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Prozess in Köln: Mädchen wog nur noch acht Kilo – Rolle der Kita unklar


Tochter (5) wog nur acht Kilo und konnte nicht mehr stehen


Aktualisiert am 15.04.2021Lesedauer: 4 Min.
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Der 24-jährigen Mutter eines fast verhungerten Mädchens wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Mord vor.Vergrößern des Bildes
Der 24-jährigen Mutter eines fast verhungerten Mädchens wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Mord vor. (Quelle: Johanna Tüntsch)

Am Kölner Landgericht läuft ein Prozess gegen eine dreifache Mutter und ihren Partner. Sie sollen ein Mädchen fast verhungern lassen haben. Haben Betreuer nichts bemerkt?

Im Verfahren gegen eine Mutter, die ihre Tochter absichtlich fast verhungern lassen haben soll, sagte vor dem Kölner Landgericht jetzt eine Sozialpädagogin aus, die die Familie jahrelang betreut hat.

So offensichtlich und unmittelbar drohte der Hungertod einer Fünfjährigen, dass ein niedergelassener Kinderarzt sie bei ihrem Anblick gar nicht mehr untersuchte: "Da besteht Lebensgefahr, sie muss sofort ins Krankenhaus", lautete seine Diagnose. Entsprechend alarmiert reagierte die Sozialarbeiterin, die den Arztbesuch des Kindes und seiner 24-jährigen Mutter begleitet hatte.

Erst hastete sie zum Auto, hielt dann aber inne: "Unterwegs dachte ich, das kann ich gar nicht verantworten. Was, wenn ich unterwegs mit dem Kind in einen Stau gekommen wäre?" Statt selbst zu fahren, ließ sie daher vom Kinderarzt veranlassen, dass ein Rettungswagen den Transport von Bergheim nach Köln in die Kinderklinik Amsterdamer Straße übernahm.

Das sagte die Sozialpädagogin jetzt als Zeugin vor dem Kölner Landgericht aus. Dort sind die Mutter des fast verhungerten Mädchens und ihr zeitweiliger Lebensgefährte wegen versuchten Mordes angeklagt. Einen ganzen Vormittag lang fasste die Mitarbeiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes der Stadt Bergheim die Erfahrungen zusammen, die sie und andere Fachkräfte zwischen 2017 und 2020 mit der Familie gesammelt hatte.

Sie beschreibt die Angeklagte als kooperativ, authentisch, eine Frau, die sich Hilfe holen konnte: "Das war wirklich ihre Ressource." Mit vielen Fragen zu Behördenschreiben, Unterhaltsregelungen und ihrer Wohnung habe sich die 24-Jährige an den Allgemeinen Sozialen Dienst gewendet. Auf die Frage, warum die Frau keine Hilfe suchte, als ihr Kind fast verhungerte, wusste auch die Zeugin keine Antwort.

Kind sollte trotz Durst nichts trinken

Zwei Kollegen von ihr hatten an einem Montag im August 2020 festgestellt, dass das Mädchen "nicht gut genährt" und daher ein Termin beim Kinderarzt nötig sei. "Dessen Begleitung erfolgte durch mich", erinnerte sie sich – und stockte plötzlich. Ihr bis dahin so ruhiger, sachlicher Vortrag wurde bei der Erinnerung an das Bild des Kindes von Tränen unterbrochen: "Man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass das Mädchen dringend ärztlicher Hilfe bedurfte", brachte sie schließlich hervor.

Im Auto habe die Fünfjährige nur "Durst" gesagt. Auf ihre Frage, ob die Kleine etwas trinken wolle, habe die Mutter abgewehrt. "Sie sagte, sie hätte zu Hause gerade Saft getrunken und ein Käsebrot gegessen. Wenn sie jetzt wieder etwas trinken würde, würde sie erbrechen." In der Arztpraxis habe sich nicht nur gezeigt, dass die Kleine mit 98 Zentimetern Körpergröße nur noch 8,2 Kilogramm auf die Waage brachte, sondern auch, dass sie vor Entkräftung schon nicht mehr stehen konnte.

