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Oktoberfest 2022: Wiesn-Wahnsinn im Saufzug – eine Party ohne Ende?


Wahnsinn im Saufzug nach der Wiesn


Aktualisiert am 03.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Bei einer kleinen Party auf dem Heimweg vom Oktoberfest geht es wild im Zug zu: Nicht alle Passagiere fühlen sich dabei wohl.Vergrößern des Bildes
Bei einer kleinen Party auf dem Heimweg vom Oktoberfest geht es wild im Zug zu: Nicht alle Passagiere fühlen sich dabei wohl. (Quelle: Christof Paulus)

Irgendwann hat jeder Spaß ein Ende – auch der auf dem Oktoberfest. Für einige ist es im Zug so weit, andere wollen das nicht akzeptieren. Und dann wird es haarig.

Münchner Hauptbahnhof Ende September, kurz vor Mitternacht. Wer jetzt in einen Zug steigen will, braucht Vorbereitung: Ein Ticket, eine leere Blase und leicht einen im Tee – sonst wird die nächste Stunde ungemütlich. Auch an diesem Abend zeigt sich das wieder in der Regionalbahn um 23 Uhr von München nach Augsburg.

Der Zug ist vollbesetzt, auch zwischen Tür, ständig besetzter Toilette und in den Gängen stehen überall Passagiere, die in den meisten Fällen das Oktoberfest erst kurz zuvor ausgespuckt hat. Der Zug ist noch nicht losgefahren, schon haben die ersten beiden von ihnen ein Problem: Ein Mann, etwa 50, mit stark schwäbischem Dialekt und bayerischem Filzhut in Touristen-Manier auf dem Kopf, springt um 22.58 Uhr noch aus der Tür. "Eine rauchen", nuschelt und brüllt er gleichzeitig den Gästen entgegen, die gerade noch einzusteigen versuchen.

Im Zug zurück vom Oktoberfest: Nur für Hartgesottene

Wer etwas gegen sein Vorhaben hat: Der Fahrplan. Und ein Passagier mit Brille, der an der Türe steht, die vom schwäbischen Raucher blockiert wird. Zwei Mal hat der Mann gezogen, da sagt ihm sein Gegenüber: "Mach die Kippe aus jetzt. Steig ein, wir wollen alle heim. Und zieh dir eine Maske auf."

Nach offenbar mehreren Stunden und vielen Maß auf dem Oktoberfest reicht das als Provokation aus: Der Raucher greift den Kopf des Brillenträgers und packt ihn mit seiner ganzen Hand. Und dann: Ein, zwei, drei Mal stößt er ihn gegen das Glas der sich eben schließenden Zugtür. "Ey", "Aufhören", "Hast du sie noch alle?" rufen die Leute drumherum.

Eine Frau, im direkten Kampf wahrscheinlich unterlegen, aber mit dem größten Mut in der Meute ausgestattet, geht dazwischen. Andere folgen ihr, trennen die Männer. Der Brillenträger hat offenbar weder Schmerzen noch Wunden davon getragen, die beiden tauschen noch einige Beleidigungen aus, bevor der Zug losfährt. Ouvertüre zu einer Zugfahrt, die gar nicht so schlimm werden wird, wie erwartet. Aber trotzdem schlimm.

Viele nehmen den Zug auf dem Heimweg vom Oktoberfest

Jeden Tag nach dem Oktoberfest strömen die Besucher von der Theresienwiese in alle Richtungen, manche zu Fuß nach Hause, die Touristen ins Hotel, einige nehmen tatsächlich noch das Auto – und dann gibt es Tausende, die mit der S-Bahn oder dem Regionalzug nach Hause ins Münchner Umland fahren. Und das ist wirklich eine der wenigen Gelegenheiten, in denen es sich ganz rational empfiehlt, vorher Alkohol zu trinken, um den Lärm, das Benehmen und die Alkoholfahnen zu ertragen. Sicherheitspersonal, das dringend nötig wäre, ist nirgendwo zu sehen. Die Passagiere sind sich selbst überlassen.

Denn vor allem für die wenigen, die nicht von der Wiesn kommen, etwa aus familiären Gründen abends noch in den Zug müssen oder von der Arbeit kommen, für die muss sich die Fahrt anfühlen wie der Abstieg in ein fahrendes Gomorra. Und das, obwohl es sich nach der ersten Schlägerei noch vor Abfahrt sogar noch zunächst beruhigt. Das kann an anderen Abenden ganz anders laufen, wie jeder weiß, der hier öfter mit muss.

Nur manchmal, da ist die Stimmung sogar gut und alle scheinen Spaß zu haben. Etwa drei Waggons weiter, wo sich eine Gruppe junger Erwachsener mitten im Zug hintereinander auf den Boden setzt. "Wir sind die Männer mit einem harten Job, wir fahren mit dem Bob", singen sie zur Belustigung vieler um sie herum, schaukeln und schunkeln dabei nach vorne, zurück, links oder rechts. Ganz ohne Grenzüberschreitungen geht es aber auch hier nicht.

