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Markus Söder warnt: 300.000-Euro-"Heizhammer" – Experten widersprechen


"Entweder geht der Bürger pleite oder der Staat"
300.000 Euro "Heizhammer"? Söders Rechnung irritiert


Aktualisiert am 12.05.2023Lesedauer: 5 Min.
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): Experten widersprechen seinen Zahlen vehement. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Die Zahlen machen vielen Angst. Die Heizpläne der Ampel würden Häuslebauer bis zu 300.000 Euro kosten, behauptet Bayerns Ministerpräsident. Ist das realistisch?

Wenn Markus Söder twittert, dann wackelt das Internet. Jeder einzelne Tweet erreicht Zehntausende Menschen, wird zigfach geteilt, gelikt, zitiert und kommentiert. Aber eine Kurzbotschaft überflügelte in der vergangenen Woche alle anderen: Eine Million Menschen lasen, wie Söder die Heizungspläne der Ampel kritisierte.

Der bayerische Ministerpräsident hatte sich gerade in Nürnberg zum Spitzenkandidaten der CSU für die Landtagswahl im Herbst küren lassen, als er den Wahlkampf mit einer Attacke auf die Grünen startete. Diese würden "mit Sturheit und Trotzigkeit" die Schrauben immer weiter anziehen, schrieb Söder. Und das trotz Krise.

Er forderte: "Der Heizhammer muss gestoppt werden." Und behauptete: "Es entstehen Kosten von 500 Milliarden Euro für den Staat und bis zu 300.000 Euro für Hauseigentümer. Entweder geht der Bürger pleite oder der Staat."

300.000 Euro Kosten für Häuslebauer, viele fragen sich: Wer soll sich das leisten können?

Söder stellt eine Zahl in den Raum – und schweigt dann

Nur: Woher hat Söder seine Zahlen? Sind sie realistisch?

Ende April hatte "Haus und Grund"-Präsident Kai Warnecke im Gespräch mit t-online noch Kosten von bis zu 150.000 Euro genannt. Seine Rechnung ging so: Wer ein unsaniertes Haus mit Heizungstechnik aus den 60er- oder 70er-Jahren bewohne, müsse mit 1.000 Euro Sanierungskosten pro Quadratmeter kalkulieren.

Schon diese Zahl rief bei vielen Widerspruch hervor: Sie sei viel zu hoch angesetzt.

Söder hat sie jetzt einfach noch einmal verdoppelt. Wie er auf seine 300.000 Euro kommt, ist unklar. t-online fragte in seinem Büro nach. Bis heute kam keine Antwort.

Fest steht jedoch: Allein auf den Austausch einer Heizung und den Einbau etwa einer Wärmepumpe kann Söder nicht abzielen. Das Portal "Energieheld", das Menschen bei energetischen Gebäudesanierungen berät und Handwerker vermittelt, kalkuliert für eine Wärmepumpe mit Erdsonden zum Beispiel rund 23.000 Euro, inklusive Einbau und Zubehör, nach Abzug von Förderung.

EU-Richtlinie: Gebäude müssen gedämmt werden

Allerdings stellt eine neue Heizung womöglich auch nur einen Teil der Kosten dar, die auf Hausbesitzer zukommen. Denn wer beim Heizen nicht unnötig Geld verbrennen will, sollte ebenfalls an die richtige Dämmung denken. Das EU-Parlament hat im März eine Richtlinie auf den Weg gebracht, nach der Gebäude mit besonders schlechter Energieeffizienz bis 2030 saniert werden sollen.

Insbesondere einkommensschwache Haushalte sind davon betroffen, das hat auch schon das Öko-Institut in einer Studie für die Deutsche Umwelthilfe festgestellt. "Für rund 45 Prozent der insgesamt 1,5 Millionen Häuser vulnerabler Haushalte besteht dringender Sanierungsbedarf", heißt es darin.

Öko-Institut: Viele ärmere Menschen heizen zum Fenster hinaus

Vereinfacht gesagt: Je weniger Geld die Menschen haben, umso eher leben sie in alten und schlecht gedämmten Häusern. Sie heizen buchstäblich zum undichten Fenster hinaus. Und das ist teuer.

Das Öko-Institut rechnet das am Beispiel eines Rentnerpaares vor, das mit 1.975 Euro monatlichem Haushaltsnettoeinkommen zum unteren Einkommensdrittel gehört und in einem unsanierten Ein- oder Zweifamilienhaus mit 102 Quadratmetern Wohnfläche (Baujahr vor 1990) lebt: Im Jahr 2022 hätten die jährlichen Heizkosten dieses Paares bei 2.808 Euro gelegen, heißt es in der Studie. Das entspräche zwölf Prozent des kompletten Einkommens.

Das Öko-Institut schlägt daher vor, dass der Staat einkommensschwachen Bürgern große Teile der Sanierungskosten abnimmt, damit diese der Kostenfalle entkommen. Aber wie viel muss dafür nun wirklich investiert werden?

