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Feldpostbriefe aus Stalingrad: "Der Führer wird uns nicht im Stich lassen"


Feldpostbriefe aus Stalingrad
"Der Führer wird uns schon nicht im Stich lassen"

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 02.02.2018Lesedauer: 6 Min.
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Deutscher Kriegsgefangener: Rund 110.000 deutsche Soldaten gingen nach der Schlacht von Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft. (Quelle: ullstein bild)

In Feldpostbriefen an ihre Familien schilderten die Soldaten der Wehrmacht ihre immer ausweglosere Situation, ihre Hoffnungen und Ängste. Eine Auswahl.

Siegesgewiss marschierten die Soldaten der deutschen 6. Armee im Sommer 1942 auf Stalingrad zu, wenige Monate später zerbrach der Mythos der unbesiegbaren Wehrmacht. Die Rote Armee kesselte die 6. Armee ein. In Feldpostbriefen an ihre Familien schilderten die Soldaten ihre immer ausweglosere Situation, ihre Hoffnungen und Ängste. Meist darauf bedacht, nicht ins Visier der Zensur zu geraten. Der Publizist Jens Ebert hat viele dieser Briefe in seinen Büchern "Feldpostbriefe aus Stalingrad" und "Nach Stalingrad. Walther von Seydlitz’ Feldpostbriefe und Kriegsgefangenenpost 1939–1955" veröffentlicht. Eine Auswahl [Schreibfehler wie im Original]:

Max Breuer, geb. 1909, Gefreiter, in Gefangenschaft gestorben, Rußland, den 12.11.42

Mein liebes gutes Frauchen!

[…] Es ist wirklich Unsinn, daß Du Dir wegen mir immer solche Sorgen machst. [...] Ich bin zwar des öfteren in unserer Feuerstellung, aber die liegt immerhin 6 km hinter der Front, vor uns sind die Infanterie, Pioniere und Panzerverbände. Es muss da schon großes Pech sein, wenn einem da etwas zustoßen sollte. Das einzig Unangenehme ist, das man ein Leben schlimmer als ein Zigeuner führt. Im Sommer konnten wir in Zelten schlafen, jetzt haben wir uns Bunker in die Erde gebaut. Es ist überall ein Ofen drin und läßt sich das Leben einigermaßen ertragen. […] Mit unserer Herausziehung ist es Essig, wir haben uns damit abgefunden, dass wir den Winter über hier bleiben müssen. […] Unsere Batterie hat zurzeit viele Ausfälle an Erkrankungen. Viele haben hier schon die Gelbsucht und sind ins Lazarett gekommen. [...]

Paul Gerhardt Möller, geb. 1903, Sanitätssoldat, 24.XI.42

Meine teuere Magdalena!

Wenn ich diesen Brief schreibe, ist es ein Versuch, wohl ein letzter, mit der "Außenwelt" Verbindung zu bekommen. Wir sind umzingelt. Die Tage, die hinter uns liegen, waren grauenvoll. Eine Beschreibung zu geben, ist mir nicht möglich. Diese Scharen Verwundeter, die wir bekamen! […] Einige liegen, hocken, kauern auf einem Haufen Decken. Da will einer umgebettet, ein anderer zugedeckt, eingepackt werden. Hier wimmert einer in seinen Schmerzen + bekommt eine Spritze. Und dann muss ich fieberheiße Lippen kühlen + streiche wohl einem Jungen mit der Hand über die Stirn. Das tu' ich gern + es ist oft das einzige, was ich neben einem freundlichen Wort an "Trost" spenden kann. Ach es ist so wenig, so bitter wenig. [...]

Ich habe dich sehr lieb. Dein Paul Gerhard

Rudolf Löbel, geb. 1914, Dienstgrad unbekannt, 9.12.42

Liebe Eltern!

Heute ist mir nun wieder die Möglichkeit gegeben, Euch ein Lebenszeichen von mir zu geben. Ihr werdet schon in Sorge um mich sein, weil es doch sehr wenig Post gibt. Aber es ist alles gesperrt, es kann nichts rein & und nichts raus. Da es dieses Mal der Russe der verdammte, verstanden hat, uns alle Zufahrtswege abzuschneiden, sodaß alles nun per Flugzeug gebracht werden kann Es sind aber schon große Unternehmungen im Gange, uns hier wieder raus zuschlagen. Der Führer wird uns schon nicht im Stich lassen. Seit 14 Tagen stehe ich nun wieder mit in vorderster Front. In dieser Zeit nicht gewaschen, nicht rasiert, keine Stiefel ausgezogen, verlaust bis obenan, in Erdlöchern schlafend, bei Wind, Regen & Schnee, man friert oft wie ein junger Hund, so liege ich fern von Stalingrad im Nordteil, wo der Russe immer wieder versucht durchzubrechen, er sich aber schon sehr blutige Köpfe geholt hat. [...]

