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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Frauenfußball-Bundesliga Abschied von der SGS Essen: Trainer Högner zieht Bilanz

Zwölf Jahre lang war Markus Högner Cheftrainer der SGS Essen. Jetzt spricht er über seinen Abschied, seine schönsten Erinnerungen und die Zukunft des Frauenfußballs.
Er hat eine ganze Ära geprägt, hat insgesamt zwölf Jahre lang die SGS in der Frauen-Bundesliga betreut: Mit dem Saisonende hat sich Markus Högner als Cheftrainer verabschiedet und wird zum 1. Juli beim BVB in gleicher Position starten.
Im Interview mit t-online blickt der 58-Jährige zurück auf seine erlebnisreiche Zeit in Essen, verrät, welche Spielerin ihn am meisten beeindruckt hat, und spricht über die zunehmende Professionalisierung des Frauenfußballs, die auch Gefahren mit sich bringt.
t-online: Markus Högner, haben Sie schon realisiert, dass Ihre Zeit in Essen jetzt Vergangenheit ist?
Markus Högner: Ich konnte mich länger auf diesen Abschied vorbereiten, weil ich mich früh entschieden hatte, meinen Vertrag nicht zu verlängern. So richtig werde ich es realisieren, wenn ich demnächst auf der A43 nicht mehr nach rechts Richtung Essen fahre, sondern dann links nach Dortmund (lacht). Wenn du zwölf Jahre jeden Tag die gleiche Strecke fährst, entwickelst du schon eine gewisse Routine. Aber zu Veränderungen gehört es eben auch, Routinen aufzubrechen und neue Wege zu gehen.
Ist genau das der Grund, Essen den Rücken zu kehren und beim BVB in der 3. Liga noch einmal ein neues Projekt zu starten?
Auf jeden Fall. Ich hatte zu Saisonbeginn schon den Impuls, nach dieser Spielzeit etwas anderes anzugehen. Das ist nicht einfach, wenn du lange Zeit in einem Verein vieles entwickelt hast. Aber diese innere Stimme Richtung Veränderung war da.
Ich habe es als meine Kernaufgabe verstanden, junge Spielerinnen zu entwickeln
Markus Högner, Cheftrainer der SGS Essen
Die SGS ist ein Ausbildungsverein. War Ihre Entscheidung auch der Wunsch, diese Art von Selbstverständnis gegen ein finanzstärkeres Projekt zu tauschen?
Ich habe mich in dieser Hinsicht immer bei der SGS gesehen. Ich habe es als meine Kernaufgabe verstanden, junge Spielerinnen zu entwickeln. Und ich konnte immer gut damit umgehen, dass uns Spielerinnen nach einer gewissen Zeit verlassen haben, um den nächsten Schritt zu gehen. Das hat bei meiner Entscheidung tatsächlich keine Rolle gespielt.
Arbeiten Sie lieber mit Talenten oder mit gestandenen Spielerinnen?
Ganz klar beides. Ich habe es in Wolfsburg oder in der Nationalmannschaft auch genossen, mit erfahrenen Spielerinnen zu arbeiten. In Wolfsburg hattest du es mit absoluten Top-Spielerinnen zu tun. Das war auch eine Freude, diese Professionalität auf dem Platz zu spüren. In Essen habe ich zuletzt mit Ostermeier, Meißner, Rieke oder Ramona Maier auch sehr erfahrene und etablierte Bundesligaspielerinnen trainiert. Die brauchst du auch, sie sind zugleich ein Anker für die jungen Talente.
Wer war die beste Fußballerin, die Sie in Essen trainiert haben?
Ich möchte niemandem Unrecht tun, aber ich habe ein Faible für Zockerinnen und denke da vor allem an Linda Dallmann. Sie kam mit 17 Jahren als schüchternes Mädchen nach Essen. Sie ist eine, die wirklich das Außergewöhnliche kann. Sie blüht jetzt in der Nationalmannschaft auf der Zehner-Position richtig auf. Sie kann zwar auch außen spielen wie bei den Bayern. Aber wenn du sie schützt und ihr Selbstvertrauen gibst, dann ist sie zentral eine überragende Spielerin, von denen es weltweit nur wenige gibt.
