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Pearl Harbor: "Viele Amerikaner vermuteten Strippenzieher in Deutschland"


Krieg im Pazifik
"Hitler hat den Amerikanern einen ganz großen Gefallen getan"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 07.12.2021Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Angriff auf Pearl Harbor: Die Bombardierung am frühen Sonntagmorgen traf die Menschen auf der hawaiianischen Insel völlig unvorbereitet. (Quelle: t-online)

Vor 80 Jahren attackierte Japan Pearl Harbor, kurz darauf erklärte Adolf Hitler den USA den Krieg. War es eine Tat des Wahnsinns? Aus Hitlers Sicht keineswegs, erklärt Historiker Brendan Simms.

t-online: Professor Simms, eigentlich hätte der britische Kriegspremier Winston Churchill am 7. Dezember 1941 bester Stimmung sein müssen. Japanische Streitkräfte hatten den amerikanischen Stützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii attackiert, der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg stand bevor. Stattdessen war Churchill außerordentlich beunruhigt. Warum?

Brendan Simms: Churchill hatte in der Tat allerhand Grund zur Sorge. Denn dass die USA nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor auch in den Krieg gegen Deutschland ziehen würden, war alles andere als selbstverständlich. Schließlich war der Angriff inmitten des Pazifiks, weit weg von Deutschland und Europa, von den Japanern durchgeführt worden.

Lag es auch an dem tiefen Riss in der amerikanischen Politik und Gesellschaft?

Ja. Die USA waren in zwei Lager gespalten. Die sogenannten Isolationisten wollten das Land aus auswärtigen Konflikten heraushalten, die Interventionisten hingegen etwa durchaus in Europa gegen Hitler einschreiten. Zu letzteren gehörte auch US-Präsident Franklin D. Roosevelt. Nach dem 7. Dezember 1941 kam es dann zu der eigentümlichen Situation, dass es für ein paar Tage zwei getrennte Kriege von dramatischer Tragweite gab.

Einmal der Kampf der Briten und Sowjets gegen Hitler in Europa – und dann der Konflikt der USA im Pazifikraum gegen Japan. Am 8. Dezember 1941 erklärten die Vereinigten Staaten dem Kaiserreich den Krieg.

Diese Kriegserklärung war vollkommen folgerichtig und erwartbar. In London überlegte derweil Winston Churchill verzweifelt, wie er die USA auch zum Krieg gegen Hitler bewegen könne. Denn der Widerstand der Isolationisten gegen ein Engagement in Europa war weiterhin gewaltig.

Moment! Immer wieder heißt es, Pearl Harbor wäre das Ende des amerikanischen Isolationismus gewesen. In Ihrem neuen Buch kommen Sie hingegen mit Ihrem Mitautor Charlie Laderman zu einem ganz anderen Schluss.

Warum sollte Pearl Harbor denn die Position der Isolationisten erschüttert haben? Im Buch sind wir dieser Frage genauestens nachgegangen. Das Gegenteil war der Fall. Die Isolationisten argumentierten nun, dass Franklin D. Roosevelt die USA mit seiner Politik unvorbereitet in den Krieg gegen Japan getrieben habe. Und sich die Vereinigten Staaten auf keinen Fall auf einen weiteren Konflikt in Europa einlassen dürften. Roosevelt musste in den Tagen nach dem 7. Dezember 1941 entsprechend auf der Hut sein.

Brendan Simms, Jahrgang 1967, lehrt Geschichte der internationalen Beziehungen an der Universität Cambridge. Der irische Historiker ist Experte für die Geopolitik Europas und die Geschichte Deutschlands. Simms verfasste zahlreiche Bücher wie "Die Briten und Europa. Tausend Jahre Konflikt und Kooperation" oder das vieldiskutierte "Hitler. Eine globale Biographie". Gerade erschien sein neuestes Werk (zusammen mit Charlie Laderman) "Fünf Tage im Dezember. Von Pearl Harbor bis zur Kriegserklärung Hitlers an die USA".

Diese Erfahrung machte auch Churchill, der eigentlich schnellstmöglich in die USA reisen wollte. Immerhin hatten die Japaner im Dezember 1941 auch britische Gebiete im Fernen Osten attackiert.

Die Vertrauten Roosevelts winkten angesichts von Churchills Reiseplänen auch entgeistert ab. Ein britischer Premier, der nach Pearl Harbor in Washington Stimmung dafür machen wollte, zuerst ausgerechnet gegen Deutschland zu kämpfen? Das wäre Wasser auf den Mühlen der Gegner Roosevelts gewesen. Was sollte Churchill aber sonst auch machen? Die Briten brauchten die USA verzweifelt im Krieg gegen Hitler.

Wir haben nun immer wieder den Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 erwähnt: Welche Bedeutung hat dieses Ereignis in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs eigentlich?

