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Maskenmillionäre und Korruption: Über das Verhältnis zwischen CSU und Bayern


Bayerische Affären
Maskenmillionäre und Co.: Warum die Bayern der CSU Skandale verzeihen

MeinungVon Jonas Voss

Aktualisiert am 09.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Blick auf das Schloss Hohenschwangau und die Alpen (Symbolbild): Die CSU verknüpft sich mit dem Image Bayerns als Märchenlandschaft. Unter der Oberfläche geht es rauer zu. (Quelle: Imago/Panthermedia)

Andrea Tandler, Tochter eines ehemaligen CSU-Generalsekretärs, sitzt weiterhin in U-Haft. Die Partei ist an justiziable Skandale gewöhnt: Über ein urbayerisches Phänomen.

Andrea Tandler ist die Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Gerold Tandler. Und wie der Vater scheint auch sie über das Steuerrecht zu stolpern: Während Gerold Tandler als damaliger bayerischer Finanzminister über die "Zwick-Affäre" stolperte, dabei ging es auch um Vorwürfe der Steuerhinterziehung, ging es bei Tochter Andrea um Masken. Während der Corona-Pandemie soll sie Millionen an Provision für die Vermittlung von Maskenkäufen an den Staat erhalten haben. Normales Tagesgeschäft für die Kreise um die CSU in Bayern, könnte man sagen.

Die Affinität der Partei zum großen Geld lässt sich bis in die Anfänge zurückverfolgen. Spielbankenaffäre, Fibag-Affäre, Starfighter-Affäre – drei Skandale aus den frühen Jahren der Bundesrepublik. Es ging um Schmiergelder, um Korruption. In alle war die CSU verwickelt. Die Partei wird regelmäßig von solchen Fällen erschüttert. Und doch regiert sie in Bayern seit 1946, lediglich unterbrochen durch eine kurze Periode von 1954 bis 1957.

Lange Jahre konnte die CSU sogar allein regieren, so treu wählten die Bayern die Partei. Auch jetzt würden sich, je nach Umfrage, rund 40 Prozent der bayerischen Wähler bei der kommenden Landtagswahl für die CSU entscheiden. Trotz der Maskenaffäre, bei der CSU-Politiker hohe Summen für die Vermittlung von Corona-Schutzausrüstung kassierten. Trotz der richterlichen Verurteilung einzelner Maßnahmen der Landesregierung während der Corona-Pandemie, etwa Ausgangssperren.

Die CSU ist in Bayern quicklebendig

Was also ist das Erfolgsrezept der CSU?

Lange Zeit hielt man das enge Bündnis zwischen der Partei und dem katholischen Milieu im Freistaat für ausschlaggebend: Der Priester von der Kanzel habe vorgegeben, was zu wählen war und die Gläubigen folgten dem. Aber der Katholizismus verliert auch in Bayern schon lange an Boden. Die Partei dagegen ist quicklebendig und bei den Wählern beliebt.

Vielmehr scheint die Partei in vielem das bayerische Lebensgefühl zu verkörpern. Die Bayern sehen sich selbst gern als ein weiß-blaues Land, das sich vom Rest der Republik in vielem unterscheidet. Als dickschädeliges Bergvolk, als barocke Genussmenschen, als breitbeinige Schlitzohren. Niemand hat das wohl mehr verkörpert als der einstige Ministerpräsident und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß: Selbst in zahlreiche Skandale verwickelt verehren ihn viele Bayern bis heute. Nicht zuletzt wird ihm zugeschrieben, das einstige Agrarland aus dem Dornröschenschlaf geweckt zu haben und es zu dem Industrie- und Hightech-Standort gemacht zu haben, der es heute ist.

Dass er dabei mit Diktatoren anbandelte, Journalisten einsperren ließ, ihm immer wieder Korruption vorgeworfen wurde? "Hundt sans fei scho" ist ein südbayerisches Bonmot, das auf niemanden besser passt als auf den CSU-Übervater Strauß – und die Partei selbst. "A Hundt" in diesem Zusammenhang ist einer, der sich was traut und was bewegt, wenn auch vielleicht nicht ganz auf legale Weise. Das gefällt dem Bayern, der selbst gern so ein "Hundt" wäre.

Bayern als Teil der mediterranen Welt

Was der außerbayerische Blick auf dieses Phänomen der CSU-Dominanz einfach nicht erkennt: Bayern ist keine von Bierzelten überspannte und von Bierdimpfeln bevölkerte Alpenlandschaft. Vielmehr ist es eine dem Hedonismus zugeneigte Kulturlandschaft, die sich ihrer innerdeutschen Sonderstellung nur allzu bewusst ist. Aus dieser starken identitätspolitischen Sichtweise heraus schöpfen Land und Partei Kraft.

Selbst die einst so ungeliebten Franken sind mittlerweile integriert in das mediterrane Lebensgefühl der Bayern: München sieht man gern als nördlichste Stadt Italiens, das einstige Königsgeschlecht der Wittelsbacher herrschte auch in Griechenland, der Gardasee und die Strände Riminis sind das zweite Wohnzimmer.

