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Häusliche Gewalt: Frauenhaus-Bewohnerin: "Ich habe das Monster besiegt"


Frauen in toxischen Beziehungen
"Konnte oft schon an seinem Blick erkennen, ob es Ärger gibt"


30.01.2022Lesedauer: 6 Min.
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Frau hält sich die Hände vor das Gesicht (Symbolbild): Zu ihrem eigenen Schutz bleiben die Frauen in diesem Text anonym.Vergrößern des Bildes
Frau hält sich die Hände vor das Gesicht (Symbolbild): Zu ihrem eigenen Schutz bleiben die Frauen in diesem Text anonym. (Quelle: Davor Puklavec/Pixsell/imago-images-bilder)

Frauenhäuser sind Zufluchtsorte für Frauen, die Schreckliches erlebt haben. Hier berichten zwei Frauen, für die eine solche Einrichtung die letzte Zuflucht ist. Ohne tägliche Gewalt und psychische Manipulation.

"Einmal hat er gesagt: 'Bei mir hattest du alles, selber Schuld, wenn du gehst'", sagt Matilda K. Dann lacht sie. Es ist ein ehrliches, befreites Lachen. Sie hält ihrer Tochter die Ohren zu: "Schläge hatte ich. Und Stress." Matilda K. – wie sie in diesem Text genannt werden möchte – hat zwei Aufenthalte im Frauenhaus und viele Jahre gebraucht, um so über den Vater ihrer drei Kinder sprechen zu können.

Vor vier Jahren bricht sie endgültig mit ihrem damaligen Leben, flüchtet vor der Gewalt. Da ist ihr Jüngster erst neun Monate alt. Fünf Monate verbringt sie im Frauenhaus – halb so lange wie beim ersten Mal. Das sei wie bei einer Geburt, sagt sie – beim zweiten Mal geht’s schneller.

Beim Erzählen sucht Matilda K. immer wieder Blickkontakt mit Anna S. – die Frauen verstehen sich. Auch Anna S. hat sich diesen Namen ausgedacht und fast zwei Jahre im Frauenhaus gelebt. Sie erzählen ihre Geschichte nicht dort. Die Adresse wird am Telefon nicht weitergegeben, zum Schutz der Bewohnerinnen. Stattdessen sitzen die beiden Frauen im Büro des "Second-Stage-Haus", das einen Zwischenschritt auf dem Weg zur eigenen Wohnung bilden soll. Erst danach geht es zusammen mit der Leiterin ins Frauenhaus, in einer bayrischen Stadt, wo sich Matilda K. und Anna S. kennengelernt haben.

Matilda K.: "Das Frauenhaus ist eine Brücke aus der Misere

Ende 2017 werden sie dort aufgefangen, erfahren Halt und bekommen den Raum, ihr Leben zu ordnen. Es gibt Beratungsgespräche und Hilfe beim Ausfüllen von Dokumenten. Vor allem aber stützen sich die Frauen gegenseitig. Das enge Zusammenleben ist in dieser Phase wichtig, die Nähe schafft Wärme. Jede Frau bewohnt ein Zimmer mit ihren Kindern, drei Bewohnerinnen teilen sich einen großen Wohnbereich, ein Spielzimmer für die Kinder und die Küche.

Die Einrichtung ist robust, funktional und leicht altmodisch – Jugendherbergen sehen ähnlich aus. In jedem Zimmer hängt mindestens ein Kreuz, weil die Einrichtung von der Caritas getragen wird.

Im Frauenhaus ist immer jemand zum Reden da. Oft sprechen sie gar nicht über das Erlebte, sondern nach langer Zeit endlich mal wieder über sich selbst. Sie nehmen sich Zeit, sich kennenzulernen und Freundschaften aufzubauen. Wenn die Kinder im Bett sind, setzen sich die beiden Frauen oft mit einer Käseplatte auf die Eckcouch und quatschen bis spät in die Nacht.

