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Kampf um Pokrowsk im Ukraine-Krieg: Militär-Blogger enttarnen Putins Lügen


Krieg in der Ukraine
Russlands Militärblogger enttarnen Putins Lügen

Eine Analyse von Patrick Diekmann

30.10.2025Lesedauer: 6 Min.
Wladimir Putin: Für den Kreml-Chef läuft der Ukraine-Krieg im Jahr 2025 wenig erfolgreich.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Für den Kremlchef läuft der Ukraine-Krieg im Jahr 2025 wenig erfolgreich. (Quelle: IMAGO/Sergey Bobylev/imago-images-bilder)
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In diesem Jahr konnte die russische Armee im Ukraine-Krieg keine großen Geländegewinne erzielen – trotz Sommeroffensive und hoher Verluste. Umso wichtiger ist es für Putin, dass er zumindest ein militärisches Ziel noch erreicht.

Es war ein Auftritt, der eine Botschaft nach Russland und in die Welt senden sollte. Kremlchef Wladimir Putin und sein Generalstabschef Waleri Gerassimow sprachen am Sonntag vor Kommandeuren der russischen Armee. Putin tauschte für das Treffen seinen Anzug gegen olivgrüne Armeekleidung ein. Er lobte die angeblich großen Erfolge des russischen Militärs im Ukraine-Krieg, traf danach auch Soldaten, die bei ihrem Einsatz verwundet wurden.

Putin will seinen Krieg in der Ukraine weiterführen – das wird in den Äußerungen und der Bildsprache des Kremls deutlich. Moskau benutzt dabei vor allem das Narrativ, dass eine Kapitulation der ukrainischen Armee das unvermeidbare Ende dieses Krieges sei – unabhängig davon, wie lange es noch dauert. Doch danach sieht es aktuell nicht aus. Denn Putin erlebt derweil ein für ihn katastrophales Kriegsjahr. Auch deswegen sieht er sich gezwungen, kommunikativ in die Offensive zu gehen.

Wie die Sowjets 1939 in Finnland oder bis 1989 in Afghanistan, wie die Amerikaner bis 1975 in Vietnam, kommen auch die Russen in der Ukraine kaum voran. Das bringt zwar die ukrainische Armee an der Front nicht in die Offensive, aber Russland würde bei diesem Tempo noch Jahre brauchen, um allein die vier von Putin völkerrechtswidrig annektierten Oblaste in der Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen – trotz quantitativer Überlegenheit.

Im Jahr 2025 eroberte Russland gerade einmal ein Prozent des ukrainischen Staatsgebietes und zahlte dafür einen hohen Preis: Täglich sollen laut ukrainischen Angaben etwa 1.000 russische Soldaten getötet oder verletzt werden. Zeitgleich gelingt es der Ukraine zunehmend, mit Langstreckenwaffen die russische Ölwirtschaft und damit das Rückgrat von Putins Wirtschaft zu attackieren.

Einsicht gibt es dennoch in Moskau bislang nicht. Putin lässt in Russland seinen Krieg schönreden, lässt Erfolge feiern, die es aktuell gar nicht gibt. Dahinter steckt die Hoffnung, dass die russische Armee wenigstens eines seiner militärischen Ziele in diesem Jahr noch erreichen kann: die Einnahme der ukrainischen Stadt Pokrowsk. Doch es sind ausgerechnet die kremlnahen Militärblogger, die die Unwahrheiten der russischen Führung enttarnen.

Ukraine baut Verteidigung in Pokrowsk aus

Pokrowsk war in den vergangenen Jahren strategisch wichtig, als Herz der ukrainischen Verteidigung in Donezk, weil die Logistik für den Südosten der Ukraine von dort aus koordiniert wurde. Mittlerweile hat es diese strategische Bedeutung verloren, weil die russische Armee bis zu der Stadt vorrücken konnte und sich die ukrainischen Truppen – bis auf einige Hundert Soldaten – weitgehend aus der Stadt zurückgezogen haben sollen. Doch in den vergangenen Tagen meldete Kiew, dass die eigenen Stellungen in Pokrowsk ausgebaut werden.

Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, da die Versorgung der Stadt mit Munition und Lebensmitteln immer schwieriger wird. Von beiden Seiten sind Drohnenschwärme in der Luft, viele ukrainische Versorgungsrouten sind mittlerweile in Reichweite der russischen Artillerie. Videos in den sozialen Netzwerken, die von ukrainischen Beobachtern geteilt wurden, legen nahe, dass die Stadt teilweise auf dem Fußweg und mit Karren versorgt wird, die die Soldaten hinter sich herziehen.

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Dass die Ukraine Pokrowsk weiter verteidigt, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen ist die Stadt ein wichtiges Symbol in diesem Krieg; es geht für Russland und die Ukraine auch um die Moral ihrer Armeen. Zum anderen ist es der ukrainischen Armee in urbanen Räumen möglich, den russischen Angreifern schmerzhafte Verluste zuzufügen. Kiew spricht davon, dass für einen ukrainischen Soldaten im Raum Pokrowsk sieben russische verletzt oder getötet werden. Experten gehen von einem Verhältnis von eins zu sechs aus, aber das ist für Moskau immer noch tragisch.

Das Missverhältnis hängt damit zusammen, dass kleinere russische Trupps mit einem oder zwei Soldaten auf ukrainische Stellungen losrennen und versuchen, Gebäude zu infiltrieren. Sie verschanzen sich dort und hoffen, dass sie nicht bekämpft werden, bis Verstärkung und Nachschub nachgezogen wird. So machte Russland in den vergangenen Monaten seine Geländegewinne. Diese Infiltrationstaktik funktioniert, weil die ukrainische Armee Personalprobleme an der Front hat und auch mit Drohnen nicht alle kleinen russischen Trupps aufhalten kann.