Manche feiern auf dem Heimweg vom Oktoberfest noch eine Party

"Wem gehörst du denn?", sagt einer der Bobfahrer zu dem Mädel hinter ihm. "Nicht dir", entgegnet sie so kühl, dass man fast die Heizung im Zug höher drehen möchte. "Wem du gehörst, hab ich gefragt!", wiederholt der junge Mann, jetzt lauter. Erst als ihre Freundinnen die Angesprochene von ihm weg ziehen, lässt er sie in Ruhe. Belästigung, das ist immer wieder ein Thema im Zug, wenn man sich umhört und mit Leuten spricht, die den Heimweg von der Wiesn kennen. Frauen werden angegrabscht, beleidigt, manche werden versucht, aus dem Zug zu ziehen. So weit kommt es an diesem Abend aber wohl nicht.

Pauline Dietz ist froh, so etwas noch nicht am eigenen Leib erfahren zu haben, wie sie sagt. Die Studentin wohnt in Augsburg, ist ebenfalls auf dem Heimweg an diesem Abend. "Vor allem müsste man mehr Züge einsetzen", sagt sie. Das größte Problem für sie: Dass der Zug so überfüllt ist. Doch sie ist leiderprobt, ihre Ansprüche niedrig: "Während des 9-Euro-Tickets war es noch schlimmer", findet sie. Aber Sicherheitspersonal, das könne tatsächlich präsenter sein im Zug.

Der ganz große Ekel bleibt an diesem Abend auch aus – wenn auch an jeder Ecke Leute ihre Manieren vergessen. Da gibt es zum Beispiel einen, der auf einem der Klappsitze im engen Gang schläft; fast im Kopfstand. Die Füße weit nach oben gestreckt, drückt er die Schuhe an die Innenwand des Zuges, neben ihm kauert ein weiterer Betrunkener im Schlaf. Dazwischen telefoniert ein Mann laut.

Wiesnbesucher hinterlassen nicht nur in München Spuren

Und ein Junge erzählt, dass man es durch den ganzen Waggon hört: "Letztens kam einer über den Bahnsteig gelaufen", sagt er. "Die Tür war noch offen, er springt in die Leute im Zug rein, um noch mitfahren zu können. Und kotzt dann direkt voll auf den Boden." Seine Gegenüber verziehen das Gesicht. Doch er erzählt weiter. "Jaaaa, der Arme, oder? Er musste alles aufwischen", stellt er fest.

Bilder von Betrunkenen ohne Kontrolle auf dem Wiesn-Gelände gehören zu jedem Oktoberfest dazu. Was viele nicht auf dem Schirm haben: Die Spur von Ekel und fehlendem Anstand zieht die Wiesn bis weit ins Umland. An seiner Endstation Ulm ist dieser Regionalzug immerhin fast zwei Stunden entfernt von München – und immer noch voll mit Betrunkenen.

Für jetzt hat der Zug fast Augsburg erreicht. Zurück im Waggon, wo am Anfang der Fahrt der Raucher einem anderen Mann an die Gurgel ging. Eine Frau hat ihren Bluetooth-Lautsprecher eingeschaltet, aus dem Musik von Peter Fox schallt – ohne zu fragen, ob das jemand hören möchte. Ihr Gegenüber versucht sie auf Spanisch zu bequatschen, so laut, dass der ganze Zug hören kann, dass sie die Sprache kaum beherrscht. "Kann die nicht mal die Fresse halten", murmelt die andere Frau, die vorhin bei der Schlägerei dazwischen ging. Jetzt soll sie gleich wieder gebraucht werden.

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Fast wieder Schlägerei zwischen Oktoberfest-Besuchern im Zug

"Zieh endlich die Maske auf!", ruft der Mann mit der Brille über zehn Köpfe hinweg dem Schwaben zu, der ihn vorhin gegen die Zugtür geschlagen hat. Sofort staucht sich die Menschenmenge zwischen den beiden zusammen, als der Angesprochene auf den Brillenträger losgehen will und sich und ein ganzes Dutzend Leute in dessen Richtung schiebt. Schnell wird es unübersichtlich, jeder scheint sich einmischen zu wollen: Die einen, die zum Brillenträger halten, die anderen, die in ihm den Provokateur sehen, und die, die einfach ihre Ruhe wollen.

"Komm vor die Tür", sagt erst der eine, dann der andere der beiden Involvierten. "Rücksichtsloses Arschloch", ruft der Brillenträger dem Schwaben entgegen. "Ich trink bloß Bier, du Idiot", antwortet der. Wer hier alles sonst noch kreuz und quer wen beleidigt, ist schnell für keinen mehr nachzuvollziehen, die Passagiere im Gang haben immer mehr Mühe, den Schwaben mit dem Filzhut zurückzuhalten – während sein Gegenüber ganz entspannt an der Zugtür lehnt.

Augsburg ist erreicht. Viele steigen aus, darunter auch der Brillenträger. So endet für viele die Zugfahrt, und für alle der Streit ums Rauchen und die Maske. Wer jetzt an der frischen Luft ist, hat die vielleicht ungemütlichste Zugfahrt des Jahres überstanden. Für den Rest im Zug wird es hoffentlich zumindest ein bisschen angenehmer.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
  • Gespräch mit Passagierin Pauline Dietz
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