Hamburg-Kolumne Mit Zeitfenstern im Restaurant ruiniert sich die Gastro selbst
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Restaurants in Hamburg setzen inzwischen häufig auf eine zeitliche Begrenzung: Wer essen geht, sollte sich also sputen. Denn die nächsten Gäste stehen schon auf der Matte.
Tja, die Zeit zwischen der Vorspeise und dem Hauptgang war für die Gästegruppe am Nebentisch zu lang. 45 Minuten hatten sie gewartet. Offenbar war ihre Bestellung untergegangen. Als das Essen kam, blieben ihnen noch 30 Minuten, um zügig zu essen und zu bezahlen. Ein Dessert oder einen Kaffee? Dafür blieb nun wirklich keine Zeit. Die nächsten Gäste warteten bereits an der Bar.
Hamburgs Gastronomen haben nach dem Corona-Knick eine neue, lukrative Einnahmequelle entdeckt: Statt Gästen einen schönen Abend in ihrem Haus zu ermöglichen, werden Restaurantbesucher zur Eile gedrängt. In Zwei-Stunden-Slots werden die Tische belegt und die Gäste nur noch abgefertigt. Dadurch kann der Betreiber den Tisch mehrfach am Abend abkassieren. Schön für ihn, aber die Gäste verschreckt der Zeitdruck.
Bitte hetzen Sie sich!
Doch zwei Stunden reichen nicht wirklich für einen gemütlichen Abend im Restaurant: Jacke weghängen, Platz einnehmen, Karte durchstöbern, Getränke bestellen, Essen bestellen und einen ersten Schluck aus dem Glas nehmen – allein dafür braucht man schon gut 30 Minuten. Wer einen Aperitif möchte und dann auch noch 3-Gänge, sollte besser schnell essen. Und selbst wenn man zeitlich gut durchkommt: Will man das denn? Will man durch die Vorspeise hetzen, den Hauptgang zügig runterwürgen, alles mit einem Kaffee nachspülen, während man schon bezahlt? Wo bleibt da die Geselligkeit? Die Gemütlichkeit?
Fast nostalgisch erinnert man sich an die Prä-Corona-Abende, an denen man sich in Restaurants durch die halbe Karte futterte und dann versumpfte, unvernünftig noch eine Flasche Wein bestellte, vielleicht noch einen Schnaps orderte, die Zeit vergaß – und den Kellner für die Extra-Runde mit einem fürstlichen Trinkgeld entlohnte. Es scheint vollkommen ausgeschlossen, dass es bei der strengen Taktung in Restaurants noch einmal zu solchen Abenden kommen wird. Sehr schade.
Zwei-Stufen-Modell als Lösung?
Dabei stellt sich die Frage: Wofür gehe ich denn essen? Ist es wirklich nur die reine Nahrungsaufnahme? Oder kaufe ich mir für die Gastropreise nicht vielmehr auch ein bisschen Auszeit vom Alltag, ein Eintauchen in neue Geschmackswelten?
Vielleicht sollte die Gastronomie weiterdenken und schon bei der Reservierung nachfragen, warum man überhaupt in das Restaurant möchte. Wer nur schnell etwas essen will und demjenigen zwei Stunden locker reichen, bekommt die günstigen Kantinen-Preise – schließlich kann der Restaurantbetreiber den Tisch direkt ein zweites Mal besetzen. Und diejenigen, die sich in bester Gesellschaft mit gutem Essen und Wein einen schönen Abend machen wollen, bekommen die Restaurantkarte. Dann zahlt man vielleicht etwas mehr, aber die innere Unruhe, sich beim Essen und Erzählen beeilen zu müssen, wäre vorbei.
Die Hamburg-Kolumne erscheint immer sonntags und beschäftigt sich mit Themen, die die Hansestadt bewegen – oder bewegen sollten. Lesen Sie hier weitere Teile:
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