Für die Amerikaner war Pearl Harbor ein Schock in jeglicher Hinsicht: militärisch, politisch, psychologisch. Die Japaner hatten es vollbracht, einen großen Angriffsverband über eine gewaltige Strecke durch den Pazifik unbemerkt in die Nähe Hawaiis zu bringen …

… wo die amerikanische Pazifikflotte stationiert gewesen ist.

Genau. In zwei Angriffswellen griffen Hunderte japanische Kampfflieger anschließend die dort befindlichen amerikanischen Kriegsschiffe an und richteten gewaltige Schäden an. Vor allem die US-Schlachtschiffe wurden schwer getroffen.

Allerdings waren die Einheiten, die für den Verlauf des Pazifikkriegs entscheidend sein sollten, fern von Hawaii: die amerikanischen Flugzeugträger wie etwa die "USS Enterprise".

Und genau das machte aus Pearl Harbor für die Japaner eigentlich einen Pyrrhussieg. Denn die Flugzeugträger erwiesen sich tatsächlich als die Waffe der Zukunft. Was sich mit dem amerikanischen Sieg in der Schlacht von Midway im Juni 1942 später deutlich zeigen sollte. Der japanische Befehlshaber bei Pearl Harbor, Admiral Yamamoto Isoroku, glaubte übrigens auch noch an den Nutzen der großen Schlachtschiffe.

Admiral Yamamoto ist eine bemerkenswerte Figur in diesem Krieg. Er hatte in den USA gelebt, war ebenso beeindruckt wie eingeschüchtert von ihrem gewaltigen industriellen Potenzial, dass diejenigen der drei Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan zusammengenommen bei weitem übertroffen hat.

Yamamoto hatte einen ziemlich realistischen Blick auf die Situation. Es gibt ein berühmtes Zitat von ihm, wonach er sinngemäß im Krieg gegen die USA und Großbritannien bis zu 12 Monate lang Erfolg für Erfolg im Kampf gegen die USA hätte erringen können. Falls der Krieg aber länger ginge, hatte er keinerlei Hoffnung für Japan.

Warum aber griffen die Japaner dann trotzdem an?

Die USA bemühten sich seit längerer Zeit, Japans Expansionsdrang einzudämmen. Dazu setzten sie etwa auf verschiedene wirtschaftliche Embargos. Anders gesagt: Auf japanischer Seite fühlte man sich von den USA benachteiligt, die wiederum mehr oder weniger ihre Interessen allerorten durchsetzten. Japan wollte Ende 1941 zuschlagen, solange es das überhaupt noch vermochte. Und die Gelegenheit günstig war.

Zumal sich die Japaner ihres Verbündeten Hitlers auch alles andere als sicher waren.

Allerdings sollte Hitler die Japaner nicht enttäuschen: Am 11. Dezember 1941 erklärte er den USA den Krieg. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem die Rote Armee die Wehrmacht vor Moskau zurückschlug.

In Hitlers Weltsicht ergab die Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten Sinn. Was vor Moskau geschah, war den Deutschen fernab der Front auch noch gar nicht richtig bewusst am 11. Dezember 1941. An diesem Tag war er ganz mit den USA beschäftigt. Die angloamerikanische Welt spielte in seinem Denken ohnehin eine weitaus größere Rolle als viele Jahrzehnte lang angenommen worden ist. Den Krieg mit den USA hatte Hitler ohnehin schon seit langer Zeit vorausgesehen. Wenn schon Kampf gegen die Vereinigten Staaten, dann lieber früher als später – so lässt sich es ausdrücken. Seiner Meinung nach befand sich Deutschland sowieso bereits seit Jahren in einer Art Krieg mit den Vereinigten Staaten.

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Bitte erklären Sie das näher.

Das führte Hitler in seiner Rede am 11. Dezember 1941 vor dem Reichstag detailliert aus, wir schildern diese Szene in unserem Buch.

Hitler spickte seine Rede mit allerlei antisemitischen Beschuldigungen.

Selbstverständlich. Bitte missverstehen Sie das nicht, aber die USA unter Roosevelt taten in der Tat einiges, was Hitlers Missfallen erregte. So hatte Franklin D. Roosevelt 1937 zum Beispiel in Chicago seine berühmte "Quarantäne-Rede" gehalten, in der er forderte, Staaten wie das nationalsozialistische Deutschland, das faschistische Italien und das in China kriegführende Japan politisch zu isolieren. Dann lieferten die USA etwa auch verstärkt Kriegsmaterial an die deutschen Kriegsgegner nach Inkrafttreten des Leih- und Pachtgesetzes im Februar 1941.

Nicht zu vergessen die berühmte "Atlantik-Charta", die Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt im August 1941 verkündeten.

Richtig. Darin steht die Formulierung von der "endgültigen Vernichtung der Nazi-Tyrannei". Aus Hitlers Sicht war das eine Art Kriegserklärung.

