"Scholz wird nicht zu Xi fahren und Nein sagen"
Der GesprΓ€chspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. AnschlieΓend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Der Bundeskanzler steht alleine auf weiter Flur: Im Streit um den chinesischen Einstieg im Hamburger Hafen bahnt sich ein Alleingang von Olaf Scholz an.
Ausgerechnet sein geliebtes Hamburg sorgt wieder fΓΌr Γrger im Bundeskanzleramt. Olaf Scholz soll Medienberichten zufolge den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco bei einer Tochter des Hamburger Hafenlogistikers HHLA forcieren wollen. Sechs Ministerien, die Nachrichtendienste sowie Politiker aller Parteien sind anderer Meinung. Der Kanzler steht massiv unter Druck.
In zwei Wochen reist Scholz ausgerechnet dorthin, wo das grΓΆΓte Interesse an einem erfolgreichen Deal zwischen Cosco und dem Hamburger Hafen herrschen dΓΌrfte: zu Chinas Machthaber Xi Jinping. Wird der Kanzler den Schutz kritischer Infrastruktur ΓΌber ein vielversprechendes Wirtschaftsprojekt in Deutschlands wichtigstem Hafen stellen?
Handelsexperte Rolf J. Langhammer vom Kieler Institut fΓΌr Weltwirtschaft erklΓ€rt im Interview mit t-online, was Pekings Motivation sein dΓΌrfte: die Kontrolle der Lieferketten zwischen Fernost und Europa, auf See wie technologisch. "Wer die Lieferkette komplett kontrolliert, kontrolliert damit auch kritische Infrastruktur", warnt Langhammer.
t-online: Macht sich Deutschland durch diesen Deal, der da im Raum steht, erpressbar?
Rolf J. Langhammer: Diese BefΓΌrchtung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Und zwar deswegen, weil Cosco verspricht, im Falle der Genehmigung Hamburg zum bevorzugten Drehkreuz fΓΌr seinen Handel zu machen. Solche Zusagen kann ein privatwirtschaftlich gefΓΌhrtes Unternehmen an sich nicht machen, sondern das kann nur ein Staatskonzern. Und die Frage steht natΓΌrlich im Raum, was passiert, wenn Hamburg diese Beteiligung nicht vom Bund genehmigt bekommt? WΓΌrde dann Cosco Ladung abziehen oder sich auf andere HΓ€fen konzentrieren? Das wissen wir nicht. Insofern ist da ein gewisses Erpressungspotenzial schon gegeben. Das alles geschieht vor dem derzeitigen Hintergrund schlechter wirtschaftspolitischer Beziehungen zu China.
Kann sich Deutschland ein Nein zu diesem Deal ΓΌberhaupt leisten?
Vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Spannungen ist es besonders wichtig zu ΓΌberprΓΌfen, welche Konsequenzen eine Beteiligung oder eine Ablehnung hΓ€tte. Hamburg ist von ΓΌberragender Bedeutung im China-Handel. China ist mit Abstand der grΓΆΓte Handelspartner, beim Import schon seit vielen Jahren die Nummer eins, beim Export die Nummer zwei nach den USA. Die Beziehungen zwischen China und Hamburg sind seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten sehr intensiv. Von daher ist es fΓΌr Hamburg undenkbar, dass diese Beteiligung abgelehnt wird. Ich persΓΆnlich bin dafΓΌr, dass sie genehmigt wird β allerdings unter Auflagen. Mich interessieren die mittelfristigen Strategien von Cosco. Speziell, was die sogenannte digitale SeidenstraΓe angeht, also die digitale Handhabung des Transports. Da hat Cosco viel vor.
Sie sprechen von neuen digitalen MΓΆglichkeiten, die Fracht abzuwickeln. Wo genau wΓ€re deutsche kritische Infrastruktur in Gefahr oder bedroht?
ZunΓ€chst einmal muss man fragen, ob Cosco durch den Deal eine marktbeherrschende Position in der digitalen Abwicklung des Handels bekommt und ob China diese marktbeherrschende Position missbrΓ€uchlich zulasten von Wettbewerbern ausnutzen kann. Die zweite Frage betrifft die Kompetenz in der Digitalisierung. Da ist uns China in vielen Dingen weit voraus. Dieser Vorsprung wΓΌrde unter UmstΓ€nden ausgebaut. MΓΆglicherweise bekommt China Kontrolle ΓΌber die Daten von nicht-chinesischen Kunden und ihrem Verhalten, ihren PrΓ€ferenzen im Handel. Diese Daten stΓΌnden damit dem Zugriff der chinesischen FΓΌhrung offen. Da China ein autokratisch regiertes Land ist, kΓΆnnte dieser Zugriff noch sehr viel intensiver bei einem Staatsunternehmen wie Cosco laufen. Wer die Lieferkette komplett kontrolliert, kontrolliert damit auch kritische Infrastruktur.
