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Düsseldorfer Altstadt: Nach tödlicher Messerattacke – "Wird immer aggressiver"


Tödlicher Streit unter Jugendlichen
"Seit Corona ist es definitiv schlimmer geworden"

Von Tim Hildebrandt

Aktualisiert am 26.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Polizeiwagen mit Blaulicht in der Düsseldorfer Altstadt Anfang Oktober: "Je später es wird, desto unsicherer wird es."Vergrößern des Bildes
Polizeiwagen mit Blaulicht in der Düsseldorfer Altstadt Anfang Oktober: "Je später es wird, desto unsicherer wird es." (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)

In der Düsseldorfer Altstadt häufen sich blutige Auseinandersetzungen, nach einem Streit vor einer Woche stirbt ein 19-Jähriger. Wie ist die Stimmung beim Partyvolk? Ein Samstagabend an der "längsten Theke der Welt".

Vor einer Woche erst war in Düsseldorf ein 19 Jahre alter Bottroper niedergestochen worden, am Dienstag erlag er seinen schweren Verletzungen. Bereits kurz vor der Tat hatte Oberbürgermeister Stephan Keller "Null-Toleranz"-Maßnahmen angekündigt, um der "Verlotterung" der Altstadt entgegenzuwirken. Die Polizei wollte unterdessen mit verstärkter Präsenz für mehr Sicherheit sorgen.

Und eine Woche später? Es ist Samstagabend. In den schmalen Gassen der Altstadt tummelt sich das Feiervolk, die Schlangen vor den Clubs werden mit jeder Minute länger. Die Menschen haben Spaß und feiern ausgelassen, die Generationen mischen sich friedlich. Cliquen aus ganz Deutschland haben sich versammelt, dazwischen Junggesellenabschiede. Altbier, Killepitsch und Co. fließen.

Düsseldorfer Altstadt: Schwere Messerattacke am frühen Abend

Der Abend wirkt ganz normal, und dennoch ist auch heute schon Gewalt in der Altstadt zu spüren gewesen: Wenige Stunden zuvor hatte es eine Auseinandersetzungen zwischen zwei Gruppen gegeben, am Ende zieht ein Beteiligter ein Messer, sticht mehrfach auf einen anderen ein. Das jugendliche Opfer überlebt schwer verletzt, schwebt zeitweise in Lebensgefahr. Eine Mordkommission ist eingerichtet, vom Täter fehlt jede Spur. Der Vorfall erinnert schmerzlich an die Tat vom vergangenen Wochenende.

Es ist ein unrühmlicher Schleier, der so auf die längste Theke der Welt geworfen wird. Und doch ist von diesem Schleier wenige Stunden später nicht viel zu erkennen. Über die gesamte Altstadt verteilt, von der Bolkerstraße bis hin zu den Kasematten, feiern die Anwesenden das Leben und alles, was es mit sich bringt. Viele sagen, sie hätten von der tödlichen Auseinandersetzung vor einer Woche noch nicht einmal etwas gehört.

"So schlechte Zeiten habe ich noch nie gesehen"

Andere betonen: Oberbürgermeister Keller spreche nicht ohne Grund von einer zunehmenden "Verlotterung". "So schlechte Zeiten habe ich noch nie gesehen", sagt beispielsweise ein türkischer Kioskbesitzer. "Ich arbeite seit 1999 in der Altstadt, aber die derzeitige Aggressivität ist etwas komplett Neues. Die Leute haben keinen Respekt mehr voreinander, schon gar nicht vor der Polizei. Sie klauen und schlagen sich, selbst bei mir hier im Laden."

Wie er sich diese Entwicklung erklärt? "Die menschliche Seite hat fertig. Es sind nur noch Egoisten unterwegs. Mein Auto, mein Geld. Alle wollen ein Luxusleben, aber nichts dafür tun. Die Stadt weiß das auch, glaube ich, aber bisher macht sie nicht viel dagegen."