Aber noch einmal nachgefragt: Warum erklärte Hitler seinerseits den USA den Krieg, wenn er es noch nicht einmal geschafft hatte, das viel kleinere Großbritannien zu bezwingen?

Weder Hitler noch die Japaner unterschätzten die wirtschaftliche und politische Stärke der Vereinigten Staaten. Aber der "Führer" hielt die Stunde für gegeben – ein paar Jahre später hätte die Situation noch viel schlechter aussehen können. Die Strategie bestand darin, eiligst einen blockadenfesten Machtbereich zu schaffen mit ausreichend Getreide, Erdöl und anderen Ressourcen. Oder gar die Amerikaner mit harten, schnellen Schlägen zu einem Frieden zu bewegen. Das gilt für Deutschland und Japan gleichermaßen.

Erhoffte sich Hitler nicht auch, dass die immer größeren Ströme an Kriegsmaterial aus den USA Richtung Großbritannien nach dem 7. Dezember 1941 eher an den pazifischen Kriegsschauplatz umgelenkt würden?

Das trifft wahrscheinlich zu. Tatsächlich sind die Lieferungen nach Pearl Harbor auch erst einmal zum Erliegen gekommen. Aber mit seiner Kriegserklärung hat Hitler den Amerikanern dann einen ganz großen Gefallen getan.

Was wäre denn geschehen, wenn Hitler den USA nicht den Krieg erklärt hätte? Und die Vereinigten Staaten ihre Soldaten nicht zum Kampf nach Europa gesandt hätten?

Das ist eine überaus spannende, aber nicht zu beantwortende Frage. Vielleicht wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die USA gegen die Nationalsozialisten angetreten wären. Denn selbst beim Angriff auf Pearl Harbor vermuteten viele Amerikaner die Strippenzieher in Deutschland. Allerdings wäre es Roosevelt schwergefallen, dies zu tun ohne Hitlers Hilfe. Denn er wollte das Land geeint in den Krieg gegen Deutschland führen.

Weil die Amerikaner gegenüber den Japanern rassistische Vorurteile hegten – und ihnen den gelungenen Angriff auf Pearl Harbor gar nicht zutrauten?

Ja. Japan galt als Hitlers Marionette im Pazifik. Menschen wollen gar deutsche Kampflieger über Pearl Harbor gesehen haben. In der "Washington Post" erschien damals auch ein Artikel, wonach "die japanischen Militaristen den Befehlen von Nazidrahtziehern" gehorcht hätten. Von Roosevelt wurde dieser Irrglaube auch geschickt genutzt, um die sogenannte Germany-first-Strategie durchzusetzen. Also zuerst Deutschland zu besiegen – und sich dann erst mit allen Kräften Japan zuzuwenden.

Der Krieg der Alliierten im Fernen Osten gegen Japan sollte sich dann bis ins Jahr 1945 fortsetzen. Heute ist der Pazifik erneut Raum eines sich verschärfenden Konflikts, dieses Mal zwischen den USA und dem erstarkenden China. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Eskalation?

Ein großer Krieg im Pazifik ist alles andere als unmöglich. Nun bin ich kein Prophet, sondern Historiker, aber der Rückblick auf das Jahr 1941 ist doch durchaus lohnend. China kritisiert zum Beispiel, dass der Westen das heute gültige internationale System etabliert habe. Und dass es auf unfairen Praktiken beruhe. An diesem Argument ist auch durchaus etwas dran, wenn man den Umgang der westlichen Staaten mit China im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts bedenkt.

Was aber immer noch keine Gewaltanwendung rechtfertigt.

Genau das ist der Punkt. Obwohl ich diese Meinung nicht teile, ist mir sehr bewusst, dass viele Menschen in China die derzeitige Verteilung von Macht und Wohlstand in der Welt als ungerecht empfinden. In dieser Hinsicht gibt es eine Parallele zwischen dem heutigen China und Deutschland und Japan von damals. Dazu tritt eine weitere Entwicklung: 1941 und schon zuvor haben die Politiker in den USA die vielen japanischen Warnsignale vor einer Eskalation nicht registriert. Ähnliches beobachte ich heute im Verhältnis zwischen Peking und Washington.

Im Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion wurden Mechanismen entwickelt, sich im Krisenfall verständigen zu können.

Und genau diese Möglichkeiten zum Dialog haben wir zurzeit nicht. Die USA könnten jederzeit in einen Krieg mit China hineinschlittern. Ein Beispiel: Falls China Taiwan besetzt, herrscht Krieg mit den USA. Hoffentlich wenigstens nicht mit Nuklearwaffen.

Was ist denn das beste Mittel, um einen Waffengang zu vermeiden?

Klarheit. Was sowohl sehr einfach als auch sehr kompliziert ist. Die Amerikaner müssen den Chinesen deutlich klarmachen, wo die Grenzen der Provokation liegen. Dann können beide Seiten vernünftiger miteinander umgehen.

Professor Simms, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Brendan Simms via Videokonferenz
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