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Hamburg: Name eines Mannes für Morddrohungen gegen Ärztin missbraucht


Morddrohungen gegen Ärztin
Wie der Name eines Hamburgers für Hass im Netz missbraucht wurde

  • Gregory Dauber
Von Gregory Dauber

Aktualisiert am 09.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Hass im Internet führt auch in der analogen Welt zu Bedrohung und Gewalt (Symbolfoto): Die Täter sind für Behörden oft schwer zu ermitteln.Vergrößern des Bildes
Hass im Internet führt auch in der analogen Welt zu Bedrohung und Gewalt (Symbolfoto): Die Täter sind für Behörden oft schwer zu ermitteln. (Quelle: Thomas Trutschel/imago-images-bilder)

Eine Ärztin aus Österreich erhält im Namen eines Hamburgers Morddrohungen. Doch dieser Mann ist selbst ein Opfer von Rechten.

Nach Monaten voller Morddrohungen kann Lisa-Maria Kellermayr das Risiko für sich und ihre Mitarbeiter nicht mehr tragen. "Ich habe kein Problem damit, längere Zeit abzuwarten, bis ich zuschlage", heißt es in einer Mail vom 3. Mai, die t-online vorliegt und auch auf der Webseite der Ärztin veröffentlicht wurde. Ende Juni schloss sie ihre Praxis aus Angst um sich und ihre Mitarbeiter. Der angebliche Name des Absenders: Claas.

Das ist kein ausgedachter Name. Claas ist ein Mann aus Hamburg, der sich mit t-online getroffen hat. Er ist seit Jahren auf Twitter aktiv und meldet dort diskriminierende, gewaltverherrlichende und verschwörungstheoretische Beiträge. Das Perfide: Claas wird schon jahrelang selbst aus der rechten Ecke bedroht, weil er sich zum Feindbild der Internet-Hasser gemacht hat.

"Ich bin nervlich am Ende, mir droht die Zahlungsunfähigkeit"

Die Geschichte der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr ist eines der größten Themen dieser Tage in der österreichischen Presse. Bekannt geworden ist sie mit Interviews während der Corona-Pandemie und Tweets, in denen sie sich mit Corona-Leugnern anlegte. Sie warb für Impfungen und zog damit den Hass auf sich, wird beleidigt und bedroht. Für Sicherheitsmaßnahmen hat sie laut eigener Webseite schon mehr als 100.000 Euro ausgegeben. "Ich bin nervlich am Ende, mir droht die Zahlungsunfähigkeit", zitiert die Wiener Tageszeitung "Der Standard" Kellermayr.

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Die Geschichte der Ärztin beschäftigt mittlerweile höchste politische Kreise in Österreich. "Ich habe sieben Monate gekämpft, ich weiß nicht, was ich noch tun soll", sagte die Ärztin, die, so die Zeitung weiter, "alle im Parlament vertretenen Parteien, die Polizei und die Ärztekammer alarmiert" habe. Von den Behörden fühlt sie sich alleingelassen, die anonymen Täter und Hetzer konnten nicht ermittelt werden. Man sei an "technische Grenzen gestoßen", erklärt die Polizei Oberösterreich dem "Standard".

Zwei E-Mails bekam die Ärztin von "Claas"

Mindestens zwei E-Mails, eine am 22. November 2021 und eben die vom Mai, waren mit "Claas" unterschrieben. Der Betreff der ersten Mail: "Ich werde dich hinrichten." Von "abschlachten", einer Schrotflinte und "einem deiner Mitarbeiter die Kehle durchschlitzen" ist darin die Rede. In der Absenderadresse ist der volle Name von Claas zu finden. Doch eine deutsche Hackerin fand heraus, dass nicht Claas dahintersteckt, wo Claas draufsteht. Ende Juni wurde die 24-jährige Nella, die sich online "N3ll4" nennt, auf den Fall aufmerksam. Sie stellte die Verbindung zu dem Hamburger her und kontaktierte ihn.

"Ich war natürlich im ersten Moment erschrocken", sagt Claas zu t-online. "Dann habe ich es aber als einen weiteren Provokationsversuch abgetan und Kontakt zur Ärztin und der Polizei aufgenommen." Der Hamburger ist Schikanen wie diese mittlerweile gewöhnt: Seit einigen Jahren schon ist er mit einer Gruppe von bundesweiten Aktivisten auf Twitter aktiv und meldet justiziable Inhalte. 2019 wurde er "gedoxxt". Das bedeutet, dass persönliche Informationen über ihn im Internet veröffentlicht wurden, um ihn einzuschüchtern. Seinem Kampf gegen Hass, Hetze und Fake News habe das keinen Abbruch getan – "im Gegenteil, das motiviert mich", sagt er.

