapiens gelungen ist, sich seit rund 200.000 Jahren mehr oder weniger konstant vorwärtszuentwickeln, sollte in der Lage sein, selbst die gefährlichste Multikrise zu meistern. Wir müssen es nur wirklich wollen und entschlossen handeln. Deshalb nehmen wir die 90-Sekunden-Warnung gern als Ansporn, uns noch stärker für Frieden, Vernunft und eine intakte Umwelt einzusetzen. Aber entmutigen lassen wir uns nicht.


Gegen das Vergessen

Eine neue Studie der Jewish Claims Conference hat Erschütterndes zutage gefördert: Bei einer repräsentativen Befragung von 2.000 Menschen in den Niederlanden wusste mehr als die Hälfte nicht, dass im Zweiten Weltkrieg sechs Millionen Juden ermordet wurden. Fast ein Drittel glaubte, dass es zwei Millionen oder weniger waren. Ein Drittel der Befragten konnte kein einziges Konzentrations- oder Vernichtungslager benennen. Besonders groß war das Unwissen bei Menschen, die jünger als 40 Jahre sind. Fast ein Viertel von ihnen hielt die Zahl der getöteten Juden für übertrieben oder gar den Holocaust für erfunden. In anderen EU-Länder mag es ähnlich aussehen.

Es sind solche Zahlen, die uns zeigen, warum es so wichtig ist, immer wieder an die unfassbaren Verbrechen Nazi-Deutschlands zu erinnern – nicht nur im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, das heute vor 78 Jahren von der Roten Armee befreit wurde und in dem allein mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet wurden. Die heutige Gedenkstunde im Bundestag (ab 10 Uhr live im ZDF), zu der auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt, rückt Menschen in den Mittelpunkt, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Vor drei Jahren habe ich meine Eindrücke in Auschwitz in einem Video zusammengefasst.


Wie konnte das passieren?

Die Bluttat in einem Regionalzug zwischen Kiel und Hamburg erschüttert Millionen Menschen. Zahlreiche Politiker sind an den Tatort geeilt, haben den Angehörigen ihr Mitgefühl ausgesprochen und eine rasche Aufklärung der Hintergründe gefordert. Doch auch zwei Tage nach dem Messerangriff, bei dem eine 17-jährige Jugendliche und ein 19-jähriger Mann getötet wurden und zwei weitere Menschen lebensgefährliche Verletzungen erlitten, sind viele Fragen offen.

Wie kann es sein, dass der mutmaßliche Täter, ein 33-jähriger staatenloser Palästinenser ohne festen Wohnsitz, zwar schon zuvor mehrfach als Straftäter in Erscheinung trat, in Nordrhein-Westfalen durch Bedrohung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Ladendiebstahl und sexuelle Belästigung auffällig wurde und bis vor einer Woche wegen Körperverletzung in Hamburg in U-Haft saß, aber nun wieder frei herumlief? Warum wurde offenbar im November 2021 ein Verfahren auf Rücknahme des subsidiären Schutzes für den Flüchtling eingeleitet – aber wie das Verfahren ausging, ist nicht bekannt? Meine Kollegin Camilla Kohrs hat noch weitere offene Fragen gefunden.

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Es drängt sich der Verdacht auf: Dieses Verbrechen hätte womöglich verhindert werden können, hätten alle zuvor beteiligten Behörden sorgfältiger zusammengearbeitet.


Was lesen?

Was treibt jemanden wie den Mörder im Regionalzug an? Elena Rausch ist Expertin für Messerkriminalität. Meiner Kollegin Lisa Becke hat sie Antworten gegeben.


Ist es maßlos, wenn der ukrainische Präsident jetzt auch noch um Kampfjets bittet? Nein, sagt die Politikwissenschaftlerin Claudia Major im Interview mit meinem Kollegen Tim Kummert.



Was amüsiert mich?

Beim Verhandeln macht dem Olaf keiner was vor!

Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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