Zu diesem Gefühl, der idealisierten, "langsameren" (oder auch gemütlicheren) Welt des Mittelmeers näher zu sein als dem kalten, preußisch-asketischen Restdeutschland, passt wohl die Bewunderung für Politiker mit einem gewissen Laissez-faire bei der Vermischung von Geschäft und Politik: Sich über seinen politischen Einfluss mit einträglichen Geschäften zu versorgen, ist keinesfalls nur verdammenswert – meinen wohl viele. Schließlich gehört ja auch eine gewisse Chuzpe, eine breitbeinige Schlitzohrigkeit dazu, sich solche Deals zu trauen.

Der Markenkern der CSU

Wie anders wäre die Jahrzehnte dauernde Karriere des bayerischen Übervaters Franz Josef Strauß zu erklären? Oder die Politiker (nicht nur der CSU!), die im Zuge der 2013 aufgedeckten sogenannten Verwandtenaffäre (Ehepartner und Verwandte wurden von Abgeordneten beschäftigt und aus öffentlichen Geldern bezahlt) zwar Abbitte leisten mussten, ihre politischen Karrieren aber fortsetzen konnten.

Die CSU spielt seit jeher meisterlich mit dieser gefühlten bajuwarischen Einzigartigkeit innerhalb des bundesdeutschen Kosmos. In München braucht man diese Sonderstellung, zusammengefasst unter der "Liberalitas Bavariae", moderner interpretiert dem Fußball entliehen als "mia san mia": Diese Umschreibungen werden heute konkret verstanden als eine im bayerischen Charakter hervorstechende Eigenschaft von Toleranz, Selbstsicherheit und Gleichmut gegenüber den Umständen.

Was stören da schon Skandale? Hauptsache, so insgesamt geht es voran mit dem Freistaat. Dieser imaginierte Wesenskern soll es sein, der die christsoziale Wahlmonarchie auch weiterhin legitimiert. Selbst innerhalb Bayerns grenzt man sich so ab von den Nicht-CSUlern, die ja doch nicht verstanden hätten, wie das weiß-blaue Herz so schlägt. Dieses Abgrenzen führt schnell auch zur Schattenseite der identitätspolitischen Konstruktion der bayerischen Seele.

Zugereiste haben es in Bayern nicht immer einfach

Zugereiste, egal ob aus Berlin oder Bagdad, haben es insbesondere auf dem bayerischen Land schwer. Wer die Rituale nicht kennt und pflegt, wird misstrauisch beäugt. Wer fremd wirkt oder sich fremd gibt, wird trotz der imaginierten bayerischen Herzlichkeit nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen. Die Stärke der AfD in östlichen bayerischen Landkreisen zeigt das.

Aber auch die jüngsten Volten von Ministerpräsident Söder gegen die Grünen. Sie werden als dem bayerischen Wesen fremde Ordnungsmacht dargestellt, die im Alltag der Menschen ständig auf die Finger klopfen möchte. Noch sind die Grünen in Bayern vor allem eine Partei der Ballungszentren, wo eben auch besonders viele "Zugroaste" leben.

Die CSU hat die bayerische Seele also scheinbar verstanden. Sicher auch, weil sie seit über 70 Jahren das Bild der Bayern von ihrem Bayern beeinflusst. "Laptop und Lederhose" wurde nicht nur zu einem Slogan der Partei unter Edmund Stoiber, sondern ließ in den Köpfen vieler Bayern ein neues Bild ihres Freistaats entstehen: Tradition und Modernität, nirgends ist die Symbiose so geglückt wie hier.

CSU hat sich als Partei aufs Engste mit Bayern verknüpft

Doch in Wirklichkeit ist diese Symbiose zwischen heimatlichem Verwurzeltsein und weltoffener Aufgeschlossenheit überall in Deutschland anzutreffen. Diese bayerische Besonderheit ist, wie so vieles, Einbildung. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Rheinland feiert man seit Jahrhunderten die Tradition des Karneval, ist stolz auf Sprach- und Esskultur. Köln gilt heute als eine der pulsierenden Kreativhauptstädte des Landes, Aachen ist ein Forschungsstandort, Leverkusen ein Industrie-Hotspot. Landauf, landab finden sich Erfolgsgeschichten kleiner und großer Regionen die wirtschaftlich erfolgreich sind, ohne das Eigene aufzugeben.

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Was eine bajuwarische Besonderheit bleibt, ist eine Partei, die ungehemmt und breit verwurzelt seit Jahrzehnten an ihrer eigenen Erzählung über das Land, das sie regiert, stricken kann. Die CSU hat eine eigene Erzählung dessen entwickelt, was Bayerisch ist. Und das die Sehnsucht vieler Bayern nach einer eigenen, vom Rest der Republik sich abhebenden Identität, perfekt bedient. Institutionell sind die Landesverbände anderer Parteien keine Konkurrenz gegen diese CSU – ihr ist es geglückt, die Partei aufs engste mit dem Land zu verweben. Demokratietheoretisch mag das fragwürdig sein, parteipolitisch ist es höchst effizient.

Die CSU hat, trotz der imaginierten bayerischen Gemütlichkeit, mit großem Erfolg ein wuseliges Industrie- und Hightech-Land geschaffen. Da verzeiht es sich den einen oder anderen Skandal vielleicht besser. "Hundt sans fei scho."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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