In alter Frische, Euer Sohn Rudi

Paul Setzepfand, geb. 1913, Obergefreiter, vermißt, Russland, 22.12.1942

Mein Geliebtes Frauchen, Kinder & Mutter!

Schnell noch ein paar Zeilen. […] Ja, Russland ist kein Frankreich, hier gibt's nicht mal einen grünen Tannenzweig zum Weihnachtsfeste. Trostlos nur einmal. […] Gott wird uns schon nicht im Stich lassen hier in der öden trostlosen Stebbe Russlands. Für heute Schluss meine Lieben grämt Euch nicht um mich ich denke oft an Euch

Euer lieber Papa

Herzliche Grüße + Küsse Dein Mann.

Schreib sofort!

Auf Wiedersehen!

Anbei 4 Luftpostmarken

Max Breuer, geb. 1909, Gefreiter, in Gefangenschaft gestorben, Rußland, den 23.12.42

Mein fernes Lieb!

[…] Je näher der Heilige Abend kommt, desto mieser wird die Stimmung. Aber so geht es nicht nur mit, so geht es den meisten Kameraden. […]

Euer Vati

Max Breuer, 1909, Gefreiter, in Gefangenschaft gestorben, Rußland, 1. Weihnachtstag 42

Mein liebes gutes Frauchen!

Nun ist der Heiligabend auch rum. In einem meiner letzten Briefe hatte ich Dir versprochen, an diesem Abend in jeder Minute an euch zu denken. Aber das fiel mir bei diesem Gegröle und Sauferei schwer. Als wir zu Beginn einige Weihnachtslieder sangen, gingen mir doch die Nerven durch und ich hätte losheulen können. Die ganze Zeit standen mir die Tränen in den Augen. Ich bin dann eine Zeitlang rausgegangen und habe mich richtig mal ausgeheult. Danach war es besser und ich habe mich auf Saufen beteiligt, um besser über die Stunden hinweg zu kommen. [...]

Und nun seid alle recht herzlich gegrüßt und 1000 × geküßt von
Eurem Vati

General Walther von Seydlitz-Kurzbach, geb. 1888, Im Felde, 1. Jan. 1943 Nr. 1

Mein geliebtes Herze!

[…] Wir setzen alle Hoffnungen auf den Führer, der uns zum Neuen Jahr einen sehr beruhigenden Funkspruch sendete. Das Warten, dieses furchtbare Warten ist ja das Schwerste in solchem Kessel, aber etwas gewöhnt man sich doch schon daran. Heute nun die große Führeransprache an das deutsche Volk und an die deutsche Wehrmacht. Beides ja ungeheuer positiv, ohne jeden Zweifel an einem vollen Sieg, aber natürlich auch auf die Härten des noch Kommenden hinweisend.

Er ist schon ein Gigant!!

Erich Köhlerheinrich, Alter unbekannt, Obergefreiter, Osten, 13.1.43

Meine Lieben!

[…] Wir sind auch schon wieder seit dem 19.11.43 eingeschlossen und haben seid dem Tage an eine sehr dünne Verpflegung. Sie besteht täglich aus 200 gr. Brot u. 50 gr. Wurst u. 30 gr. Butter. Zu Mittag ist das Essen eine sehr dünne Suppe. Morgens essen wir unsere 3 Schnitten Brot mit Belag und von Mittag 12 Uhr bis andere Morgen 9 Uhr leben wir von der Luft. Das geht jetzt schon 2 Monate so. […] Wie weh der Hunger tut das habe ich ja zu genüge gelernt. […] Einmal bin ich verwundet worden, aber zum Glück nicht schlimm. Am 13.12.42 habe ich das E.K. 2 erhalten. Ich kann Euch sagen, das habe ich mir sauer verdient. [...]