Gibt es noch andere Namen, die Ihnen einfallen?
Spielerinnen wie Hegering oder Oberdorf sind auch überragend, aber ich habe sie nicht so lange begleitet. Nicht zu vergessen, Lea Schüller mit ihrer außergewöhnlichen Physis und ihrem ausgeprägten Torinstinkt. Und Jacky Meißner und Lena Ostermeier möchte ich noch erwähnen, die sich im Laufe der Jahre unfassbar entwickelt haben. Was beide auszeichnet, ist eine beeindruckende Konstanz – auch körperlich. Sie waren nahezu nie verletzt.
Welche Spielzeit mit der SGS wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?
2011/12 waren wir die Nobodys in der Liga. Mit einer ganz jungen Mannschaft sind wir am Ende Fünfter geworden, das war ein echtes Ausrufezeichen. Und ich denke natürlich gerne an die vorletzte Saison, als wir von Beginn an eine stabile Leistung gezeigt haben und Vierter geworden sind.
So ein vierter Platz kann auch Erwartungen wecken.
Ich habe immer davor gewarnt, die Erwartungen zu hoch anzusetzen. In der Bundesliga ist es zwischen Platz vier und zehn relativ eng, es gibt ein sehr breites Mittelfeld. Für Mannschaften in dieser Region ist es wichtig, möglichst schnell eine Stabilität aufzubauen. Die Aufsteiger werden in den nächsten Jahren immer stärker werden.
Wird die SGS trotzdem weiter eine gute Rolle spielen in der Bundesliga?
Die SGS verfügt über gesunde Strukturen. Es wurde noch mal an der Infrastruktur nachgebessert, das neue Funktionsgebäude wird bald fertig sein. Es gibt gute Trainingsbedingungen. Und die SGS hat sich vor allem bei jungen Spielerinnen einen Namen gemacht. Wer bei Top-Teams in der zweiten Mannschaft spielt oder in der 2. Liga schon Erfahrungen gesammelt hat, für den wird die SGS immer eine sehr gute Adresse sein. Dazu kommt die hervorragende Nachwuchsarbeit.
Steht aus Ihrer Sicht jeder hinter dem Konzept des Ausbildungsvereins?
Die Personen im inneren Kreis haben eine sehr realistische Einschätzung. Essen ist kein Klub, der horrende Gehälter bezahlen kann. Natürlich gab es im Umfeld nach Platz vier Stimmen, die gesagt haben, wir sollen nicht so tiefstapeln. Aber für mich standen immer die 20 Punkte im Vordergrund, die du für den Klassenerhalt brauchst. Die kannst du nach sieben Spieltagen haben, aber auch erst nach dem 16. Spieltag. Das muss für die SGS immer die absolute Priorität sein.
Ist Ihr bisheriger Co-Trainer Robert Augustin der richtige Mann für die Zukunft?
Er steht voll und ganz hinter diesem Konzept, ist ein hervorragender Trainer mit einem guten Blick für Spielsituationen. Er arbeitet sehr akribisch und fleißig. Der Verein hat genau die richtigen Personen installiert, was auch für Thomas Gerstner und Britta Heinke gilt. Dieses Trio deckt alles ab, was es braucht, um weiterhin erfolgreich zu sein. Wenn du ruhig und zielorientiert arbeitest, sich jeder seiner Rolle bewusst ist und es keine Eitelkeiten gibt, dann hast du auch Erfolg. Das war und ist der Schlüssel in Essen.
Wie hat sich der Frauenfußball im Laufe Ihrer vielen Jahre in Essen verändert?
Alles ist professioneller geworden – besseres Training, der Trainerstab ist gewachsen, mit fest angestellten Physios und Spezialtrainern, Analysen sind heute selbstverständlich, eine gewachsene Infrastruktur. Und nicht zuletzt die deutlich gestiegene mediale Aufmerksamkeit. Früher haben wir bei Bayern München sonntags um 11 Uhr vor 110 Zuschauern gespielt. Heute werden alle Spiele live im TV übertragen.