Die Verweigerung von Zugriff auf andere Kundendaten wΓ€re also eine der Bedingungen, die Sie fΓΌr diesen Deal nennen wΓΌrden?
Ja, ich mΓΆchte erst mal wissen, was mit diesen Daten geschieht. Mich interessiert, wie diese Technologie aussieht. Ist sie geschlossen in dem Sinne, dass Wettbewerber da nicht rankommen? Wie weit reicht sie? Umfasst sie praktisch die gesamte Lieferkette, die Cosco ΓΌber die maritime SeidenstraΓe, also ΓΌber die Beteiligung an den HΓ€fen, und ΓΌber die digitale Infrastruktur kontrolliert?
Dass der deutsche Standort vom chinesischen Partner mit fortschrittlicher Technologie auch profitieren kΓΆnnte, halten Sie fΓΌr nicht denkbar?
Doch, sicher. Man wird ja sehen, wie viel Geld Cosco in die Hand nehmen will. Das ist sicherlich auf kurze Sicht sehr positiv. Ich spreche keinesfalls von Abkopplung, das sollte auf keinen Fall geschehen. China ist ein sehr, sehr wichtiger Handelspartner fΓΌr uns und soll es auch bleiben. Nur die Unternehmen mΓΌssen auch sehen, wem sie ihre Daten anvertrauen und was mit diesen Daten geschieht. Das sind unternehmensspezifische und heikle Daten. Die Frage ist letztlich: Ist das alles Teil einer politischen Strategie, weil Cosco eben kein privatwirtschaftliches Unternehmen, sondern ein Staatskonzern ist?
WΓΌrde sich Cosco auf die Bedingungen, wie Sie sie formuliert haben, einlassen?
Das weiΓ ich nicht. Was mich nur gewundert hat ist, dass die HHLA dieses Thema unter den Tisch gekehrt hat. Die HHLA vertritt den Standpunkt, dass Cosco keine Anteile am Hamburger Hafen erwirbt, auch nicht an der HHLA, sondern nur an einer Betreibergesellschaft eines der vier Terminals. Zweitens wird gesagt, die Chinesen bekommen keinen Einblick in die kritische Infrastruktur des Hamburger Hafens. Wie genau das laufen soll, wird nicht gesagt. Manchmal klingt das fΓΌr mich so, als ob das aus einer anderen Zeit stammt, noch vor der Bedeutung der GeoΓΆkonomie, als die Γberzeugung, dass freier Welthandel allen hilft, von allen geteilt wurde.
Gilt das heute nicht mehr?
Das ist schon lange nicht mehr der Fall. Grenzen spielen wieder eine groΓe Rolle und die Frage der Kontrolle ΓΌber Ressourcen, RΓ€ume und Routen auch. Und die SeidenstraΓen-Initiative ist nichts anderes als eine Strategie, mit der China Kontrolle erlangen kann. In Deutschland und auch in Hamburg denkt man zu kurzfristig und schlieΓt von einer guten Beziehung in der Vergangenheit auf die Zukunft und blendet geoΓΆkonomische und politische Fragestellungen aus.
Γberrascht Sie die Uneinigkeit, mit der die Bundesregierung gerade agiert? Sechs Fachministerien und die Nachrichtendienste sollen klar gegen den Deal sein.
Dass das AuswΓ€rtige Amt und das Wirtschaftsministerium unter der FΓΌhrung der GrΓΌnen Vorbehalte haben wird, hatte ich erwartet. Dass aber auch die FDP als Verfechterin freien Handels dagegen ist, hat mich doch ein bisschen verwundert. Auch die CDU sagt Nein, was aber auch parteipolitische GrΓΌnde haben kann.
Wie kann Bundeskanzler Olaf Scholz diese Situation nun lΓΆsen?
Olaf Scholz ist Hamburger, er kennt Cosco und seine Bedeutung fΓΌr den Hafen natΓΌrlich sehr gut. Er war ja schon, wenn man so will, als BΓΌrgermeister an der GeschΓ€ftsanbahnung beteiligt und ist vom Nutzen der Beteiligung von Cosco ΓΌberzeugt. Olaf Scholz wird im November nicht zu Xi Jinping fahren und Nein sagen. Er wird eine KompromisslΓΆsung anstreben. Deswegen finde ich die Auflagen so wichtig. Deutschland braucht Transparenz und die Sicherheit. Man kΓΆnnte rein formal argumentieren und sich damit behelfen, dass am Ende der EuropΓ€ische Gerichtshof entscheiden muss, ob Daten von nicht-chinesischen Kunden auf chinesischen Servern liegen dΓΌrfen. Ein Γ€hnliches Problem hat es schon vor einigen Jahren im VerhΓ€ltnis zu den USA gegeben. Da hat der EuropΓ€ische Gerichtshof eine Vereinbarung zwischen den USA und der EU gekippt, die vorsah, dass sicherheitsrelevante Daten von EuropΓ€ern auf amerikanischen Servern gespeichert werden konnten.
- Telefonisches Interview mit Rolf J. Langhammer