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Polizeigewalt am 1. Mai in Hamburg: Schwer verletzter Aktivist äußert sich


Verletzter berichtet
Polizeigewalt am 1. Mai: "Gekrampft, Schaum vor dem Mund"


Aktualisiert am 05.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Bereitschaftspolizisten stehen in der U-Bahn: Bei der Haltestelle Schlump kam es zu Zusammenstößen.Vergrößern des Bildes
Bereitschaftspolizisten stehen in der U-Bahn: Bei der Haltestelle Schlump in Hamburg kam es zu Zusammenstößen. (Quelle: Jannis Große)

Der 1. Mai wird in Hamburg traditionell von großen Demonstrationen linker und linksradikaler Gruppen begleitet. In diesem Jahr wurde ein junger Mann schwer verletzt.

Der 1. Mai in Hamburg war in diesem Jahr relativ ruhig. Für Benjamin* wird dieser Tag aber nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Der 19-Jährige wurde am Rande der Proteste schwer verletzt. Ein Polizist stieß ihn zu Boden, gegen den Beamten laufen interne Ermittlungen. Wie kam es zu der Situation? t-online hat mit dem jungen Mann gesprochen, der mittlerweile sagt, großes Glück gehabt zu haben. Die Polizei hat sich auf Anfrage nicht geäußert.

Die Route der anarchistischen Demo am 1. Mai sollte eigentlich durch die halbe Stadt führen. Doch daraus wurde nichts. Wegen angeblicher Vermummungen blockierte die Polizei das Loslaufen, der Versammlungsleiter meldete kurzfristig eine stationäre Kundgebung in Lokstedt an. Behelmte Einsatzkräfte kesselten daraufhin rund 100 Demonstrantinnen und Demonstranten ein, die sie der Vermummung beschuldigten. Einige von ihnen trugen FFP2-Masken und Kopfbedeckungen, andere Vermummungen waren nach Beobachtungen von t-online schon vor der Einkesselung abgelegt worden. Erst nach einiger Zeit durften die Aktivisten weiter.

Nach geplatzter Demo wollten Aktivisten weiter ziehen

Eine große Gruppe von ehemaligen Demo-Teilnehmern stieg gegen 19.30 Uhr gemeinsam mit Polizisten an der U-Bahn-Station Schlump aus, um zu einer angemeldeten Kundgebung an der Sternschanze zu gelangen. Doch die Beamten versperrten ihnen mehrfach den Weg und versuchten, die Menschengruppe zu kontrollieren. Um die Personen am Weglaufen zu hindern, setzte die Polizei immer wieder Zwangsmittel ein, wie es im Jargon heißt. Warum die Polizei die Menschen dort festhielt, ist unklar. Eine Anfrage von t-online dazu blieb unbeantwortet.

Auch Benjamin war unter den Demonstranten, die Richtung Schanze wollten, in einer U-Bahn Richtung Stadtzentrum. Schon auf der Treppe in der U-Bahn-Station Schlump hätten Polizisten immer wieder geschubst und geschlagen, berichtet der 19-Jährige. "Wie viele andere, rannte ich direkt auf die Straße. Ich wollte diese Situation, in der überall um einen herum Cops standen, schnellstmöglich verlassen", sagt er t-online. Von der Straße habe er nur noch ein Bild im Kopf: Wie ein Polizist direkt vor ihm stand, als er sich umdrehte. "Meine erste Erinnerung ist dann wieder, wie ich auf der Intensivstation extubiert wurde."

Die Diagnose im Krankenhaus, die t-online vorliegt, listet ein Schädel-Hirn-Trauma, retrograde Amnesie und einen Krampfanfall auf – als Folge eines Sturzes auf den Hinterkopf. Benjamin sagt, die Ärzte würden die Verletzungen darauf zurückführen, Vorerkrankungen hätte er keine. Im Übergabeprotokoll des Krankenhauses ist festgehalten: "In der Masse teils unbeobachtet, gekrampft, Schaum vor dem Mund."

Als Ursache der Verletzung ist dort von einem "Sprung gegen einen Polizeischild bei 1. Mai Demo am Schlump" die Rede. Keiner der Polizisten am Schlump hatte jedoch ein Schild im Einsatz, wie auch auf zahlreichen Fotos und Videos der Situation zu sehen ist. Auch eine Menschenmasse, in der Benjamin hätte übersehen werden können, gab es nicht. Wie es zu dieser Notiz kam, ist nicht bekannt. Auch dazu äußerten sich Polizei und Innenbehörde auf Anfrage nicht.