Auch der echte Claas erhielt Todesdrohungen

Zuerst wurde sein privates Instagram-Profil veröffentlicht, später seien weitere persönliche Details im Internet zu finden gewesen. "Eine rechtliche Handhabe dagegen gibt es nicht wirklich. Das ist frustrierend", äußert Claas im Gespräch mit t-online. Er bringe trotzdem alles zur Anzeige, stehe regelmäßig in Kontakt mit dem Landeskriminalamt. Wie die Anonymen die teils konkreten Informationen herausgefunden haben, wisse er bis heute nicht. Es folgten weitere Belästigungen, bis hin zu Morddrohungen.

"Natürlich denkt man darüber nach, was das alles bringt. Aber es gibt immer wieder auch Erfolge. Es geht um Zivilcourage", sagt er. Mit seinem Aktivismus wolle er auf den Internethass aufmerksam machen und andere motivieren, mitzumachen. Von anderen Aktivisten kenne er ähnliche Erfahrungsberichte. "Etwas richtig Schlimmes ist noch nie passiert, mir zumindest nicht." Wirklich bedroht fühle er sich nicht. "Eher denke ich, dass sich durch solche 'Doxxings' und andere Anfeindungen Dritte motiviert fühlen könnten und davon mal einer durchdreht", so Claas.

Hackerin: "Bekanntes Muster rechter Trolle"

Dieser Mann aus Hamburg soll nun Drohmails nach Österreich schicken? "Das ist ein bekanntes Muster dieser rechten Trolle, um Leute zu denunzieren", sagt Hackerin Nella t-online. "Die missbrauchen Identitäten politischer Gegner und bedrohen damit andere." Wie im Fall Kellermayr. "Als ich die Mails an die Ärztin gesehen habe, hatte ich sofort einen Verdacht. Über diverse Fake Accounts, die in Claas Namen erstellt worden sind, bin ich dann ziemlich schnell auf den echten Claas gekommen", erklärt sie ihr Vorgehen. Die Behörden in Österreich hatten das nicht geschafft.

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Hackerin will Verantwortlichen für Drohmails ausfindig gemacht haben

Nella nennt sich selbst 'Hacktivistin' und arbeitet beruflich als Expertin für Cybersicherheit. Sie habe es sich zur Aufgabe gemacht, in ihrer Freizeit Kriminelle über das Internet zu überführen. Insbesondere Pädokriminelle und Stalker, die sich unter anderem im Netz an Minderjährige heranmachen, habe sie im Visier. Im schlimmsten Fall kommt es beim "Cybergrooming" zu realen Treffen und sexuellem Missbrauch. Nella überführt diese Täter und übergibt den Behörden Beweismaterial. Die Betroffenen melden sich über ihre Webseite. Ihre Motivation: "Ich bin bei den Zeugen Jehovas aufgewachsen, habe Cybergrooming und sexuellen Missbrauch erlebt."

Doch wer steckt nun tatsächlich hinter den E-Mails voller Gewaltfantasien, die in Claas' Namen an die Ärztin gingen? Nella vermutet dahinter eine Gruppe Rechtsextremer aus Deutschland und Österreich. Zentrale Figur soll ein Mann aus Berlin sein, der polizeibekannt ist. Der Name ist t-online bekannt, wird aber nicht genannt, um Quellen zu schützen und mögliche Ermittlungen nicht zu gefährden. Ob dieser Mann tatsächlich hinter den Mails an Kellermayr steckt, ist nicht belegbar. Nella legt aber starke Indizien zur Identität vor, die ihrer Aussage nach reges Interesse deutscher Ermittler geweckt haben.

Polizei könne nicht einfach "irgendwelche Personen online kontaktieren"

Die Zeitung "Der Standard" zitiert einen Sprecher der Staatsanwaltschaft Wels im oberösterreichischen Alpenvorland: Die Polizei könne nicht einfach "irgendwelche Personen online kontaktieren und deren nicht verifizierte Angaben dann als Basis für weitere Ermittlungshandlungen oder gar Zwangsmaßnahmen heranziehen". Mittlerweile hätten, so das Blatt, österreichische Ermittler den Erhalt zahlreicher von Nella zusammengetragener Informationen bestätigt und den Namen des möglichen Verdächtigen nach Deutschland weitergegeben. Für die Verfolgung dieser Spur seien nun deutsche Behörden zuständig.

Der Fall unterstreicht eindrücklich, wie schwer sich Sicherheitsbehörden teilweise tun, vermeintlich anonyme Täter im Internet zu ermitteln. Erst Ende Mai hatte eine Recherche des "ZDF Magazin Royale" von Jan Böhmermann eklatante Missstände in deutschen Polizeibehörden beim Thema Hassverbrechen im Internet offenbart. Claas sieht aber vor allem die Betreiber der Plattformen in der Pflicht: "Die Betreiber müssen noch viel schneller und härter gegen Nutzer, die Hass und Falschnachrichten verbreiten, vorgehen."

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