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Extremsportler Jonas Deichmann: "Das war das erste Mal, dass ich Angst hatte"


Jonas Deichmann
Welt-Triathlet: "Das war das erste Mal, dass ich Angst hatte"


Aktualisiert am 03.12.2021Lesedauer: 7 Min.
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Jonas Deichmann, Extremsportler: Er umrundete in 14 Monaten mit einem Triathlon die Welt.Vergrößern des Bildes
Jonas Deichmann, Extremsportler: Er umrundete in 14 Monaten mit einem Triathlon die Welt. (Quelle: ravir_film/leer)

Polizeieskorte, Hundebegleiter und Schwimmen in der Dunkelheit – Jonas Deichmann hat es im Triathlon einmal um die ganze Welt geschafft. Im Interview mit t-online erzählt er, was er erlebt hat.

Der Extremsportler Jonas Deichmann hat als erster Mensch einen Triathlon um die Welt geschafft. Am Dienstagnachmittag erreichte er nach 14 Monaten seinen Start- und Zielort München. In der bayrischen Landeshauptstadt lebt der gebürtige Stuttgarter seit einigen Jahren.

In 120 Ironmans und 430 Tagen ist der Abenteurer dabei mehrmals an seine Grenzen gelangt – und hat dennoch den Rekord für den historisch längsten Triathlon geknackt. Deichmann ist unter anderem 54 Tage entlang der Adriaküste geschwommen, bei minus 20 Grad durch Sibirien geradelt und rund 5.000 Kilometer quer durch die Hitze Mexikos gerannt. Zurück in Deutschland erzählt der 34-Jährige im Interview mit t-online, warum Corona kaum eine Rolle gespielt hat und in welchem Moment er das erste Mal Angst hatte.

t-online: Sie sind 120 Ironmans um die Welt gelaufen. Warum?

Jonas Deichmann: Ich hab die letzten vier Jahre Weltrekorde aufgestellt und auch alle großen Kontinentaldurchquerungen gemacht. Da brauchte ich eine neue Herausforderung. Eine neue Disziplin, die mich wieder aus der Komfortzone herausbringt. Als Abenteuer habe ich natürlich immer vor den Augen gehabt, einmal rund um die Welt zu reisen.

Ein Triathlon um die Welt, das hat noch keiner gemacht, aber es ist möglich und ich war sofort begeistert. Ich mach gerne Sachen, die noch keiner gemacht hat, die reizen mich viel mehr als einfach immer schneller zu sein als jemand anderes.

Und war es schwerer oder leichter als gedacht?

Es ist immer schwerer, als ich es mir gedacht habe. Ich gehe da mit einer optimistischen Naivität ran. Muss man auch, denn sonst wird man gar nicht erst starten. Der beste Plan bringt in der Praxis nichts, weil immer mal was schiefgeht. Und es ist auch besser, man weiß es nicht vorher. Sonst wäre man ja demotiviert.

Warum demotiviert? Welche Hürden gab es?

Das Schwimmen zum Beispiel. Ich bin vorher nie wirklich geschwommen. Ich habe mal einen Test gemacht und bin im Bodensee geschwommen. Aber Bodensee und Mittelmeer sind eben doch ein bisschen anders. Ich habe nur Probleme gehabt beim Schwimmen: Ich habe mit Quallen, Scheuerstellen, offenen Wunden und mit den Strömungen gekämpft.

Es war wirklich die Hölle, aber es gab auch schöne Momente. Das darf man natürlich nicht vergessen. Ich bin immer Optimist. Ich rede mir ein, morgen wird super. Ich weiß, die Chancen stehen so, dass es eventuell nicht so sein wird, aber ich gehe immer vom Besten aus und das muss man auch.

Hatten Sie keine Angst, sich einfach ins Mittelmeer zu stürzen? Wie haben Sie sie überwunden?

