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Missbrauchsgutachten belastet Benedikt XVI. schwer – Papst reagiert


Gutachter erheben schwere Vorwürfe gegen Benedikt XVI.

Von dpa, afp, mam, pb

Aktualisiert am 20.01.2022Lesedauer: 4 Min.
Papst Benedikt XVI (Archivbild): Im Gutachten werden schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben.Vergrößern des BildesPapst Benedikt XVI (Archivbild): Im Gutachten werden schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. (Quelle: ZUMA Wire/imago-images-bilder)
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Im Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising werden schwere Vorwürfe gegen Papst Benedikt XVI. und Kardinal Marx erhoben. Nun hat sich der Sprecher des Papstes geäußert.

Am Donnerstag wurde ein mit Spannung erwartetes Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Diözese vorgestellt. Dabei sollte die Verantwortung, aber auch die individuelle Schuld der Kirchenvertreter geklärt werden.

Besonders Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. steht im Mittelpunkt des Gutachtens. Das Papier kommt zu dem Schluss, dass der nun emeritierte Papst trotz der Kenntnis von Taten zweier Kleriker sie in ihrem Amt belassen habe. Beide Priester seien in der Seelsorge tätig geblieben, kirchenrechtlich sei nichts unternommen worden. Ein Interesse an den Missbrauchsopfern sei bei Ratzinger "nicht erkennbar" gewesen.

Nach den Worten seines Privatsekretärs Georg Gänswein bedauert das frühere Oberhaupt der katholischen Kirche den Missbrauch von Kirchenbediensteten an Minderjährigen. "Der emeritierte Papst drückt, wie er es bereits mehrmals in den Jahren seines Pontifikats getan hat, seine Scham und sein Bedauern über den von Klerikern an Minderjährigen verübten Missbrauch aus und erneuert seine persönliche Nähe und sein Gebet für alle Opfer", zitierte das Medienportal "Vatican News" Gänswein am Donnerstag.

Benedikt habe "bis heute Nachmittag" das Gutachten der Kanzlei Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) nicht gekannt und wolle es in den kommenden Tagen studieren und prüfen, erklärte Kurienerzbischof Gänswein weiter.

Gutachter sehen keine Offenheit bei Kardinal Marx

Die Gutachter sind mittlerweile auch überzeugt, dass Ratzinger Kenntnis von der Vorgeschichte des Priesters Peter H. hatte, der 1980 aus dem Bistum Essen nach München kam. H. war als Pädophiler verurteilt und beging später im Erzbistum München weitere Missbrauchstaten.

Benedikt XVI. rechtfertigte den Fall in seiner 82 Seiten langen Stellungnahme damit, dass der Priester lediglich als Exhibitionist aufgetreten sei, nicht aber als Missbrauchstäter im eigentlichen Sinne. Wastl widersprach der Darlegung des Papstes auf Nachfrage eines Journalisten jedoch strikt. Demnach beginne sexueller Missbrauch nicht erst bei dem Berühren von Geschlechtsteilen.

Gutachter hält Papst-Aussage für "wenig glaubwürdig"

Ratzinger soll in einer brisanten Sitzung anwesend gewesen sein, in der entschieden wurde, dass der Priester in das Erzbistum München übernommen und wieder in der Seelsorge eingesetzt werde. Benedikt, der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, bestreitet dies und versichert, er habe an der Sitzung nicht teilgenommen.

Der Gutachter Ulrich Wastl präsentierte jedoch eine Kopie des Sitzungsprotokolls, wonach Ratzinger durchaus anwesend war. Demnach berichtete er in der Sitzung unter anderem von Gesprächen mit Papst Johannes Paul II. Er halte Benedikts Angabe, er sei bei dieser Sitzung nicht zugegen gewesen, für "wenig glaubwürdig", sagte Wastl.

Gutachter sehen eine Mitschuld bei Kardinal Marx

Auch Kardinal Marx sind, so Pusch, zwei Vergehen zur Last zu legen. Obgleich er sich offen gegenüber der Aufklärung der Missbrauchsfälle zeigte, konnte das Gutachten seine Offenheit nicht bestätigen. Es sei ungeachtet einer Vielzahl von Meldungen nur in "verhältnismäßig geringer Zahl" festzustellen, dass sich der Kardinal überhaupt unmittelbar mit Missbrauchsfällen befasst habe, so Pusch.

