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Hamburg: Kündigung wegen Homosexualität – Soldat kämpft um Neuanfang


Ehemaliger Soldat kämpft um einen Neuanfang

Von Kriss Rudolph

10.05.2021Lesedauer: 4 Min.
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Dierk Werner Koch: Wegen seiner Homosexualität galt er lange Zeit als Gesetzesbrecher.Vergrößern des Bildes
Dierk Werner Koch: Wegen seiner Homosexualität galt er lange Zeit als Gesetzesbrecher. (Quelle: Kriss Rudolph/leer)

Dierk Werner Koch (78) wurde einst von der Bundeswehr wegen seiner Homosexualität degradiert und entlassen. Jahrelang hat er für eine Entschuldigung gekämpft. Nun sollen homosexuelle Soldaten gesetzlich rehabilitiert und entschädigt werden.

Dierk Koch wollte eigentlich zur Marine. Doch schon die ersten Erfahrungen bei der Bundeswehr waren deprimierend. Erst musste er die Ausbildung zum Funker abbrechen, dann fiel er durch die Prüfung zum Fluglotsen.

In seiner Einheit, dem Marinefliegerhorst Cuxhaven, lernte er einen Obermaat kennen, der ihm erklärte, dass man den Lehrgang wiederholen könne und bot Hilfe beim Lernen an. In dessen Stube kam es zu ersten körperlichen Berührungen, die Männer trafen sich nun häufiger.

Versetzung beantragt

Doch nach einem Streit ging die Verbindung in die Brüche. Von nun an wurde Koch von dem anderen gemobbt und schikaniert. Irgendwann reichte es dem jungen Gefreiten, und er wandte sich in seiner Not an den Kompaniechef, um ein Versetzungsgesuch zu stellen. Ganz offen erklärte er als Grund den homosexuellen Kontakt.

Dem Gesuch wurde stattgegeben, Koch kam nach List auf Sylt, in die Versorgungsschule. Hier befand sich die Ausbildungskompanie für die Marine-Sanitäter. Koch bekam das Bordkommando für die "Emden IV" und freute sich: Er hatte gehört, dass die Fregatte im Jahr 1964 nach Tokio zu den Olympischen Spielen fahren sollte.

Versetzung aufgehoben

Doch dann wurde er zum Standortkommandeur gerufen. Die Nachricht über sein Coming-out hatte mittlerweile Kreise gezogen. Nun teilte man ihm mit, dass das Kommando für die Emden zurückgenommen werde: Einen Marinesoldat, "der in so was verwickelt ist wie Sie", könne man nicht in die Welt hinausschicken.

"Im Übrigen werden Sie unehrenhaft entlassen. Sie haben an Freitag, um 12 Uhr, die Kaserne als Zivilist zu verlassen." Damals brach für Dierk Koch die Welt zusammen. Plötzlich war er obdachlos, mittellos und degradiert.

Tausende wegen "Schwulenparagraf" verurteilt

Denn im Jahr 1964 galt in Deutschland noch der von den Nazis übernommene Paragraf 175. 50.000 Männer wurden verurteilt, bevor der "Schwulenparagraf" im Jahr 1969 entschärft und 1994 ganz gestrichen wurde. Noch 1984 bekräftigte der Erlass "Gleichgeschlechtliches Verhalten von Soldaten der Bundeswehr", dass Homosexualität die Eignung eines Soldaten zum Vorgesetzten ausschloss.

Dann kam die Wende im Jahr 2000: Nach Bekanntwerden seiner Homosexualität wurde Oberleutnant Winfried Stecher zwangsversetzt. Er klagte, scheiterte in den Vorinstanzen und legte Verfassungsbeschwerde ein.

Das Bundesverfassungsgericht bat die Bundesregierung um Stellungnahme, und der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) sicherte am 23. März 2000 ohne Wissen der Generale im Bundestag zu, einen Verhaltenskodex zu erlassen, der "jede Form von Diskriminierung sanktioniert". Am 3. Juli 2000 schließlich wurde der diskriminierende Erlass aus dem Jahr 1984 aufgehoben.

Gericht verurteilt Koch

Nach seiner Entlassung fuhr Koch zu seinen Eltern und bat um ein Gespräch mit seinem Vater, der im Zweiten Weltkrieg Kapitänleutnant bei der Marine war. Der reagierte ganz entspannt, mit einem freundschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf. "Dann wollen wir mal sehen, dass wir für dich morgen eine Arbeit finden. Und übrigens, der Mutti müssen wir davon nichts erzählen." In diesem Moment habe er seinen Vater sehr geliebt, erinnert sich Koch.

Noch war die Sache aber nicht durchgestanden. In einem zivilen Gerichtsverfahren wurde er zu einer Geldstrafe von 100 Mark verurteilt. Er hatte einen sehr liberalen jungen Richter, der sich damals dafür entschuldigte, dass er ihn verurteilen musste.

"Als 'Verbrecher' durchs Leben gegangen"

So kam der junge Mann mit der Mindeststrafe davon. "Aber ich galt ab diesem Moment als Gesetzesbrecher. Ich, der ich immer sehr gesetzestreu bin!" Der Obermaat wurde als "treibende Kraft" zu einer höheren Strafe von 500 Euro verurteilt.

Glücklicherweise schränkte Koch, der heute in Hamburg-Harbug wohnt, die Vorstrafe nie ein. "Dass ich als 'Verbrecher' durchs Leben gegangen bin, war ja nichts, worüber ich mir täglich Gedanken gemacht habe."

"Ich bin homosexuell"

Dann kam der 22. Juli 2017. Das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen trat in Kraft. Koch wurde vom Staat rehabilitiert. "Es war ein Neuanfang", sagt er. "Seitdem kann ich frei sein und sagen: Ich bin homosexuell."

Aber dafür, dass ihn die Bundeswehr degradiert hatte, wollte er wenigstens noch eine Entschuldigung bekommen. Zwei Jahre kämpfte er mit dem Verteidigungsministerium, damals noch geführt von Ursula von der Leyen. Als man ihm 2019 erklärte, die Bundeswehr werde sich nicht entschuldigen, beschloss Koch, der am 17. Mai 79 wird, die Sache abzuhaken.

Entschuldigung der Verteidigungsministerin

Und dann kam sie doch, die Entschuldigung: "Die Praxis, die für die Politik der damaligen Zeit stand, bedaure ich sehr", erklärte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang Juli 2020. "Bei denen, die darunter zu leiden hatten, entschuldige ich mich."

Da habe er richtig aufgeatmet, sagt Koch. Mehr wollte er gar nicht. "Die Entschuldigung ist sehr viel mehr wert als eine finanzielle Entschädigung. Viel wichtiger ist doch, dass mein Leben nicht falsch war."

Neues Gesetz sieht Entschädigung vor

Das geplante "Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligten Soldatinnen und Soldaten" (SoldRehaHomG) sieht eine pauschale Entschädigung von 3.000 Euro für jedes aufgehobene wehrdienstgerichtliche Urteil vor und einmalig 3.000 Euro für andere Benachteiligungen wie der Versagung von Beförderungen. Das Kabinett hat schon zugestimmt; laut Bundesverteidigungsministerium könnte es noch vor Ende Mai in Kraft treten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Dierk Werner Koch
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