Viele von Putins Soldaten werden dabei getötet, aber selbst wenn nur einige Infiltrationsversuche erfolgreich sind, kann Russland die Frontlinie immer ein wenig weiter verschieben. Diese Strategie ist allerdings enorm verlustreich, weil die russische Armee Verletzte oft nicht bergen lässt. Analysten der internationalen Open-Intelligence-Gruppe "Frontelligence Insight" schätzen in einem Report, dass in der russischen Armee aktuell auf zwei verletzte Soldaten ein getöteter kommt. Diese Sterberate ist enorm.

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Kreml lügt mit Blick auf militärische Lage

Putin versuchte am Sonntag, Russlands langsames Vorrücken mit der Sorge um die Sicherheit der Zivilbevölkerung und mögliche Opferzahlen zu rechtfertigen. Er behauptete fälschlicherweise, die russischen Streitkräfte müssten keine bestimmten Fristen einhalten, sondern die Sicherheit der eigenen Soldaten werde an erste Stelle gesetzt. Damit schuf er Bedingungen, um auch künftige langsame russische Vorstöße zu rechtfertigen. Die Darstellung passt allerdings nicht zur gegenwärtigen Kriegstaktik des Kreml.

Momentan geht die Ukraine davon aus, dass sich etwa 250 russische Kämpfer in Pokrowsk befinden. Die pro-ukrainischen Militäranalysten von "Deepstate" sehen derzeit das ganze Stadtgebiet als umkämpft an. Das ist auch realistisch. Denn es gibt aktuell keine klaren Frontlinien. Die russischen Infiltrationstrupps rücken vor, können sich teilweise festsetzen. Ob sie ihre Positionen halten können, hängt davon ab, ob die ukrainischen Drohnen nachziehende Kräfte bekämpfen können. Bislang konnte Russland Bereiche im Zentrum von Pokrwosk nicht erobern.

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Das rief am Sonntag bei dem Termin mit Putin in Moskau auch den russischen Generalstabschef Gerassimow auf den Plan. Er behauptete, dass russische Truppen Pokrowsk eingekesselt und die ukrainische Armee von der Versorgung abgeschnitten hätten. Gleichzeitig äußerte er sich zur militärischen Lage in der Region Charkiw im Nordosten der Ukraine: Man habe 70 Prozent der Stadt Wowtschansk erobert und auch Kupjansk umzingelt. All das ist gelogen und deckt sich nicht mit der Realität an der Front.

Experten geben zu bedenken, dass der Kreml schon in der Vergangenheit voreilige Erfolgsmeldungen verbreitete, um ukrainische Verbände zum Rückzug zu bewegen. Bemerkenswert ist, dass dieses Mal ausgerechnet die kremlnahen russischen Militärblogger die russischen Lügen aufdecken: Mehrere Blogger schrieben, dass die angeblichen Einkesselungen eine Lüge seien. Ein Militärblogger erklärte, es bestehe weiterhin ein mehrere Kilometer breiter Korridor für ukrainischen Nachschub. Ein anderer merkte an, die russische Feuerkontrolle über ukrainische Stellungen bedeute nicht, dass russische Streitkräfte ukrainische Truppen in dem Gebiet eingekesselt hätten.

Insgesamt beschreiben die russischen Blogger die Front als löchrig und die Lage um Pokrowsk und Kupjansk als "völlig chaotisch" – was sich auch mit den Berichten der Militäranalysten von der US-Denkfabrik Institute for the Studys of War deckt. Denn beide Seiten leiden in diesem Kriegsherbst extrem unter dem Mangel an Soldaten.

Deswegen erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch, dass die Lage in Pokrowsk ernst sei. So hätte Russland achtmal mehr Soldaten in der Region als die ukrainische Armee. Wie lange die Ukraine die Stadt noch verteidigen wird, hängt davon ab, wie gut die ukrainische Armee dort ihre Stellungen versorgen und verteidigen kann. Ob es für den Kreml ein Geduldsspiel wird, ist daher noch völlig offen.

Russische Erfolge bleiben aus

Die russische Armee hat keine Alternativen zu den Vorstößen mit den kleinen Gruppen. Sie hatte es in den vergangenen zwei Wochen wieder vermehrt mit Panzervorstößen versucht, um Pokrowsk tatsächlich einzukesseln. Aber diese laufen für den Kreml bislang mit großen Verlusten und wenig sichtbaren Erfolgen. Es ist ein Krieg der Drohnenschwärme, und ebendiese technische Komponente ist eine Chance für die Ukraine in diesem Krieg.

Putin warb am Sonntag indirekt um Geduld. Doch die Reaktionen der russischen Militärbloggern zeigen, dass ebendiese bei ihnen schwindet. Sie sehen die hohen Verluste und schäumen mit Blick auf die brennenden russischen Ölraffinerien vor Wut. Kritik an Putin wird allerdings nie direkt geäußert, aus Angst vor Repressionen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die russischen Militärblogger möchten kein Kriegsende. Stattdessen drängen sie Putin zu einer Generalmobilmachung, was der Kreml bislang ablehnt. Denn das wäre ein weiteres Eingeständnis russischer Schwäche.

Die Lage ist also nicht nur für die Ukraine angespannt. Auch für Putin wird in diesem Abnutzungskrieg die Luft immer dünner.

Verwendete Quellen

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