Die größte Problemzone in der Altstadt ist schnell ausgemacht. Oberhalb der Kasematten liegt die Rheinuferpromenade, die eineinhalb Kilometer lang zwischen Altstadt und Rhein einen spektakulären Ausblick bietet und an der auch die Freitreppe liegt, an der sich der tödliche Angriff am 16. Oktober ereignete. Am Samstagabend ist die Promenade bevölkert von verschiedensten Grüppchen, die sich mit Ghettoblastern niederlassen und die jede für sich ihre ganz private Party feiern.

Zwei Personen, die schon seit Längerem dort arbeiten, sind entsetzt ob der Entwicklung der letzten Monate. "Es wird immer aggressiver. Der ganze Alkohol, die ganzen Drogen – und es gibt keine Kontrollen. Wo sind die Eltern der jungen Männer, die sich hier immer rumtreiben?"

Die Düsseldorfer Rheinpromenade als Spießrutenlauf für Frauen

Der Alkohol fließt ungehemmt, besoffene Jugendliche torkeln und pöbeln die Flaniermeile entlang, während der süßliche Geruch von Marihuana die Spaziergehenden unentwegt begleitet. Vereinzelte Grüppchen schreien sich aus mehreren Metern Entfernung an, manchmal einfach aus Spaß und zur Verständigung, manchmal um ihrer Aggressivität Lauf zu lassen und sich gegenseitig anzugehen.

Billige Anmachsprüche sind derweil an jeder Ecke präsent – für die entlanglaufenden Frauen auf der Promenade scheint der Gang bisweilen wie ein Spießrutenlauf zu sein. Rücksichtslos werden ihnen Beleidigungen an den Kopf geworfen, ist die eine Frau vorbei, wird die nächste angemacht.

"An den Kasematten ist es mittlerweile besonders schlimm", erzählen zwei 22-jährige Düsseldorferinnen. "Seit Corona ist es definitiv schlimmer geworden. Und es ist auch ganz egal, mit wem du unterwegs bist, man wird nur noch ekelig angemacht. Sagst du Nein, wirst du direkt übelst beleidigt." Ob sie sich noch sicher fühlen? "In der Menschenmasse schon, ja. Aber je später und leerer es wird, desto unsicherer wird es."

Ein gemeinsames Konzept von Stadt und Polizei? Fehlanzeige

Derweil fährt die Polizei Streife durch die Altstadt – ohne wirklich etwas bewirken zu können, wie es scheint. Vereinzelt hört man Rufe: "Die Bullen kommen!" Kleine Grüppchen verschwinden dann postwendend in dunklen Ecken. Von starker Polizeipräsenz ist an jenem Abend aber nichts zu spüren, am Burgplatz stehen drei Streifenwagen.

"Die Stadt geht davon aus, dass die Polizei mit dem gleichen Engagement ein Konzept entwickelt und ihrerseits alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die Sicherheit in der Altstadt zu gewährleisten", so ein Sprecher der Stadt in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Polizei und im Hinblick auf die angekündigten "Null-Toleranz"-Maßnahmen. Ein gemeinsames Konzept klingt anders.

Die Polizei selbst zieht ein positives Fazit der Nacht – mit Abstrichen. Neben dem Messerangriff am Abend sei die "Situation überschaubar und unauffällig" gewesen, so Andre Hartwich von der Pressestelle der Polizei Düsseldorf. "Solche Einzeldelikte zerstören das Bild einer ansonsten schönen Nacht. Es sind immer einzelne Leute, die nicht mit Gewaltexzessen klarkommen."

Auf die Frage nach der Polizeipräsenz hat er ebenso eine klare Meinung: "Wir leben nicht in einem Polizeistaat – und das ist auch gut so. Es ist nicht die Polizei, die sich ändern muss. Die Gesellschaft muss sich ändern."

Verwendete Quellen
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