Die Fan-Nähe ist ein Stück weit das Herz des Frauenfußballs
Markus Högner, Cheftrainer der SGS Essen
Bewerten Sie die Entwicklung durchweg positiv, oder gibt es auch Einschränkungen?
Man muss aufpassen, dass man nicht alles aus dem Männerbereich dem Frauenfußball überstülpt. Das betrifft vor allem die Nähe zwischen Fans, Spielerinnen und Trainern. Früher fand die Pressekonferenz nach dem Spiel bei der SGS zusammen mit den Zuschauern im VIP-Raum statt. Das war eine sehr familiäre und auch gute Atmosphäre. Heute verlangt der DFB dafür einen separaten Raum. Man muss aufpassen, dass die Fan-Nähe nicht verloren geht. Das hat den Frauenfußball immer ausgemacht. Die Fan-Nähe ist ein Stück weit das Herz des Frauenfußballs.
Haben Sie keine Sorge, als BVB-Trainer gerade diese familiäre Nähe etwas zu verlieren?
Es wird meine Aufgabe sein, auch dort zu vermitteln, dass wir nahbar sind und bodenständig bleiben – und damit auch irgendwie ein Gegenentwurf zum Männerfußball. Borussia Dortmund ist ein Riesenschiff, dort gibt es noch mal andere Abläufe als in einem kleinen Verein wie der SGS. Aber mein Eindruck ist, dass den Verantwortlichen für den Frauenfußball beim BVB auch diese Nähe wichtig ist. Das sollten wir beibehalten.

Zur Person
Markus Högner ist Rekordtrainer der SGS Essen und hat aktuell fast 300 Pflichtspiele als Cheftrainer der Lila-Weißen auf dem Konto. Er führte die Essenerinnen 2014 und 2020 ins DFB-Pokalfinale und erreichte in der vergangenen Saison den vierten Platz in der Bundesliga. Seine Leistungen wurden zuletzt im Februar 2025 mit dem Titel Trainer des Jahres 2024 der Stadt Essen ausgezeichnet. Mit einer kurzen Unterbrechung in den Jahren 2016–2019, als Högner Co-Trainer bei der deutschen Frauen Nationalmannschaft und beim VfL Wolfsburg war, war er insgesamt 12 Jahre lang Cheftrainer des Essener Bundesligisten und formte in seiner Amtszeit eine Vielzahl an jungen Talenten zu gestandenen Bundesliga- und Nationalspielerinnen.
Trotzdem verfolgt Ihr neuer Verein sehr ambitionierte Ziele.
Beim BVB zählt nur der Weg nach oben und der Aufstieg. Dessen bin ich mir komplett bewusst und diese Challenge will ich für mich selbst auch haben. Wir wollen eine Mannschaft aufstellen, die eines Tages auch in der Bundesliga oben anklopft. Ich erwarte eine gewisse Dominanz und Klarheit, dass wir direkt in die Zweite Liga gehen und dort auch sofort eine gute Rolle spielen. Andere Mannschaften wie Union Berlin haben es vorgemacht.
Es gibt auch Kritik daran, dass Klubs wie Dortmund, Union, Bochum oder Schalke mit ihrer Finanzkraft jetzt auch in den Frauenfußball drängen.
Ich finde, dass es den Frauenfußball pusht. Auch international gesehen hast du gar keine andere Chance. Alles wird professioneller, die Bedingungen werden besser, die Spielerinnen bekommen bessere Verträge, du hast mehr Aufmerksamkeit. Aber es bleibt trotz allem reizvoll für Mannschaften wie die SGS, sich in der Bundesliga zu behaupten und zu etablieren. Du musst deine Rolle in diesem Gebilde finden, zum Beispiel als Ausbildungsverein. Ich bin fest davon überzeugt, dass die SGS das schafft.
- Gespräch mit Markus Högner