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Russlands gefährliche Mission in Afrika


Tagesanbruch
Russlands nächste gefährliche Mission

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 30.01.2023Lesedauer: 6 Min.
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Sergej Lawrow zu Besuch in Eswatini: Russlands Außenminister in der Charmeoffensive.Vergrößern des Bildes
Sergej Lawrow zu Besuch in Eswatini: Russlands Außenminister in der Charmeoffensive. (Quelle: SNA/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt Termine, die normalerweise kaum Aufmerksamkeit erregen: Kanzler Olaf Scholz besucht derzeit den südamerikanischen Kontinent, war gestern in Argentinien, heute in Brasilien und Chile.

Die Länder liegen weit weg und wenn wir mal die 10.000 Kilometer über den Atlantik schauen, dann nur, wenn etwas sehr Großes passiert. Etwa, wenn in Brasilien ein rechtspopulistischer Ex-Militär zum Präsidenten gewählt wird oder wenn dessen Anhänger nach der Wahlniederlage Regierungsgebäude stürmen. Vielleicht noch, wenn die Abholzung des Amazonas die weltweiten Klimaziele gefährdet. Sonst aber gilt: zu weit weg, zu wenig relevant für unseren Alltag – vor allem in Zeiten, in denen in Europa ein brutaler Krieg tobt.

Doch der Eindruck trügt. Denn gerade der Krieg in der Ukraine hat mit Scholz' Besuch weit mehr zu tun, als man zunächst annehmen mag.

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Welche Bedeutung die Reise von Scholz tatsächlich hat, zeigt sich in einem größeren Kontext: Die Welt ordnet sich neu. Von einer "multipolaren Weltordnung" spricht der Kanzler in einem Interview mit südamerikanischen Zeitungen. Es werde in Zukunft keine zwei Blöcke mehr geben wie zu Zeiten des Kalten Krieges, stattdessen eine ganze Reihe von einflussreichen Staaten in Asien, Südamerika, Afrika. Und um deren Gunst buhlen nun die großen Machtblöcke China, der Westen und auch Russland. Es geht um Rohstoffe, politische Verbündete und zum Teil auch um militärischen Einfluss.

Besonders offensichtlich wurde das vergangene Woche in Afrika. China ist dort ohnehin schon seit Jahren aktiv. Auch Russland will mehr Einfluss – und schickte Außenminister Sergej Lawrow auf Charmeoffensive. Schon zum zweiten Mal seit der Invasion der Ukraine war Putins Chefdiplomat nun auf dem Kontinent unterwegs, warb für die russische Weltsicht. Dabei kam es zu einigen denkwürdigen Szenen:

  • Auf einer Pressekonferenz mit Lawrow nannte Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor es "zu einfach und kindisch", Russland zu einem Rückzug aus der Ukraine aufzufordern. Zudem verteidigte sie ein geplantes Militärmanöver mit Russland und China. "Alle Länder führen militärische Übungen mit Freunden durch." Die südafrikanische Regierung bezeichnet ihre Position im Ukraine-Krieg offiziell als neutral, doch scheint sie mittlerweile in Richtung der russischen Position zu tendieren – sehr zum Ärger der eigenen Opposition im Land.
  • Eritreas Außenminister fand nach seinem Treffen mit Lawrow deutliche Worte: Die jahrzehntelange "rücksichtslose Hegemonie- und Eindämmungspolitik" der USA sei für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. "Die traurige Tatsache ist, dass die Ukraine sowohl ein Vorwand als auch ein Opfer dieser Politik ist." Russlands Bemühungen, sich selbst als Opfer eines imperialistischen Amerika darzustellen, zeigte seine Wirkung hier besonders.
  • Auffallend bildstark bereiteten russische Medien eine Szene von Lawrows Besuch in Angola auf: Zwei Schülerinnen stehen vor dem Außenminister, singen das russische Volkslied Katjuscha. Ein Video davon können Sie hier sehen. Gemeinsam mit dem Präsidenten João Lourenço skizzierte Lawrow zudem Schritte, um die strategische Partnerschaft zu intensivieren – etwa bei der Atomenergie.

Solche Termine sind ein diplomatischer Sieg für Lawrow. Dass sich mit Südafrika einer der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Akteure Afrikas so deutlich positioniert, dürfte in den westlichen Staaten für Kopfschmerzen sorgen. Der Besuch in Angola hingegen zeigte die Grenzen auf: Viel mehr als das Video der singenden Schülerinnen konnten die Staatsmedien propagandistisch nicht ausschlachten. Denn Angola zeigt kein Interesse an zu tiefen Beziehungen zu Russland: Im Dezember erst hatte der Präsident verkündet, statt russischer Waffen künftig auf US-amerikanische setzen zu wollen. Unangenehm für den Kreml. Und auch mit Blick auf den gesamten Kontinent bleibt der wirtschaftliche Einfluss Russlands gering – vor allem im Vergleich zur EU und zu China.