Ich hab vor allem großen Respekt. Im Wasser ist mir das erste Mal klar geworden: Das Meer ist stärker als ich. Ich bin vom Fahrradfahren und vom Laufen gewöhnt, dass es beim stärksten Gegenwind gleich ein bisschen langsamer wird, aber es geht dennoch vorwärts.

Beim Schwimmen, wenn es Wellen und Strömung von vorne gibt, dann schwimmt man rückwärts. Da kann man nichts machen. Ich bin die Küste langgeschwommen, rund 20 Kilometer auf offenem Meer auf eine Insel raus. Da bin ich auch in die Dunkelheit gekommen. Das war das erste Mal, dass ich Angst hatte. Ich war weit außerhalb meiner Komfortzone. Wenn man dann im dunklen Meer ist und es noch drei Kilometer zurück aufs Festland sind und alles schwarz ist, dann ist das ein ganz doofes Gefühl.

Waren Sie ganz alleine in dem Moment oder wussten Sie, wenn Ihnen irgendwas passiert, kann Sie jemand absichern?

Nein, ich habe kein Begleitboot gehabt. Ich war alleine. Und ja, ich weiß, ich gehe nicht unter. Ich habe einen Neoprenanzug an und der schwimmt oben. Aber es ist trotzdem kein gutes Gefühl, wenn man da draußen ist. Da geht einem schon die Frage durch den Kopf: "Was könnte da unter mir sein?"

Aber der Gedanke wird dann weggeschoben. Es muss irgendwie weitergehen. Ich habe mich fokussiert. Du schwimmst. Vorne sieht man die Umrisse vom Land und da schwimmst du jetzt mit Vollgas hin. Das ist die einzige Option. Eine andere Lösung gibt es nicht.

Sie wurden trotzdem von etwas aufgehalten: der Corona-Pandemie. Welche Hürden gab es denn neben dem Umweg über Sibirien? Wie hat es die Reise beeinflusst?

Natürlich massiv durch Grenzschließungen. Ich musste meine Route bereits in Europa mehrere Male ändern und dann bin ich in der Türkei festgesessen. Für sieben Wochen, bis ich dann eine Einreisegenehmigung von Russland bekommen habe.

Aufgrund von Corona bin ich im Winter durch Sibirien, im Sommer durch Mexiko. Das war kein exzellentes Timing. Aber es hatte auch seine guten Sachen. Ich muss ehrlich sagen: Ich bin durch Mexiko gerannt und es war so viel besser, als ich mir jemals hätte erträumen können.

Haben Sie dadurch länger gebraucht?

Ja, ich habe ein bisschen länger gebraucht, ich hätte es wahrscheinlich sogar in zwölf Monaten geschafft. Durch Corona sind es 14 Monate geworden. In den Ländern wo ich war, gab es nie Lockdown. Deshalb hat alles gepasst. Und ich war ja auch bis auf Mexiko immer allein, irgendwo in der Wildnis, wo das Ansteckungsrisiko gering war.

Ich habe auch Momente erlebt, die man sich so überhaupt nicht vorstellen kann. In Istanbul zum Beispiel gab es einen Lockdown für Einheimische, aber nicht für Ausländer. Ich bin auf dem großen Highway, zwölfspurig, aus Istanbul rausgeradelt und bin in der Mitte vom Highway gefahren, weil ich der Einzige war. Es gab keine Autos.

Haben Sie während der Reise dennoch den Punkt gehabt, an dem Sie daran dachten aufzugeben?

Nein, das war nie eine Option. Für mich war immer klar, es geht irgendwie weiter. Die schwierigste Situation für mich war in der Türkei, wo eben die Grenzen zu waren. Es war das erste Mal etwas, das nicht unter meiner Kontrolle stand. Normalerweise weiß ich, wenn ich in einem Schneesturm bin, an einem Hindernis, dass es an mir alleine liegt. Aber irgendwie kann ich weiter. Nur wenn die Grenzen zu sind, dann kann ich nichts machen.

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Ich habe mich dann darauf fokussiert: "Was kann ich machen?" Sieben Wochen später habe ich dann die Reisegenehmigung für Russland bekommen und dann ging es weiter. In kleinen Schritten geht es immer dem großen Ziel entgegen.

