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Ukrainische Sanitäterin berichtet von russischer Gefangenschaft: "Wurden gefoltert"


Ukrainerin über russische Gefangenschaft
"Sie behandelten uns wie Sklaven"

Von Stefan Simon

Aktualisiert am 24.10.2022Lesedauer: 3 Min.
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Julija Pajewska in einer Uniform: Sie rettete in Mariupol etliche Leben.Vergrößern des Bildes
Julija Pajewska in einer Uniform: Sie rettete in Mariupol etliche Leben. (Quelle: Facebook von Julija Pajewska)

Die Sanitäterin Julija Pajewska ist in der Ukraine eine Berühmtheit und rettete in Mariupol etliche Leben – bis sie für drei Monate in russische Gefangenschaft geriet.

Niemals hätte Julija Pajewska gedacht, dass sie die Hölle in der russischen Gefangenschaft überleben würde. Drei Monate musste sie psychische wie physische Folter ertragen, lebte in einer winzigen Gefängniszelle auf 12 Quadratmetern mit 21 weiteren ukrainischen Gefangenen. Sie war abgemagert, wog zehn Kilogramm weniger. "Niemand durfte mich anfassen, nicht einmal meine Freunde durften mich umarmen", sagt sie im Gespräch mit t-online.

Die Wunden der Gefangenschaft saßen zu tief. "Als ich die ukrainische Grenze aus dem besetzten Gebiet Donezk überquerte, sah ich einen ukrainischen Soldaten", erzählt sie. Pajewska ringt nach Fassung. "Ich bin zu ihm gerannt und habe ihn umarmt." Sie wischt sich eine Träne aus dem Gesicht und lächelt.

Pajewska sitzt während des Gesprächs mit t-online in einem Café auf der Frankfurter Buchmesse. Sie wurde von ukrainischen Verlagen nach Frankfurt eingeladen. In der Ukraine ist sie eine Berühmtheit. Der Angriffskrieg auf die Ukraine spielte in diesem Jahr auch auf der Buchmesse eine Rolle: Es gab zahlreiche Veranstaltungen zum Thema und sogar einen eigenen Gemeinschaftsstand, an dem sich ukrainische Buchverlage präsentierten.

Pajewska filmte Behandlung von Verwundeten in Mariupol

Pajewska hatte als Rettungssanitäterin vor ihrer Gefangennahme etwa 20 Tage lang mehr als 256 Gigabytes erschütternde Aufnahmen mit ihrer Körperkamera gemacht – von der Behandlung Verwundeter in der belagerten Stadt Mariupol. Das Filmmaterial übergab sie Journalisten der Nachrichtenagentur AP auf einer winzigen Datenkarte. Die Journalisten verließen die Stadt am 15. März und schmuggelten die Karte in einem Tampon versteckt an 15 russischen Kontrollpunkten vorbei. Am nächsten Tag wurde Pajewska von prorussischen Kräften festgenommen.

Pajewska ist in der Ukraine berühmt geworden, für die Ausbildung von Feldsanitätern. Ihr blonder Haarschopf und ihre Tattoos an beiden Armen sind ihre Markenzeichen. Bis 2013 arbeitete die 53-Jährige als Designerin und Aikido-Trainerin.

Während der Maidan-Proteste in Kiew 2013 nahm Pajewska die Tätigkeit als Sanitäterin auf. Ein Jahr später ging sie an die Front, als der Krieg im Donbass begann. Insgesamt bildete sie rund 8.000 weitere Sanitäter aus. Ihre Freiwilligentruppe wurde als "Taira's Angels" ("Tairas Engel") berühmt. Mit Beginn der russischen Invasion kümmerte sich Pajewska bis zu ihrer Verschleppung um die Versorgung und Evakuierung von Verwundeten in Mariupol.

Am Tag ihrer Verschleppung fuhr Pajewska mit zwei Ukrainern aus Mariupol heraus in Richtung Grenze. Mariupol liegt in der Oblast Donezk auf dem Territorium, das prorussische Kämpfer kontrollieren. An einem Checkpoint in der Stadt Manhush, etwa 20 Kilometer westlich von Mariupol gelegen, kontrollierten russische Soldaten ihre Dokumente. "Als sie zurückkamen, nahmen sie uns fest", erinnert sich Pajewska.

Sie wählt ihre Worte nun mit Bedacht – aus Angst, die noch inhaftierten Ukrainerinnen zu gefährden. In der Haft habe "der Psychoterror in den drei Monaten zu keiner Minute nachgelassen", berichtet sie. Während der Folter erlitt Pajewska mehrere Verletzungen: gebrochene Knochen, gebrochene Rippen, eine Fraktur an der rechten Schulter. Ihre Aussagen decken sich mit den Berichten anderer ukrainischer Gefangener.

Nur einmal habe sie in der Zeit duschen können. Pajewska benötigt zudem Hormonpräparate. Die Tabletten wurden ihr abgenommen, als sie in Gefangenschaft geriet. Erst am zehnten Tag nach ihrer Festnahme gaben die Russen sie ihr zurück. "Sie warfen mir die Pillen auf den Boden", sagt sie.

Durch die Schläge leidet Pajewska bis heute unter Kopfschmerzen

Durch die ständigen Schläge leidet Pajewska unter regelmäßigen Kopfschmerzen. "Wir wurden alle gefoltert. Anderen Gefangenen, die entweder schwer verletzt oder krank waren und nach Schmerzmitteln fragten, hat man nicht geglaubt. Dann schlugen die Gefängniswärter einfach zu", erzählt sie. "Sie behandelten uns wie Sklaven." Ihre Peiniger seien von der russischen Propaganda geblendet. "Sie sagten, die ganze Welt muss sich Großrussland unterwerfen. Das sei vorherbestimmt. Wir müssten es akzeptieren und aufhören, Widerstand zu leisten."

Ununterbrochen sei sie als Nazi beschimpft worden. Die Russen warfen ihr vor, Menschen getötet zu haben. "Aber die Videos zeigen ja das Gegenteil", sagt Pajewska. Sie ist überzeugt, dass ihre Videoaufnahmen ihr Leben gerettet haben.

Am 17. Juni wurde Pajewska durch einen Gefangenenaustausch aus der russischen Haft entlassen. Zuvor hatte es in der Ukraine eine Solidaritätsaktion für die 53-Jährige gegeben. Präsident Wolodymyr Selenskyj verkündete am Tag ihrer Befreiung: "Wir haben es geschafft, Taira, die ukrainische Sanitäterin Julia Pajewska, freizubekommen."

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