Doch das bedeutet nicht, dass man Russlands Bemühungen unterschätzen sollte – im Gegenteil. Denn in einer Nische ist das Land besonders stark: in der, man mag es fast nicht so nennen, Sicherheitszusammenarbeit. Fast die Hälfte aller importierten Waffen in Afrika kommen aus Russland, die russische Armee bildet Soldaten vieler afrikanischer Staaten aus. Und auch die berüchtigte Söldnertruppe "Wagner" des Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin mischt kräftig mit. Sie hat derzeit offenbar besonders die sicherheitspolitisch so wichtige Sahel-Zone im Blick. Und was dort derzeit passiert, ist mehr als beunruhigend.

Etwa in Mali: 2022 zogen sich die französischen Truppen zurück, das Militär ist mittlerweile mit "Wagner"-Soldaten unterwegs. Nun könnte Burkina Faso folgen. Erst am Wochenende forderte die herrschende Militärjunta Frankreich auf, seine Truppen abzuziehen. Auch hier könnten nun "Wagner"-Söldner folgen, die dafür bekannt sind, besonders grausam gegen Zivilisten vorzugehen (hier lesen Sie mehr dazu). Sowohl in Mali als auch in Burkina Faso machten die Juntas die französischen Soldaten zu Sündenböcken für die katastrophale Sicherheitslage, islamistische Gruppierungen breiten sich dort immer weiter aus. Dabei zeigt die Erfahrung: Der Einsatz von "Wagner"-Soldaten hat in der Vergangenheit das betroffene Land in der Regel weiter destabilisiert, wie der Sicherheitsexperte Colin P. Clarke in einem Beitrag für "Foreign Policy" schreibt (englisch). Für Europa sind das keine guten Nachrichten.

Doch zurück ins Heute, zu Scholz' Südamerika-Reise. Auch hier steht im Fokus, mit wem die Staaten künftig ihre Beziehungen intensiv ausbauen werden – mit China oder Russland? Oder mit den USA und der EU? Auf dem Tisch liegt bereits ein Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten, namentlich Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Das wird schon seit 1999 verhandelt, lange Zeit eher unambitioniert. Nun aber drängt die Zeit, Scholz will einen schnellen Abschluss erreichen.

Denn Südamerika soll ein wichtiger Baustein in der Strategie Deutschlands und der EU werden, unabhängiger von Russland und China zu werden. Nichts auf Scholz' Südamerika-Reise zeigt das besser als der Umgang mit dem Thema Lithium. Das weiße Metall gilt als das Erdöl des 21. Jahrhunderts, es steckt in Batterien für Elektroautos und in Akkus der Smartphones. Und in Südamerika liegt ein Großteil des weltweit bekannten Vorkommens. Bislang ist Deutschland davor zurückgeschreckt, sich am Abbau zu beteiligen – als zu heikel gelten die Menschenrechtslage und die Umweltprobleme rund um diese Minen, wie die Nachrichtenagentur AFP unter Bezug auf Regierungskreise berichtet. Diese Skrupel hatte China nicht: Es hat sich bereits in mehrere Unternehmen eingekauft.

Doch die deutsche Linie scheint sich jetzt zu ändern. "Den Luxus können wir uns heute nicht mehr erlauben, wenn wir wirklich auf eigenen Füßen stehen wollen und wenn wir wirklich eigene Bezugsquellen haben wollen", zitierte die AFP aus Regierungskreisen.

Lithium ist nur ein Beispiel für ein großes Dilemma: Diese neue Weltordnung wird Deutschland vor noch viele unbequeme Entscheidungen stellen – wenn man das Feld nicht China und Russland überlassen will.


Was heute wichtig ist

Bundeskanzler Olaf Scholz setzt seine Südamerika-Reise heute fort. In Chile nimmt er zunächst an einem Wirtschaftsforum teil, am Nachmittag deutscher Zeit geht es weiter nach Brasilien. Dort trifft er den am 1. Januar vereidigten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva – als erster Regierungschef aus dem Ausland seit der Amtseinführung. Auch mit Lula wird er über das Freihandelsabkommen sprechen.

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Was amüsiert mich?

Wie weit Scholz auf der Suche nach Lithium geht, beschäftigt auch unseren Karikaturisten Mario Lars.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen schreibt Ihnen unser Politischer Reporter Tim Kummert.

Herzliche Grüße

Ihre

Camilla Kohrs
Stellvertretende Politikchefin
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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