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Putins Krieg: Russland attackiert Ukraine-Energieanlagen vor Kriegswinter


Ukraine vor dem vierten Kriegswinter
In diesem Jahr ist etwas anders


Aktualisiert am 22.10.2025Lesedauer: 6 Min.
Eine Explosion in der Ukraine (Symbolbild): Immer häufiger greift Russland sein Nachbarland mit Drohnen und Raketen an.Vergrößern des Bildes
Eine Explosion in der Ukraine (Symbolbild): Immer häufiger greift Russland sein Nachbarland mit Drohnen und Raketen an. (Quelle: IMAGO/Evgeny Biyatov)
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In der Ukraine steht der Winter bevor. Dieses Mal könnte er für die Zivilbevölkerung besonders hart werden. Grund dafür ist nicht nur eine neue Taktik der russischen Armee.

Am Dienstagmorgen waren wieder Hunderttausende Menschen in der Ukraine ohne Strom. Erneut hatte Russland über Nacht Angriffe mit Drohnen und Raketen auf die ukrainische Energieinfrastruktur geflogen. Besonders der nördliche Teil der Region Tschernihiw, die im Norden sowohl an Russland als auch an Belarus grenzt, sowie die gleichnamige Regionalhauptstadt waren betroffen.

Tschernihiws kommissarischer Bürgermeister Olexandr Lomako erklärte, dass Russland vor dem nahenden Winter gezielt die Strom- und Wärmeversorgung der Bevölkerung ins Visier nehme. Das ist zwar grundlegend nicht neu: Die Ukraine steuert auf den vierten Kriegswinter zu und bereits in den vergangenen Jahren begann Russland schon im Herbst eine Luftkampagne gegen die ukrainische Energieinfrastruktur. Dennoch ist in diesem Jahr etwas anders.

Russlands Ziel ist es weiterhin, der ukrainischen Zivilbevölkerung das Leben so schwer wie möglich zu machen. Der Kreml will damit den Willen der Ukrainer brechen, sich weiter gegen die russischen Angriffe zu verteidigen. Doch die Taktik, die die russische Armee ergreift, hat sich verändert. Zudem ist die Ukraine in diesem Winter womöglich schlechter für die Verteidigung ihrer Energieanlagen aufgestellt als noch in den Vorjahren.

Ukrainische Regierung verpasste umfassenden Schutz der Energieinfrastruktur

Deutlich macht dies ein Bericht der "Ukrainska Pravda". Demnach berief der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang Oktober mehrere Krisensitzungen mit der Regierung, Ministern und Energieunternehmen ein. Zuvor war halb Kiew nach russischen Angriffen ohne Strom und Wasser geblieben. Selenskyjs Ziel: Alle beteiligten Akteure sollten ihre Zuständigkeiten zum Schutz des Energiesektors klären und sofort Maßnahmen ergreifen. Doch dem Bericht zufolge schlug die Tatkraft alsbald in Frustration um.

Denn es zeigte sich, dass die Zuständigkeiten nicht klar und die Verantwortlichkeiten für die weiterhin schwache Energieinfrastruktur diffus waren. Nach diversen Wechseln in der ukrainischen Regierung in den vergangenen Jahren hätten Minister und Mitarbeiter von Energiebehörden die Schuld dafür auf ihre Vorgänger geschoben. Die Folge: Fortschritte zum Schutz der Energieanlagen waren kaum messbar, denn beschlossene Maßnahmen waren offenbar nicht umgesetzt worden.

Schon im Vorfeld des ersten Kriegswinters 2022/2023 hatte die ukrainische Regierung ein Dreistufensystem zum Schutz von landesweit etwa 80 wichtigen Anlagen entworfen: In der ersten Stufe sollten Arbeiter in Umspannwerken mit Sandsäcken und Metallzäunen vor Schrapnellen geschützt werden. Die zweite Stufe sah den Schutz von Transformatoren in wichtigen Umspannwerken mittels Beton- und Stahlstrukturen vor. Als dritte Stufe sollten ganze Umspannwerke unter einer Stahlbeton- und Erdschicht verbunkert werden.