Wie Ulrich Wastl, Anwalt der beauftragten Kanzlei, erklärt, habe sich nach mehrmaliger Versetzung des Priesters Peter H. der Verantwortungsträger ab einem bestimmten Punkt dadurch zum Mittäter gemacht, dass der betreffende Priester weiter versetzt wurde. Nur so könne sich die Kanzlei erklären, weshalb die Taten des Priesters immer wieder ohne Konsequenzen blieben. Er empfiehlt daher eine unabhängige Stelle außerhalb der Kirche, bei der ebensolche Fälle entschieden werden könnten.

Anwältin: "Es gilt, die Vertuschung zu beleuchten"

Der heutige Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, hat sich gegen eine Teilnahme an der Veranstaltung entschieden. "Wir bedauern sein Fernbleiben sehr", so Marion Westphal, zuständige Rechtsanwältin, bei ihrer Eröffnungsrede. Besonders die Betroffenen des Missbrauchs hätten ein Interesse daran gehabt, von Kardinal Marx wahrgenommen zu werden.

Schon für 2010 war ein ähnliches Gutachten von der Kirche in Auftrag gegeben worden, das allerdings nie veröffentlicht wurde. Dieses Mal soll es anders sein – die neue Expertise soll auf den Ergebnissen von damals aufbauen. Es gehe, so Westphal, nun nicht mehr darum, Grunderkenntnisse festzustellen, sondern Konsequenzen zu ziehen. Diese zu verhängen obliege jedoch der Kirche, nicht den Gutachtern.

"Wesentlicher Bestandteil unseres Gutachtens ist die Feststellung von Verantwortlichkeit und Verantwortlichen, aber auch die individuelle Schuld. Es gilt, die Vertuschung zu beleuchten", so Westphal über das Gutachten, das auf mehr als 1.000 Seiten die Missbrauchsfälle in der Diözese zwischen 1945 und 2019 behandelt.

Pusch: "Betroffene wurden nicht wahrgenommen"

Etwa 500 Betroffene hätten ihre Erfahrungen für das Gutachten geschildert, so Pusch. Dabei ginge es vorwiegend um männliche Betroffene, die beschrieben, in jungen Jahren von Vertretern der Kirche missbraucht worden zu sein.

Pusch stellt die erschreckenden Zahlen um das Gutachten vor. So gebe es mindestens 235 mutmaßliche Täter – darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das sogenannte Hellfeld. Es sei von einer deutlich größeren Dunkelziffer auszugehen. Etwa 40 Kleriker seien nach Bekanntwerden ihrer Taten wieder in der Seelsorge eingesetzt worden, 18 davon sogar nach einschlägiger Verurteilung. "Betroffene wurden nicht wahrgenommen. Wenn, dann nicht wegen ihres Leids, sondern weil man sie als Bedrohung für das Erzbistum ansah", so Pusch.

Positiv hervorzuheben seien jedoch die Anstrengungen im Bereich der Prävention seit dem Jahr 2010. Wenn auch nur in wenigen Einzelfällen, so sei die Seelsorge auch durch die Kirche positiv von den Betroffenen aufgenommen worden. Dennoch sei die Aufarbeitung der Taten "unzureichend", so Pusch. Noch immer sei ein aktives Zugehen der Verantwortlichen auf die Betroffenen nicht erkennbar. Die "Wahrnehmung der Geschädigtenbelange" sei "auch nach 2010 unzulänglich". Pusch sieht ein "generelles Geheimhaltungsinteresse" und den "Wunsch, die Institution Kirche zu schützen".

Auf Nachfrage von Journalisten hält Westphal nochmals fest: Ein Einräumen von Fehlverhalten oder Anzeichen von Reue habe es bei den Beschuldigten nicht gegeben. Demnach habe niemand eingeräumt, dass er gewünscht hätte, damals anders gehandelt zu haben.

Marx will am Nachmittag Stellung nehmen

Papst Benedikt XVI. war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München, bevor Johannes Paul II. ihn nach Rom holte. Kritiker warfen Ratzinger schon seit geraumer Zeit Fehlverhalten vor – konkret beim Umgang mit einem Priester aus Nordrhein-Westfalen.

Der heutige Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, der die Studie in Auftrag gegeben hat, hatte am Nachmittag eine Stellungnahme zu dem Gutachten abgegeben. Er hatte dem amtierenden Papst Franziskus bereits vergangenen Sommer seinen Rücktritt angeboten. Dabei betonte er ausdrücklich Verfehlungen im Missbrauchsskandal. Franziskus lehnte Marx' Rücktritt damals jedoch ab. Ein erneutes Rücktrittsgesuch schloss Marx jedoch nicht aus.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP
  • Pressekonferenz im Livestream
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