Matilda K. ist eine große Frau mit roten Haaren und warmer Stimme. Sie wählt ihre Worte sorgsam, nutzt viele Bilder. Sie hat über diese Dinge viel nachgedacht, deshalb hat sie diese Worte in sich. "Das Frauenhaus ist eine Brücke aus der Misere in ein freies Leben."

Ein schwerer Neubeginn

Nach einigen Monaten bekommt sie die Zusage für eine günstige Wohnung mit guter Lage und in der Kleinstadt gelegen, in der ihre Eltern wohnen. Sie fühlt sich bereit, weiß auch, dass sie ihre Familie als Stütze hat. Ihre Mutter gibt ihr die nötigsten Haushaltsartikel, ihr Vater leiht ihr das Auto, wann immer sie es braucht. Sie bekommt eine Familienhilfe, hat eine Anwältin und kann weiterhin die Beratung des Frauenhauses in Anspruch nehmen.

Trotzdem: Das erste Jahr in der neuen Wohnung ist für Matilda K. "ein Kampf – man fühlt sich so allein". Die Hilfe vom Jobcenter sei plötzlich nicht mehr so schnell und verlässlich, wie wenn der Antrag vom Frauenhaus kommt. Monatelang lebt sie fast ohne Möbel, besitzt zwei geliehene Töpfe. Das Geschirr muss sie in der Badewanne abspülen. Mittlerweile kann sie über ihre Schwierigkeiten auch lachen: "Das war lustig, irgendwie".

Doch bald findet ihr Ex-Partner heraus, wo sie nun wohnen und die Angst kehrt zurück. Auch ist Matilda K. anfangs noch sehr müde, braucht Regenerationszeit, wie sie sagt. Die Kinder sind nur für ein paar Stunden im Kindergarten. Währenddessen versucht sie, ein paar Punkte auf ihrer Liste abzuhaken. Immer wieder vor Gericht, Eilanträge. "Viel Streit mit dem Papa."

Matilda K.: "Keiner kann dir helfen ohne seine Zustimmung."

Matilda K. hat das gemeinsame Sorgerecht mit dem Vater, deswegen muss er bei vielen Anträgen zustimmen. Oft tut er das nicht, dann muss sie wieder zur Rechtsanwältin. Es zermürbt sie: "Keiner kann dir helfen ohne seine Zustimmung." Den Kampf um ein geordnetes Leben in Sicherheit führt sie gegen ihn. Wenn Mathilda K. über diese Zeit spricht, erzählen ihre Augen vom Schmerz, von der Angst und der Hoffnung – und das, obwohl das halbe Gesicht von der Maske verdeckt ist.

Erst dieses Jahr habe sie es geschafft, das Leben zu genießen, sagt Matilda K. Sie hat mehr Stärke in sich gefunden, als sie für möglich gehalten hätte. Heute schafft sie es, über ihren Ex-Partner, der ihr so viel angetan hat, zu lachen. Und in diesem Moment steht sie weit über ihm – und behält am Ende die Oberhand.

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Quelle: t-online

Auch Anna S. erzählt viel von sich, man muss kaum nachfragen. Die beiden Frauen wollen ihre Geschichte teilen. Eigentlich wurde für diesen Text vereinbart, dass Matilda K. und Anna S. nicht über das sprechen, was hinter ihnen liegt, sondern über ihren Start in ein selbstbestimmtes Leben. Nach einer Weile beginnen beide trotzdem, das Erlebte immer wieder mit einfließen zu lassen.

Betroffene: "Wo steht, dass das Leben einfach ist?"