Doch der "Ukrainska Pravda" zufolge stockte die Umsetzung des Plans durch politische Streitereien und Korruption. So hatten der frühere Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow und sein Team demnach zwar 85 Prozent der zweiten Schutzstufe bereits fertiggestellt. Nach seiner Entlassung im Herbst 2024 kam der Ausbau jedoch fast zum Erliegen. Kubrakow verlor sein Amt demnach ausgerechnet wegen der Debatten über den Baufortschritt. Ebenso musste der damalige Chef der Energiebehörde Ukrenergo, Wolodymyr Kudrystykj, seinen Posten räumen.

Der vergangene Winter ging dann für die Ukraine wegen verhältnismäßig milder Temperaturen glimpflich aus. In dieser Zeit soll die ukrainische Regierung dann laut dem Bericht ihren Fokus auf den Schutz der Energieanlagen verloren haben. Das könnte sich in diesem Winter rächen, denn Russland will offenbar nichts mehr dem Zufall überlassen.

"Russland hat hier einiges an Eskalationspotenzial"

Seit Anfang Oktober hat die russische Armee Drohnen- und Raketenangriffe auf die Energieinfrastruktur auf ein bisher nicht gesehenes Maß hochgefahren. Allein am Morgen des 9. Oktober flogen etwa 450 Drohnen und 30 Raketen nur auf Stromleitungen, Umspannwerke, Pipelines, Lagerstätten und Verarbeitungsanlagen. Zu Jahresbeginn umfassten die größten russischen Angriffe noch rund 150 Geschosse.

Der Militärexperte Markus Reisner sieht Russlands Fähigkeiten dabei noch nicht an ihrem Ende. "Russland hat hier einiges an Eskalationspotenzial", erklärte der Oberst des österreichischen Bundesheeres kürzlich in einem Video auf YouTube. So habe Russland im Oktober auch wichtige Wasserkraftwerke entlang des Flusses Dnepr attackiert.

"Wenn diese zerstört werden würden, kommt es natürlich zu einem nachteiligen Effekt, was die Stromversorgung betrifft", so Reisner. Eine Zerstörung der Kraftwerke oder der dazugehörigen Staudämme könne jedoch auch zu massiven Überflutungen im Raum Kiew führen.

Video | Deutliche Worte von Trump zum Ukraine-Krieg
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Quelle: t-online

Russland kurbelt Drohnenproduktion massiv an

Das "Eskalationspotenzial" liegt auch darin begründet, dass Russland seine Drohnenproduktion massiv hochgefahren hat. Bis zu 30.000 der Geran-2 oder Schahed genannten Kamikazedrohnen kann das Land aktuell pro Jahr herstellen. Die Kapazitäten sollen weiter steigen, im kommenden Jahr sogar verdoppelt werden. Umso schwerer wird es für die ukrainische Luftverteidigung, solche Mengen an Drohnen abzufangen.

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Überdies versucht Russland laut ukrainischen Angaben, die Reparaturarbeiten an den Energieanlagen zu unterbinden. Russland lasse absichtlich Drohnen über den beschädigten Infrastrukturanlagen kreisen, um Reparaturen unmöglich zu machen und "die humanitäre Krise bewusst zu verlängern", erklärte das ukrainische Energieministerium am Dienstag auf der Plattform Telegram.

Dazu hat Russland seine Angriffsstrategie grundlegend verändert. In den vergangenen Wintern sollte die Energieversorgung der Ukraine flächendeckend zerstört werden. Nun aber konzentriert sich Russland vor allem auf bestimmte Regionen, besonders Sumy, Tschernihiw, Poltawa und Charkiw im Nordosten sowie Odessa im Süden. Dort wird systematisch die gesamte regionale Infrastruktur zerstört. Ferner rückt jetzt die Gasinfrastruktur der Ukraine in den Fokus.