Mutter wollte nicht in Klinik bleiben

Fast unvorstellbar erscheint vor diesem Hintergrund, dass nicht schon beim Hausbesuch einige Tage zuvor die Lage des Kindes erkennbar dramatisch war. Die Fachkräfte, die ihn übernommen hatten, sind derzeit nicht mehr bei der Stadt Bergheim beschäftigt. "Besteht da ein inhaltlicher Zusammenhang?", wollte die Vorsitzende Richterin wissen. Nur zögerlich antwortete die Sozialpädagogin: "Ich glaube schon."

Auf die alarmierenden Worte des Arztes habe die Mutter, so erinnert es die Zeugin, betroffen reagiert. Übermäßige Sorge zeigte sie im Krankenhaus allerdings nicht: "Obwohl ihr dringend ans Herz gelegt wurde, dort zu bleiben und das Kind zu betreuen, wollte sie lieber nach Hause fahren", berichtete die Sozialpädagogin. Die kleine Patientin habe weder beim Abschied geweint noch später nach der Mutter gefragt.

Keine medizinische Indikation

Schon nach wenigen Tagen habe sich das Kind erholt, normal gegessen und sei über die Gänge gelaufen. Medizinische Gründe für seine völlige Unterversorgung seien in der Kinderklinik nicht gefunden worden. Das passt nicht den Aussagen, die die Mutter bis dahin gegenüber den Fachkräften gemacht habe: Das Kind behalte seit einigen Wochen kaum Essen bei sich und könne kaum noch laufen.

Insgesamt scheint, neben mutmaßlichen Versäumnissen der Mutter und ihres Lebensgefährten, auch eine Verkettung von Fehlentscheidungen verschiedener Fachkräfte die Lage des Kindes zumindest nicht besser gemacht zu haben. Das betrifft nicht nur die zwei ehemaligen Mitarbeiter des Jugendamtes, sondern auch das Team einer Kita. Dort wurde der Fünfjährigen und ihrem Bruder das Mittagessen versagt, weil das Essensgeld nicht bezahlt worden war.

Selbst, nachdem das Jobcenter Zahlungen bewilligt hatte, sollen die Erzieherinnen den Kindern das Essen verweigert haben: "Im Kindergarten war man dazu so aufgestellt, dass erst die Schulden getilgt werden müssten", berichtete die Sozialpädagogin. Diesbezüglich habe sie die Verantwortlichen der Einrichtung umstellen können.

Das allerdings macht nicht die schmerzlichen Erfahrungen wett, die die beiden kleinen Kinder bis dahin schon gemacht hatten: Wenn ihre Mutter es, beispielsweise wegen Terminen im Jobcenter, nicht schaffte, sie rechtzeitig vor dem Essen abzuholen, musste sie hungrig dem Mittagessen ihrer Spielkameraden zusehen. Unter anderem mit Situationen wie diesen hätte die Mutter erklärt, dass sie die Kinder nur unregelmäßig überhaupt in die Einrichtung brachte.

Neue Kita brachte Vernachlässigung ans Licht

Mehr Aufmerksamkeit zeigten Mitarbeiter einer integrativen Kindertagesstätte, in die das kleine Mädchen wechseln sollte, die sie jedoch nicht zum verabredeten Zeitpunkt im August besuchte. Den dortigen Erzieherinnen fielen im Gespräch mit der Mutter widersprüchliche Aussagen über den Gesundheitszustand des Kindes auf, die nicht zu den Unterlagen des Mädchens passten. Sie schlugen Alarm und veranlassten damit zwei Hausbesuche, in deren Folge es zum Arzt- und Klinikbesuch kam. Bis dahin vergingen allerdings mehrere Tage.

Kurz, aber vielsagend ist eine Situation, die die Zeugin aus dem Krankenhaus erinnert. Irgendwann habe sie vom Fenster aus mit der Kleinen eine Familie beobachtet, die ins Auto stieg. "Machen die?", habe die Fünfjährige gefragt. "Das Kind ist wieder gesund, sie fahren nach Hause", habe sie geantwortet und ihrerseits gefragt: "Möchtest du das auch?" Die Kleine habe darauf nur gesagt: "Nein. Nicht Hause fahren." Derzeit lebt sie in einem kleinen Kinderheim. Der Mutter wurde das Sorgerecht für beide Kinder entzogen – und auch für ein drittes Baby, das sie während ihrer Untersuchungshaft zur Welt gebracht hat.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen während des Prozesstages
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