Europäische Luftabwehr Die Zeit läuft

Europa steht vor großen Herausforderungen bei der Abwehr von Angriffen aus der Luft. Dabei fehlt es vor allem an Möglichkeiten zur Drohnenabwehr. Die Ukraine könnte helfen.
Nahezu täglich tauchen gegenwärtig Drohnen über Einrichtungen der kritischen Infrastruktur in Nato-Ländern auf. Ihre Herkunft bleibt meist unklar, nach diversen russischen Luftraumverletzungen in der jüngeren Vergangenheit liegt der Verdacht nahe, dass Russland hinter den Störaktionen steckt.
In der Nato tut man sich bisher allerdings schwer mit der Abwehr dieser Drohnen. Eine einheitliche Strategie, um sich zu schützen, gibt es derzeit nicht. Gäbe es einen größeren russischen Angriff aus der Luft, würde das die europäischen Staaten vor immense Probleme stellen.
Dabei zeigt die Ukraine, wie eine effektive Abwehr solcher Angriffe aussehen könnte. Und auch in Europa gibt es bereits Pläne für eine effektive Luftabwehr. Allerdings könnte es noch dauern, bis diese vollständig umgesetzt werden können.
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European Skyshield Initiative ist noch im Aufbau
Als Vorbild dient in Europa der israelische "Iron Dome", eines der leistungsfähigsten Luftabwehrsysteme der Welt. Erst kürzlich forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wieder ein solches System, nachdem der Flugverkehr des Münchner Flughafens wiederholt wegen Drohnensichtungen gestört wurde. Rumänien hat als erstes Nato-Land ein israelisches Luftabwehrsystem erworben.
Was bei der Diskussion häufig allerdings nicht beachtet wird: Der "Iron Dome" schützt vor Kurzstreckenraketen und Artilleriegeschossen aus benachbarten Staaten, aber nicht gegen Drohnenangriffe. Als der Iran Israel in diesem Sommer mit 300 Raketen und Drohnen angriff, genügte der Schutz nicht. Ohne US-Unterstützung wären die Folgen deutlich dramatischer ausgefallen.
Mehrere europäische Länder haben daher bereits vor drei Jahren die European Skyshield Initiative ins Leben gerufen. Sie soll die Mitgliedsstaaten auf verschiedenen Ebenen gegen Bedrohungen aus der Luft schützen
Ein mehrstufiges System soll entstehen, bei dem verschiedene Mitgliedsländer unterschiedliche Verteidigungswaffen anschaffen, um den gemeinsamen Luftraum gegen unterschiedliche Bedrohungen zu verteidigen. So soll etwa der Luft-Luft-Lenkkörper Iris-T SLM für Angriffe mit naher und mittlerer Reichweite eingesetzt werden; US-amerikanische Patriot-Systeme könnten Bedrohungen aus größerer Entfernung neutralisieren und israelische Arrow-Raketen die Abwehr ballistischer Raketen übernehmen.
In der Türkei entsteht darüber hinaus das größte Zentrum für Luftabwehrsysteme in Europa. Für 1,5 Milliarden US-Dollar soll eine 735.000 Quadratmeter überdachte Fläche auf einem 6,5 Millionen Quadratmeter großen Campus entstehen. Dort soll die Produktion für das türkische Raketenabwehrsystem "Steel Dome" 2026 starten.
Drohnen stellen Europa vor große Herausforderungen
Allerdings befindet sich dieses Schutzsystem erst im Aufbau. Ein derzeitiger größerer Luftangriff mit zahlreichen Objekten würde Europa wohl noch überfordern. Ein weiteres Problem bleibt die hohe Abhängigkeit von den USA, die neben Waffen vor allem wichtige Daten liefern – ohne die sich Europa nicht effektiv verteidigen könnte.
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Überdies liegt der Fokus dieser Initiative weiterhin vor allem auf der Abwehr von Raketen und größeren Geschossen. Insbesondere massive Drohnenangriffe würden die europäischen Länder weiterhin vor große Herausforderungen stellen. Schließlich ist der Abschuss billiger Drohnen durch die Abwehrsysteme enorm teuer. Als Russland im September mehrere Drohnen nach Polen schickte und lediglich ein Bruchteil abgeschossen werden konnte, kostete dies mehrere Millionen Euro. Dabei stiegen auch Kampfjets auf.