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Veränderte russische Luftkampagne

Mit diesem Vorgehen verfolgt der Kreml drei Ziele:

  1. Das ukrainische Stromnetz soll in zwei Hälften gespalten werden. Während im Osten dann ein Stromdefizit herrscht, soll im Westen ein Überschuss erzwungen werden. Würde Russland dann gleichzeitig Wärmekraftwerke im Westen sowie Verteilungsanlagen von Kernkraftwerken angreifen und beschädigen, könnte das insgesamt destabilisierte System zusammenbrechen. Es gäbe einen großen Blackout, wie zuletzt im November 2022.
  2. Laut dem ukrainischen Militärgeheimdienst versucht Russland, mit Angriffen in den grenznahen Regionen wie Tschernihiw, Sumy und Charkiw die Zivilbevölkerung zu vertreiben. Damit soll eine Pufferzone entlang der Grenze geschaffen werden, die Russland schon seit den Angriffen der Ukrainer auf die russische Region Kursk im August 2024 als Ziel ausgibt. Vize-Geheimdienstchef Wadym Skybytskyj sagte dazu: "Ihr Ziel ist es nicht, nur die Stromversorgung zu stören, sondern sie vollständig zu zerstören, um das Gebiet unbewohnbar zu machen."
  3. Die gezielten Angriffe auf die Gasinfrastruktur sind im Kern Angriffe auf die Wärmeversorgung der ukrainischen Bevölkerung. Bisher konnte die Ukraine ihren Gasbedarf aus eigener Produktion decken. Doch gezielte Angriffe auf die Regionen Poltawa und Charkiw haben laut der Nachrichtenagentur Bloomberg bereits 60 Prozent der Gasproduktionskapazitäten des Landes zerstört. Die Folge: Die Ukraine muss wohl bis März zwei Milliarden US-Dollar für Gasimporte ausgeben – Geld, das an anderer Stelle dringend fehlt.

Ukraine sucht Lösungen noch vor dem Winter

Ukrainische Energieunternehmen prognostizieren derweil einen Winter der Versorgungsengpässe. Ein anonymer Vertreter eines staatlichen Unternehmens sagte der "Ukrainska Pravda": "In fast dem gesamten Land gibt es bereits Notstromausfälle. Höchstwahrscheinlich werden wir im Winter mit einem '4x2'-Szenario konfrontiert sein: vier Stunden ohne Strom, zwei Stunden mit Strom."

Solch ein Szenario kann potenziell verheerend sein. Wettermodelle wie etwa des Portals "MkWeather" sagen für die Ukraine einen besonders harschen Winter voraus. Während bis Dezember noch stürmisches, regnerisches, aber relativ mildes Wetter vorherrschen soll, könnten ab Jahreswechsel eine Kältewelle und heftige Schneefälle auf das Land zukommen. Solche Wettermodelle sind jedoch mit Unsicherheiten behaftet. Wie sich das Wetter tatsächlich entwickelt, bleibt abzuwarten.

Kommt Flüssiggas aus den USA?

Präsident Selenskyj sucht derweil nach kurzfristigen, politischen Lösungen. Bei seinem jüngsten Besuch in den USA habe er mehrere Energieabkommen abgeschlossen, berichtet die "Kyiv Post". Dabei geht es vor allem darum, die Gasversorgung im Winter abzusichern und Ausfälle durch russische Angriffe zu verhindern. Dazu traf sich seine Delegation unter Leitung von Premierministerin Julija Swyrydenko mit Vertretern der US-Regierung und großen Energiekonzernen.

Die USA sagten dabei Lieferungen von LNG-Flüssiggas über Polen zu. Ferner soll der Bau eines Terminals in Odessa geprüft werden. Wie wahrscheinlich dies angesichts der aktuellen russischen Angriffe ist, bleibt fraglich. Selenskyj erklärte demnach vor Reportern, dass die USA interessiert seien, weil die Ukraine große Speicherkapazitäten und ein gut ausgebautes Netz habe. Über diesen Weg könnten weite Teile Europas mit Gas aus den USA versorgt werden. Dies dürfte ganz nach dem Geschmack von Präsident Donald Trump sein, der Europa gänzlich von russischem Gas und Öl entkoppeln will.

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