Physiker aus Erlangen: Söder übertreibt maßlos

Martin Hundhausen, Physiker an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, ist überzeugt, dass es mit ein bisschen Geschick und der richtigen Strategie gar nicht so teuer ist. Hundhausen weiß, wovon er spricht. Denn er saniert gerade gemeinsam mit einem Bekannten dessen Elternhaus.

Gebaut wurde es in den 1980er-Jahren, und es sei "extrem schlecht gedämmt", sagt Hundhausen. Auch die Fenster hätten noch keine Wärmeschutzverglasung. Viel zu tun also.

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Als Erstes gingen die beiden an die oberste Geschossdecke, das ist die Decke, die den alten Spitzboden von dem darunterliegenden Stock trennt. Um den Luft- und Wärmestrom vom Wohnraum in den kalten Bereich des Dachbodens zu unterbrechen, arbeitete er nach eigener Auskunft mit einer Dämmung, die Passivhausstandard entspreche.

"40 Quadratmeter Fläche haben uns 2.000 Euro gekostet", erklärt Hundhausen t-online. Das seien zwar nur Materialkosten, weil dieser Teil der Sanierung mit eigener Arbeitskraft gestemmt wurde. Aber es zeige doch, wie maßlos Söder übertreibe.

Als Nächstes sind Außenwände und Fenster dran. Man müsse nur im richtigen Moment handeln, sagt Hundhausen. Wenn sowieso ein Gerüst ans Haus komme, etwa weil zum Werterhalt gestrichen wird, könne gleich die Dämmung mitgemacht werden. In dem Fall lägen die Mehrkosten für Wärmedämmung in Passivhaus-Qualität etwa bei 100 Euro pro Quadratmeter Außenwandfläche. Und die Mehrkosten für Passivhaus-Fenster lägen bei 80 Euro pro Quadratmeter – macht bei 40 Quadratmetern Fensterfläche rund 3.000 Euro.

Hundhausen will an Wanddämmung und Fenster-Ausbesserung aber auch als Do-it-yourself-Heimwerker rangehen und ist zuversichtlich, dass er die Kosten so auf weniger als 10.000 Euro drücken kann.

Münchner Experte: So wird das Haus fit für die EU-Vorgaben

Nicht alle haben so viel Zeit, Kraft und Know-how wie Hundhausen. Wer Hilfe benötigt, kann sich an einen Energieberater wenden. Marcus Dietmann etwa vom Münchner Start-up 42watt sagt, um ein Einfamilienhaus Baujahr 1980 fit für die EU-Vorgaben zu machen, reiche in der Regel der Einbau einer Wärmepumpe. So lasse sich die Energieklasse von den schlechtesten Klassen G oder H bereits auf C anheben. Eine Reihe kleinerer Maßnahmen könne zusätzlich sinnvoll sein: vom hydraulischen Abgleich bis zum Austausch der Dachbodentreppe, einer typischen Schwachstelle im Dämmkonzept eines Hauses.

Für 70.000 Euro alles drin – inklusive Fotovoltaik und Mehrkosten fürs E-Auto

Wer in einem unsanierten Haus aus dem Jahr 1960 wohne, müsse hingegen in der Regel zusätzlich noch Sanierungsmaßnahmen für Dach, Fenster und Kellerdecke einplanen. Dietmann kalkuliert je nach Gebäude mit Kosten zwischen 25.000 und 45.000 Euro. "Förderungen sind dabei noch nicht mit berücksichtigt", hält er fest.

Wer mehr Geld hat, kann weitergehen. Dietmann schlägt vor: Wärmepumpe rein, Fotovoltaik aufs Dach, Fenster tauschen, Keller und oberste Geschossdecke dämmen. Dazu noch ein E-Auto statt eines Verbrenners kaufen, wenn ohnehin ein neues Auto an der Reihe ist, und eine Wallbox, also eine Wandladestation, anbringen. Das alles sei für 70.000 Euro drin, rechnet Dietmann vor. Kalkuliert sei dabei mit den Mehrkosten für einen Elektro-Mittelklassewagen im Vergleich zu einem Verbrenner.

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Förderungen seien in dieser Aufstellung bereits enthalten. "Mit der Energiekosteneinsparung rechnet sich das Szenario nach 14 Jahren", bilanziert der Architekt und Energieeffizienzexperte.

Fazit: Söder macht nur Stimmung

Auch Physiker Hundhausen zieht ein ähnliches Fazit. "Energetische Sanierung wird immer wirtschaftlich sein, wegen der über die Zeit eingesparten Energie", sagt er.

Warum Söder dann von 300.000 Euro spricht und der Bevölkerung Angst macht? Hundhausen: "Mir scheint es so zu sein, dass Stimmung gegen die notwendige Wärmewende gemacht werden soll."

Verwendete Quellen
  • twitter.com: Tweet von Markus Söder und Reaktionen
  • Anfrage an Markus Söders Büro
  • Telefonat und Mail-Austausch mit Martin Hundhausen
  • Mail-Austausch mit Marcus Dietmann, Mitgründer und CTO des Münchner Start-ups 42watt
  • energieheld.de: Die Wärmepumpe – alle Kosten im Vergleich
  • duh.de: "Sanierungskosten und Förderbedarf für vulnerable Hauseigentümer*innen", Kurzstudie im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe
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