Die Drohnen können stundenlang in der Luft bleiben, Kampfjets sind auf Dauer kaum die geeignete Antwort darauf. Zudem können diese eine große Anzahl an Drohnen kaum eliminieren. Wichtig ist es auch, die Drohnen frühzeitig abzuschießen, schließlich können Trümmerteile über Wohngebieten Schaden anrichten.
In der Ukraine sind Drohnenangriffe derweil Alltag. Dort greifen nahezu täglich Hunderte russische Drohnen Ziele im gesamten Land an. Zwischen 80 und 95 Prozent der Drohnen werden abgeschossen. Das Land hat ein mehrstufiges Abwehrsystem entwickelt, um diese Bedrohung möglichst klein zu halten.
So verteidigt sich die Ukraine gegen Drohnen
Zunächst gibt es dort moderne Erkennungssysteme, die Drohnen erkennen, orten und die entsprechenden Stellen alarmieren. Im restlichen Europa werden die Sicherheitskräfte oftmals von Sichtungen im Landesinneren überrascht. Dazu setzt die Ukraine elektronische Kriegsführung ein, die die Navigation von Drohnen stört, sodass diese auf Feldern abstürzen oder nach Russland oder Belarus zurückkehren. Für den Einsatz solcher Technologien gibt es in der EU noch rechtliche Probleme.
Auch der Einsatz von Kampfjets gehört zur Strategie. Diese sind zwar effektiv, aber eben auch in Anzahl und Flugzeit limitiert. Ähnliches gilt für Luftabwehrsysteme wie Patriot, die zwar teilweise zur Drohnenabwehr eingesetzt werden, allerdings zu teuer für einen massenhaften Einsatz sind.
Als effektivste Maßnahme schätzen Experten derzeit Abfangdrohnen ein. Diese sind schnell, können andere Drohnen in der Luft verfolgen und mehrere russische Objekte abschießen. Hier besteht die Herausforderung vor allem in der schnellen Produktion. Diese hat die Ukraine zuletzt deutlich hochgefahren.
Gab es vor einem halben Jahr kaum Drohnen mit Abfangkapazität, produziert die Ukraine derzeit zwischen 200 und 300 Stück pro Tag. Insbesondere bei der Verteidigung von Städten kommen zusätzlich mobile Feuergruppen zum Einsatz – kleine mobile Teams, die schnell eingreifen und Drohnen mit schweren Maschinenpistolen zerstören können.
Europa hat einen Vorteil
Es dürfte allerdings noch dauern, bis Europa eine ähnlich effektive Drohnenabwehr aufgebaut hat. Dabei kann man aber auf die Erfahrung des Partners aus der Ukraine aufbauen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bereits angekündigt, das Fachwissen zu teilen – und sogar hochmoderne Systeme an europäische Partner exportieren zu wollen. Was die Ukraine also in dreieinhalb Jahren unter erschwerten Kriegsbedingungen aufgebaut hat, könnte mit deren Hilfe für den Rest Europas deutlich schneller gehen.
Allerdings entwickelt auch Russland seine Technologien ständig weiter und steigert seine Produktion. Daher dürfte es in Europa vor allem auch um einen schnellen Aufbau von Kapazitäten gehen. Schließlich produziert Russland aktuell rund 300 Shahed-Drohnen pro Tag, die immer schneller und reichweitenstärker werden.
- united24media.org: "How Long Would it Take Europe to Launch an Effective Air Defense System From Scratch?" (englisch)
- mezha.media: "Turkey is building Europe's largest air defense systems production center" (englisch)
- finabel.org: "Securing the Sky: Challenges to Building a European Integrated Air and Missile Defence System" (englisch)
- reservistenverband.de: "European Sky Shield – Renaissance der europäischen Flugabwehr?"