Seid nun alle recht herzlich gegrüßt von Eurem Erich

Heino Graf Vitzthum, geb. 1914, Rittmeister, vor Stalingrad, 20.I.1943

[…] Nur eins muss man noch einmal feststellen, was unsere braven Männer hier seit 2 Monaten bei Hunger und Kälte an Widerstandswillen aufgebracht haben, ist mit Menschenworten nicht zu beschreiben. […] Um mich, mein zärtlich Geliebtes, sei unbesorgt. Verlaß Dich ganz fest darauf, daß ich versuchen werde, Dir und unseren geliebten beiden Kleinen mein Leben so lange als irgend möglich und tragbar, und so lange es Euch noch etwas nützen kann, zu erhalten, und daß meine grenzenlose Liebe zu Dir mich auch Schwerstes ertragen lassen wird. […]

Rudi Heintges, Alter unbekannt, Feldwebel, O.U., den 20.01.43

Mein Allerliebstes!

[…] Immer wieder greifen die Russen an. Nur staunen kann ich, wo sie all die Munition her haben. Höre den Wehrmachtsbericht und dann wirst Du auch erfahren, welcher Tag unser letzter war. Ich überlege immer, ob ich, wenn es soweit sein sollte und die Möglichkeit bestünde, mich gefangen geben soll. Ja, wenn es Franzosen, Amerikaner, Engländer wären, aber bei den Russen weiß man ja nicht, ob nicht eine freiwillige Kugel besser ist. [...] Wenn ich bewußt eine letzte Minute haben sollte, dann werde dankbar an den Tag denken, an dem ich Dich kennengelernt habe und die Zeit
überdenken, die uns gehört hat. [...]

Nun, mein Liebling viele Küsse

Rudi

Dr. Horst Rocholl, geb. 1908, Arzt, hat überlebt, St. 23.1.43

Meine ganz doll geliebte Gis!

[…] Mich kann nichts mehr erschüttern, außer dem unsagbaren Leid, das ich gerade in diesem Tagen ansehen muß. Wenn der Letzte ausflöge, könnte ich neidlos der letzten Ju nachsehen und aufs Tiefste befriedigt sterben. Brot habe ich seit sieben Tagen nicht mehr gegessen, dafür zweimal Suppe am Tag. Ich muß versuchen, bei Kräften zu bleiben. Ich muß Tag und Nacht arbeiten.

Viele liebe Küsse,

Dein Paps

Jahrelang war die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg von Sieg zu Sieg geeilt. Am 22. Juni 1941 überfielen Hitler und die Wehrmacht die Sowjetunion. Der Feldzug sollte schließlich an einer fernen Stadt an der Wolga enden: Stalingrad. Sowjetische Divisionen kesselten die ganze deutsche 6. Armee ein, mehr als 250.000 Soldaten. Zehntausende starben in den nächsten Wochen und Monaten in heftigen Kämpfen, an Hunger, Kälte und Seuchen. Die deutsche Kapitulation in Stalingrad war vor 75 Jahren ein Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg. t-online.de erinnert heute und in den nächsten Tagen an dieses Ereignis: HANS-ERDMANN SCHÖNBECK, ein Stalingrad-Überlebender, erzählt vom Leben und Sterben in der umkämpften Stadt. MILITÄRHISTORIKER SÖNKE NEITZEL erklärt, warum ausgerechnet Stalingrad zu einer entscheidenden Schlacht an der Ostfront wurde. FELDPOSTBRIEFE schildern das Leid und die Hoffnung der eingeschlossenen Soldaten der 6. Armee. SOWJETISCHE DOKUMENTE lassen deutlich werden, wie entschlossen die Rotarmisten ihre Heimat verteidigten. FRIEDRICH PAULUS, Befehlshaber der 6. Armee, ist eine der tragischsten Figuren der Schlacht um Stalingrad. Ein Porträt zeigt, warum der Offizier seine Männer bis zum bitteren Ende weiterkämpfen ließ. Kolumnist GERHARD SPÖRL erklärt, warum es so wichtig ist, dass wir den Zeitzeugen zuhören.

Zum Weiterlesen: Antony Beevor: Stalingrad, München 1999 | Jens Ebert (Hrsg.): Feldpostbriefe aus Stalingrad. November 1942 bis Januar 1943, Göttingen 2003 | Jochen Hellbeck: Die Stalingrad-Protokolle. Sowjetische Zeitzeugen berichten aus der Schlacht, Frankfurt/Main 2013 | Torsten Diedrich: Paulus. Das Trauma von Stalingrad, 2. Auflage, Paderborn 2009 | Torsten Diedrich; Jens Ebert (Hrsg.): Nach Stalingrad. Walther von Seydlitz’ Feldpostbriefe und Kriegsgefangenenpost 1939–1955, Göttingen 2018 | Wolfram Wette; Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht, 7. Auflage, Frankfurt/Main 2012




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