Schwitzen, Schlecken, Grinsen Warum Eis, Frau Meis?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Franziska Meis führt den "Frau Meis Eisladen" in Hamburg. Dort verkauft sie ein Konsumgut, das eigentlich niemand benötigt. Sie macht es trotzdem – weil Eis für sie mehr ist als gefrorene Milch mit Zucker.
Die Eismaschine surrt, gluckst und piepst. Wie eine Waschmaschine im Schleudergang rüttelt sie die flüssige Milchmasse zu cremigem Eis. Es ist heiß und laut in der Eisküche, fünf Kühlschränke brummen mit den Eisvitrinen vorn im Verkaufsraum um die Wette. Es riecht nach Buttermilch und Erdbeeren.
Frau Meis liebt Eis. Sie isst jeden Tag mindestens eine Kugel, am liebsten Stracciatella. Sie hat blonde, schulterlange Haare und trägt eine Brille mit transparentem Rahmen. Ihr Rock mit Blumenmuster schwingt hin und her, wenn sie durch die Eisküche huscht. Als Kind hat sie ihr Taschengeld für Eis ausgegeben und im Eiswettessen gegen die Familie gewonnen. Rekord: zehn Kugeln. Mit ihrer Oma hat sie das erste Erdbeereis selbst gemacht. Sie packten die Sahnemasse in einer Schüssel in den Gefrierschrank. "Das Eis mussten wir stürzen und schneiden – nicht vergleichbar mit dem Eis, das ich heute mache", sagt sie. Geschmeckt hat es trotzdem. Sie träumte schon damals von einem eigenen Eisladen und an diesem Traum hielt sie fest.
"Das Schlimmste wäre Hartz IV gewesen"
Trotzdem hat Franziska Meis erst mal Geschichte auf Lehramt studiert. Im Eisladen hat sie nur gearbeitet. Dass sie dort das Eismachen lernte, sei für sie der erste "Jackpot" gewesen. 2019 kam der zweite: Die Besitzerin bot ihr an, das Geschäft zu übernehmen. Obwohl ihr Vater Lehrer war und sie sein sicheres Beamten-Leben kannte, entschied sie sich dagegen und für das eigene Eis. "Was sollte mir in Deutschland passieren? Das Schlimmste wäre Hartz IV gewesen", sagt sie. Sie wisse, dass das ein Privileg sei. Eines, das nicht alle Menschen genießen – auch nicht alle in Deutschland.
Das Eis macht heute Rebeca, eine Mitarbeiterin von Franziska. Zweimal die Woche steht sie ab 7 Uhr in der Eisküche. Rebeca ist in São Paulo aufgewachsen, vor einigen Jahren mit ihrer Familie nach Hamburg gezogen und studiert Jura. Bis zu 30 Sorten bereitet sie in einer Eisschicht zu. Dieses Mal steht Lemongras-Maracuja auf der Liste, ihr Lieblingseis.
Seit einigen Tagen testet Rebeca mit Frau Meis ein neues Eisrezept: Zitronen-Tarte. Auf das Gramm genau muss sie sich an das Rezept halten, sonst passt die Konsistenz nicht. Für den Teig lässt Rebeca mit Plastikschaufeln Zucker, Dextrose und Milchpulver in einen Metalleimer rieseln und kippt Milch aus einer 10-Liter-Kanne dazu. Das sei gar nicht so einfach. Gewöhnlich stellt sie größere Mengen Eis her als für das Testrezept.
Bei Frau Meis gibt es Fruchteis saisonal – im Frühsommer Erdbeeren, im Herbst frische Pflaumen. Allerdings ist die Erdbeersaison bereits vorbei und für Pflaumen ist es noch zu früh. Deshalb wird heute Zitronensaft aus der Packung verarbeitet.
Wenig Romantik, viel Geschmack
"Eismachen ist weniger romantisch, als man es sich vorstellt", sagt Meis. An der Wand direkt neben der Eismaschine ist ein Stabmixer befestigt, der beinahe so groß ist wie ein Schlagbohrer. Im Lastenregal gegenüber lagern 25-Kilo-Zuckersäcke und Vanille-Masse im Plastikeimer.
Romantik kommt hier keine auf. Im Gegenteil – die Arbeit wirkt anstrengend. Rebeca braucht Kraft, wenn sie literweise Eis herstellt. Sie ist etwa so groß wie die Eismaschine und steigt auf einen Hocker, um die Eismasse in die obere Öffnung des Geräts zu schütten. Einige Tropfen landen dabei auf ihrem Schuh. Aber das macht – sie hat ihre "Eisschuhe" an. Die dürfen dreckig werden.
Nur wenige Minuten später gleitet das Eis aus der unteren Öffnung der Maschine in eine Schüssel. Rebeca streicht die Masse mit einem Teigschaber glatt. Zeit für den Geschmackstest. Obwohl sie ihr Gesicht verzieht beim Kosten, könnte das Eis für Rebeca noch zitroniger sein. Frau Meis ist zufrieden. Frisch aus der Maschine schmeckt das Eis am besten, darin sind sich Rebeca und Franziska bereits einig. Die finale Entscheidung, ob das Zitronen-Tarte-Rezept nun perfekt ist, wird trotzdem vertagt.
"Sind Sie die Gulaschkanone?"
Am nächsten Tag sind Frau Meis und ihr Eiswagen für ein Fest gebucht. "Sind Sie die Gulaschkanone?" – "Nein, wir sind das Eis", antwortet Meis dem Platzanweiser. Franziska parkt, rollt den Eiswagen aus dem Anhänger an ihrem VW-Bus und baut ihn auf dem Festplatz auf. Der Platz ist leer, vereinzelt sitzen Kinder auf Festzeltgarnituren.
Der Eiswagen hat ein rot-weiß-gestreiftes Dach und kann sechs verschiedene Eissorten kühlen. Das sind etwa 300 Kugeln. "Kunden unterschätzen, wie viel Eis das ist", sagt Meis und befüllt den Wagen mit den Eiswannen. "Auch heute habe ich das Gefühl, es wird sich nicht lohnen."
Zwar haben die Kunden das Eis längst bezahlt, aber Nachhaltigkeit ist ihr wichtig. Meis kann es nicht leiden, wenn ihr handgemachtes Eis nicht aufgegessen wird. Weiterverkaufen darf sie es nach einem Tag im Eiswagen nicht mehr. Hygienebestimmungen. Auf dem Fest bleibt sie trotzdem.
"Eis ist Kindheitserinnerung"
"Eine Kugel Zitrone im Becher", bestellt eine junge Frau mit dunkelblonden Locken und einer Ukraine-Flagge auf der linken Wange. Ihr Name ist Mascha. Sie ist im Frühjahr 2022 nach Hamburg gekommen – einige Wochen nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ihre Familie lebt noch dort. Zitroneneis ist ihr Lieblingseis, allerdings nur, wenn es mit "echter Zitrone" zubereitet ist. Mascha rührt ihr Eis zu einer flüssigen Pampe, setzt den Pappbecher an den Mund und trinkt ihn aus. Sie grinst.
"Vielleicht bin ich zu sensibel für harte Themen", sagt Franziska Meis, "aber Eis erdet im Moment, Eis verbindet. Eis ist immer Kindheitserinnerung." Wenn Frau Meis das Eis über ihren Wagen reicht, blickt sie in zufriedene Gesichter, die ihr Eis aufschlecken. Deshalb lohnt sich der Eiswagen-Einsatz doch fast immer.
- Reporterin vor Ort