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Apotheker berichtet: "Krebspatientinnen stehen weinend in meiner Apotheke"


Medikamentenmangel in Deutschland
"Krebspatientinnen stehen weinend in meiner Apotheke"

  • Gregory Dauber
Von Gregory Dauber

Aktualisiert am 05.12.2022Lesedauer: 3 Min.
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Tabletten liegen in einer geöffneten Hand (Symbolbild): In Deutschland werden immer mehr Medikamente knapp.Vergrößern des Bildes
Tabletten liegen in einer geöffneten Hand (Symbolbild): In Deutschland werden immer mehr Medikamente knapp. (Quelle: Michael Bihlmayer/imago images)

Apotheker schlagen Alarm: Viele Medikamente sind in Deutschland kaum mehr lieferbar. Kinder, Krebspatienten und Herzkranke leiden darunter.

Der Medikamentenmangel in Deutschland wird immer schwerwiegender: Produzenten kommen nicht hinterher oder nehmen Wirkstoffe aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Sortiment – weil sie nicht mehr kostendeckend produziert werden können. Außerdem zeigt sich die empfindliche Abhängigkeit von Lieferketten aus dem Ausland. Ein Hamburger Apotheker berichtet t-online von dramatischen Szenen, die sich in seiner Filiale abspielen.

Jeden Tag muss Lutz Schehrer gestresste Eltern oder verzweifelte schwerkranke Menschen enttäuschen, weil Medikamente nicht verfügbar sind. "Krebspatientinnen stehen weinend in meiner Apotheke. Eltern sind mit den Nerven am Ende, weil sie nichts gegen die Schmerzen ihrer Kinder tun können", erzählt der Hamburger Apotheker t-online. "Der Frust ist riesengroß, manche Patienten müssen stundenlang rumtelefonieren, bevor sie fündig werden."

Hamburger Apotheker: "Riesengroße Belastung für Kranke und das medizinische System"

Viele Medikamente seien derzeit gar nicht oder nur selten lieferbar, sagt Schehrer. Schmerzmittel für Kinder, Breitbandantibiotika, verschiedene Arzneien für Menschen mit Herzschwächen und Herzrhythmusstörungen, oder Präparate für schwerstkranke Brustkrebspatientinnen sind nur einige aktuelle Beispiele. "Das ist eine riesengroße Belastung für Kranke und das gesamte medizinische System", prangert Schehrer den Missstand an. Eine schnelle Lösung der Situation sei nicht in Sicht.

Die Probleme seien vielfältig, so Schehrer. "Deutschland ist vom Ausland abhängig, wir haben kaum eigene Produktionsstätten. Die Lieferketten laufen unrund oder gar nicht, auch die Lockdowns in China haben massive Auswirkungen." Doch die Gründe liegen laut Schehrer auch im deutschen System: "Wir haben zwar mitunter die höchsten Qualitätsstandards, zahlen aber längst keine vernünftigen Preise mehr. Der Kostendruck der Krankenkassen ist zu hoch", sagt er.

Beschaffung von Medikamenten ist kompliziert

"Vereinfacht gesagt verhandelt jede Kasse mit jedem Produzenten für jeden rezeptpflichtigen Wirkstoff eigene Preise", erklärt der Sprecher des Hamburger Apothekervereins. Das mache die Beschaffung extrem kompliziert und Deutschland zudem zu einem unattraktiven Markt für Produzenten. "Viele Medikamente können bei diesen Preisen nicht kostendeckend hergestellt werden." Die Folge: Deutschland geht leer aus.

Noch komme jeder Patient irgendwie zu einer Medikation, vermutet Schehrer. "Das ist oft aber mit riesigem Aufwand verbunden und erfordert viel Kreativität." Die Alternativen: Jonglieren mit Wirkstoffkonzentration und Dosierung oder ausweichen auf andere Apotheken – zur Not auch in Kliniken. "Jede Abweichung vom Rezept muss mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Es bleibt aber die Gefahr, dass die Krankenkassen sich bei der Abrechnung querstellen und Apotheker auf den Kosten sitzen bleiben."

Manche Mittel wie Paracetamol-Säfte für Kinder könnten zwar auch selbst von den Apothekern hergestellt werden, doch das sei um ein Vielfaches teurer. "Das wird uns nicht bezahlt", sagt Schehrer. Es gebe auch noch ein viel praktischeres Problem: "Wir bekommen diese Säfte nicht so schmackhaft hin wie die großen Produzenten, das will kein Kind zu sich nehmen."

Medikamentenknappheit: "Die Situation wird immer katastrophaler"

Schehrer fordert sofortiges Handeln der Politik. "Die Situation wird immer katastrophaler. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Wir sind immer noch in einem hoch entwickelten Land in Westeuropa." In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass die intensivmedizinische Versorgung für Kinder vielerorts am Limit ist (Lesen Sie hier mehr dazu).

"Gesundheitsminister Lauterbach ist natürlich über die Problematik informiert", sagt Apotheker Schehrer, "er hat aber auch viele andere Probleme, die zu lösen sind". Er fordert, dass schnellstmöglich Krisengespräche zwischen Politik, Krankenkassen, Ärzten, Apothekern und Produzenten geführt werden. "Perspektivisch brauchen wir wieder ausreichend Produktionsstätten in Europa. Aber es braucht auch kurzfristig einen Notfallplan."

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Dr. Lutz Schehrer, Nord-Apotheke Hamburg
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