Video zeigt, wie Polizist angestürmt kommt

Ein Video zeigt, wie ein Polizist mit dem Ellbogen voran gegen Benjamins Kopf springt und ihn damit zu Boden bringt. Er bleibt regungslos am Boden liegen, während der Polizist des vierten Zuges der ersten Hamburger Polizeihundertschaft Ausschau nach weiteren Demonstranten hält. Es sind zwei Aktivisten, die Benjamin als Erste zu Hilfe eilen. Als er krampfend auf dem Boden liegt, hilft ein dazugekommenes Team von Polizeisanitätern. Benjamin wird ins Krankenhaus gebracht. Das Video zeigt auch, wie der Beamte mit der Hand die Nummer verdeckt, die Polizisten aufgrund der Kennzeichnungspflicht tragen müssen.

Gegen den Polizisten wird mittlerweile wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt, möglicherweise auch auf unterlassene Hilfeleistung ("Begehen durch Unterlassung") ermittelt, wie die Hamburger Innenbehörde am Dienstag mitteilte.

Benjamin kam am Tag nach dem Vorfall wieder nach Hause, er beklagt leichte Kopfschmerzen und Schmerzen an verschiedenen Stellen seines Körpers. Ihm sei bewusst gewesen, dass auf Demonstrationen ein gewisses Risiko besteht, verletzt zu werden. "Ich habe schon oft gesehen, wie die Polizei wahllos in Demonstrationen reinknüppelt", sagt er. Dieses Maß an Gewalt sei vollkommen übertrieben. "Eine Meinungsäußerung sollte auch mit einer Maske vor dem Mund möglich sein, wir verhielten uns komplett friedlich." Benjamin selbst trug an dem Tag eine schwarze OP-Maske. Um nicht fotografiert zu werden – etwa von Neonazis, die gezielt Teilnehmer linker Demos ablichten – habe er einen Regenschirm bei sich gehabt.

"Beim Ansehen des Videos wird mir ganz mulmig"

Auch zwei Tage nach dem Angriff ist Benjamin mit dem Kopf nur noch bei den Geschehnissen, wie er t-online berichtet. "Beim Ansehen des Videos wird mir immer wieder ganz mulmig: Ich glaube, ich hatte viel Glück", sagt er. Das "Hamburger Abendblatt" berichtet am Mittwoch, dass der junge Mann zunächst in Lebensgefahr schwebte und beruft sich dabei auf Sicherheitskreise. Benjamin erfuhr über Twitter von dieser Information. "Das zu lesen, hat mich wirklich sprachlos gemacht und noch mal wachgerüttelt, dass ich halt echt Glück hatte."

Auch die Organisatoren der anarchistischen Demonstration haben sich inzwischen auf der Internetplattform "Indymedia" zu Wort gemeldet. Die "exzessive Polizeigewalt" sei kein Unfall, sondern "Teil einer repressiven Strategie gegen revolutionäre Bewegungen", schreibt das Bündnis "Schwarz-Roter 1. Mai". "Tatsache ist, dass Politik, Innensenator, Staatsschutz und Bullenapparat zur Befriedung der Maiproteste in Hamburg auf die Aushebung einer militärischen Übermacht setzen, die linksradikalen Protest im Keim ersticken will", heißt es in dem Statement weiter. Zur Einsatzstrategie der Polizei gehöre auch das "gezielte Herbeiführen von Traumata bei besonders jungen Personen".

Benjamin wolle sich von der Erfahrung nicht abschrecken lassen, weiter auf Demos zu gehen. Er habe am 1. Mai gemeinsam mit anderen demonstriert, um Kritik am Kapitalismus, die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und den Traum einer besseren Welt ohne Diskriminierung auf die Straße zu tragen. Aufgewachsen in der Unterschicht, habe zu Hause oft das Geld nicht gereicht. "Die Lasten der Krisen bleiben auf den unteren Klassen hängen, während die Reichen noch weiter dran verdienen." Trotz des Erlebten gibt sich der 19-Jährige kämpferisch: "Diese Gewalt, die ich erlebt habe, zeigt mir nur eins: wie wichtig es ist, sich für die Freiheit einzusetzen, seine Meinung offen äußern zu können."

*Name zum Schutz des Betroffenen von der Redaktion geändert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Interview mit Benjamin über einen verschlüsselten Nachrichtendienst
  • Anfragen an die Polizei Hamburg und die Innenbehörde
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