Sie waren auf der Reise ganz alleine unterwegs. Gab es Momente, in denen Sie sich einsam gefühlt haben?

Nein, wenn ich in der Natur bin, fühle ich mich nicht einsam. Es sind schöne Momente. Beim Laufen in der Wüste zum Beispiel bin ich ganz alleine gerannt, habe mir Musik angemacht und bin einfach gelaufen. Das ist super schön und da fehlt mir auch niemand.

In Mexiko habe ich sehr viel Begleitung gehabt. Es entsteht ein Film und ein Buch über das Projekt. Das heißt, ich hatte auch alle fünf bis sechs Wochen Besuch für ein paar Tage von meiner Filmcrew.

Wie haben denn die Leute in Mexiko reagiert, wenn sie Sie gesehen haben auf der Straße?

Die Leute haben gewusst, wer ich bin. Es gibt nur eine einzige Straße am Anfang und da hat es sich schnell rumgesprochen, dass einer läuft. Die Autos haben angehalten oder sind langsamer gefahren und haben gehupt. Sie haben mir was zu trinken und zu essen gegeben. Als ich auf das Festland bin, wurde es sogar zu nationalen News. Jeder zweite Autofahrer hat mich gekannt. Das war eine große Party in Mexiko.

Sie hatten sogar eine eigene Polizeieskorte. Wie kam es dazu?

Alles begann mit einer Hündin, die mich 130 Kilometer begleitet hat. Danach war ich nie wieder alleine. Ich hatte teilweise hundert Läufer, die hinter mir gerannt sind. Ich wurde in jedem Dorf von Bürgermeistern und nationalen Medien empfangen. Auch die Politik hat das mitbekommen und große Empfänge organisiert und auch eine Polizeieskorte. Die haben gleich ein Großaufgebot gebracht.

Einmal bin ich durch Lyon gelaufen und da habe ich mal gezählt, wie viel Polizei vor Ort war: Neun Polizei-Pick-ups, ein gepanzertes Fahrzeug mit Maschinengewehr obendrauf und zwölf Motorräder, die die ganzen Ampeln und Kreuzungen in der Stadt für mich dicht gemacht haben, damit ich darüberrennen kann. Also eine unglaubliche Handlung. Und später sind die Polizisten mit ihren Maschinengewehren sogar mitgerannt.

Hat Sie der Medienrummel manchmal eingeschränkt?

In Mexiko ist die Medienaufmerksamkeit viel höher gewesen als in Deutschland. Es ist auch schön, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem es einfach zu viel ist. Wenn man überall erkannt wird und jeder will ein Foto machen.

Promi sein ist nicht schön. Ein paar Tage ja, aber wenn man in einem Restaurant sitzt und einfach nur was essen möchte, aber viermal wegen eines Selfies unterbrochen wird, dann macht das irgendwann keinen Spaß mehr. Deshalb freue ich mich auch darauf, mal wieder alleine zu sein.

"Promi sein ist nicht schön." Gibt es da noch weitere Lehren, die Sie aus Ihrer Reise gezogen haben? Lebenseinstellungen, die sich verändert haben?

Ja, ich bin ja mein ganzes Leben ein Radfahrer gewesen. Vorher habe ich Fahrradrekorde aufgestellt, aber ich bin kein Schwimmer gewesen und auch kein Läufer. Die 460 Kilometer Solostrecke überhaupt geschafft zu haben und 120 Marathons hintereinander, geben einem unglaublich viel Selbstvertrauen.

Es zeigt am Ende, du musst kein Profi sein, wenn du fest daran glaubst – und die richtige Einstellung hast. Die Leute planen viel zu viel und machen sich zu viele Gedanken um alles und am Ende starten sie nie. Das ist der Klassiker. Die meisten Projekte scheitern an diesem Schritt und nicht am eigentlichen Projekt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Jonas Deichmann
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