Anna S. lässt ihre Freundin meist zuerst antworten. Sie trägt ihre braunen Haare in einem strengen Dutt, Strickpulli, Leggins und Turnschuhe. "Jeden Tag habe ich durch die Tür geschaut: Wie sieht er aus? Ist er auf Stress aus? Ich konnte oft schon durch seinen Blick erkennen, ob es jetzt Ärger gibt", erzählt sie. Im Frauenhaus war sie länger als die meisten anderen Bewohnerinnen – auch, weil ihr Ex-Partner ihr immer wieder drohte. Lange Zeit wollte sie sich auch danach nicht mit ihm an einen Tisch setzen und über die Kinder sprechen. "Er konnte mich psychisch so bearbeiten, wusste genau: Ein Wort und sie bricht zusammen."

Kurz nachdem Anna S. in ihre eigene Wohnung zieht, stirbt ihre Mutter. "Wir waren so", sagt sie und kreuzt Zeige- und Mittelfinger. Sie fällt in eine schwere depressive Phase, an der sie noch heute arbeitet. "Ich hatte kein Polster mehr, es war schon so viel passiert." Anna S. kann sich zu nichts mehr aufraffen, vergisst ständig Dinge, lässt einmal sogar den Herd an, bis die ganze Wohnung verraucht ist – und findet wieder Hilfe im Frauenhaus.

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Was mit ihr los ist, versteht sie erst, als ihre Beraterin sie auf eine mögliche Depression anspricht. Mit Psychotherapie und ihrer Familienhilfe schafft sie es, sich ihr Leben zu strukturieren und "wieder Boden unter den Füßen" zu bekommen. "Ich dachte nicht, dass nach allem noch mal so eine Herausforderung kommt. Aber wo steht, dass das Leben einfach ist?"

Matilda K.: "Ich bin auf der Strecke geblieben"

Beide sind dem Frauenhaus noch sehr verbunden, gehen zu Ehemaligentreffen und halten Kontakt zu allen ihren Mitbewohnerinnen. Dort zu sein, fühle sich heimisch an, sagt Matilda K. "Es war eine sehr schöne Zeit." Vor Kurzem waren sie zu Besuch im Haus. "Da wollte ich am liebsten mal wieder für ein Wochenende einziehen", sagt Anna S. Die Zeit im Frauenhaus war ihr erster Schritt ins neue Leben. "Dein Zufluchtsort, der dich daran erinnert, dass du nicht allein bist." Immer wieder bedanken sie sich während des Gesprächs bei ihrem "Schutzengel" – der Leiterin des Frauenhauses.

Heute haben Anna S. und Matilda K. beide eine neue Ausbildung begonnen. Sie wurden sich klar, wohin sie wollen und wollten endlich etwas für sich selbst tun. "Als Mama habe ich mich immer für die Kinder aufgeopfert, aber ich bin auf der Strecke geblieben", sagt Matilda K.

Anna S.: "Egal, was er tut und sagt, ich kann mich distanzieren"

Als Ad-hoc-Maßnahme hat sie sich Kleider gekauft, um sich wieder als schöne Frau zu fühlen. Sie engagiert sich ehrenamtlich in ihrer Gemeinde, wo ihre Arbeit und ihre Person geschätzt werden und hat vieles losgelassen, was sie früher beschäftigt hat. Bei der Erziehung ist sie nicht mehr so streng, auch nicht zu sich selbst. "Ich bin nicht perfekt und erwarte das auch nicht von meinen Kindern."

Matilda K. und Anna S. wissen, dass ihr Weg noch weit ist. Aber sie fühlen sich gestärkt und gerüstet für die nächste Hürde. "Mein Selbstbewusstsein ist vielleicht einen Zentimeter gewachsen", sagt Anna S. Heute geht sie anders auf ihren Ex-Partner zu, kann ihm auch gegenübertreten. "Egal, was er tut und sagt, ich kann mich distanzieren. Es verletzt mich nicht mehr, macht mich nicht mehr klein und kaputt." Sie sagt diese Worte mit starkem Blick, wirkt in diesem Moment selbstsicher und zum ersten Mal stolz: "Ich habe das Monster besiegt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort
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