Exil-Oligarch unter Druck "Der Kreml hat Angst vor der Machtübergabe"

Der Druck auf den Kreml wächst. Der russische Geheimdienst nimmt erneut Oppositionelle ins Visier – Experten zufolge ein Zeichen der Paranoia im Machtapparat.
Bereits vor über 20 Jahren bekam der damalige russische Öl-Oligarch Michail Chodorkowski die Macht von Putins Regime zu spüren. Im Jahr 2003 kritisierte er den Präsidenten öffentlich. Kurz darauf wurde Chodorkowski – damals der reichste Mann Russlands – zu zehn Jahren Haft in einem sibirischen Straflager verurteilt, von wo aus er mitansehen musste, wie der russische Staat seinen Öl- und Gaskonzern Yukos zerschlug. Heute lebt der Oppositionelle in London – und sieht sich erneut mit Anschuldigungen des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB konfrontiert.
Der FSB wirft Chodorkowski und 22 weiteren Mitgliedern des von ihm gegründeten Antikriegskomitees vor, einen Putsch gegen die russische Regierung geplant zu haben. Nach der Darstellung des FSB strebe das Komitee "die gewaltsame Machtergreifung und den Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung in der Russischen Föderation" an. Auf seiner eigenen Webseite erklärt das Komitee dagegen, man wolle "die Bemühungen kriegskritischer Russen koordinieren und unterstützen sowie einen Raum für Solidarität schaffen, um sich dem vom Kreml begonnenen Krieg zu widersetzen".
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Chodorkowski weist die Vorwürfe dementsprechend auch entschieden zurück. Kremlexperten sehen in dem Vorstoß allerdings mehr als nur russische Schikane. "Das zeigt, dass der Kreml zunehmend paranoid ist", sagt etwa John Herbst, Direktor des Eurasia Center beim Atlantic Council und ehemaliger US-Botschafter in der Ukraine. "Putin sucht nach Feinden, um sein Regime zu festigen."
Widerstand gegen Putin wächst
Denn auch innerhalb Russlands regt sich zunehmend Widerstand gegen Putins diktatorische Herrschaft. Die schlechte wirtschaftliche Lage belastet Unternehmen ebenso wie Privathaushalte. Bereits im Juni warnte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow, das Land stehe "am Rande einer Rezession". Seitdem wurden bereits mehrfach kleinere Protestaktionen beobachtet. So versammelten sich Anfang Oktober Hunderte Menschen auf einem Platz in Sankt Petersburg und sangen ein verbotenes Lied, das zum Sturz Putins aufruft.
Der letzte ernsthafte Putschversuch gegen den Kreml liegt inzwischen mehr als zwei Jahre zurück. Damals hatte der Anführer der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, nach monatelangen Konflikten mit der Armeeführung einen Aufstand gegen Moskau gestartet. Nach einem kurzen Marsch seiner Truppen Richtung Hauptstadt brach Prigoschin die Aktion jedoch ab. Wenige Wochen später kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben – unter bis heute ungeklärten Umständen. Beobachter vermuten, dass Nikolai Patruschew, langjähriger Geheimdienstchef und enger Putin-Vertrauter, in den Absturz verwickelt gewesen sein könnte.
Chodorkowski führt indes keinen Marsch auf Moskau an. Gegenüber der britischen Zeitung "The Telegraph" erklärte er, die Anschuldigungen des FSB zeigten, dass der Kreml "Angst vor der Frage des Machtübergangs" habe. Wenn Putin morgen sterbe, gebe es keinen offensichtlichen Nachfolger: "Was haben wir in Russland? Einen Premierminister, den niemand gewählt, sondern den Putin ernannt hat. Von Putin eingesetzte Gerichte. Ein Parlament, dessen Sitze durch gefälschte Wahlen besetzt wurden und an dessen Legitimität niemand glaubt."
Die internationale Legitimität der russischen Opposition könnte im Falle eines plötzlichen Machtwechsels zu einem bedeutenden Faktor werden, so Chodorkowski. Putin sei deshalb bemüht, das Antikriegskomitee zu diskreditieren und einzuschüchtern.
Trumps Sanktionen spitzen Lage in Russland weiter zu
Eine ähnliche Einschätzung teilt Angela Stent, emeritierte Direktorin des Zentrums für Eurasische, Russische und Osteuropäische Studien der Georgetown University: "Sie wollen Putins These bekräftigen, dass der Westen versucht, Russland zu zerschlagen." Der Kreml greife regelmäßig zu diesem Manöver, wenn im Land Unruhe herrsche. "Wenn sie unter Druck geraten, erhöhen sie einfach die Zahl derjenigen, die als unerwünschte ausländische Agenten oder Extremisten gebrandmarkt werden", erklärt Wladimir Milow, ein weiterer russischer Oppositioneller. "Das ist ihre klassische bürokratische Reaktion, wenn sie sich angesichts wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung unsicher fühlen."
Die ohnehin kritische wirtschaftliche Lage Russlands könnte sich nach der Entscheidung des US-Präsidenten, neue Sanktionen zu verhängen, weiter verschärfen. Vergangene Woche kündigte die Regierung in Washington zum ersten Mal in der zweiten Amtszeit von Donald Trump Sanktionen gegen Russland an. Sie sollen führende russische Ölkonzerne treffen. Entscheidend dabei ist, dass das Weiße Haus auch internationalen Banken, die Zahlungen für russische Ölgeschäfte abwickeln, mit Sanktionen drohte. Damit steigen die Risiken vor allem für China und Indien, die wichtigsten Abnehmer russischen Öls.
- telegraph.co.uk: "Putin fears another coup as Russia finally begins to buckle" (Englisch, kostenpflichtig)




