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Ukraine | Nationalheld Stepan Bandera: Grab wird zur Pilgerstätte – für Vandalen


Bandera-Ruhestätte in München
Der ukrainische Nationalheld braucht auch im Grab Polizeischutz

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 15.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Das Grab von Stepan Bandera in München ist eine beliebte Gedenkstätte für Ukrainer. Der Nationalheld ist berühmt für seinen Unabhängigkeitskampf und berüchtigt für seine Verbrechen.Vergrößern des Bildes
Das Grab von Stepan Bandera in München ist eine beliebte Gedenkstätte für Ukrainer. Der Nationalheld ist berühmt für seinen Unabhängigkeitskampf und berüchtigt für seine Verbrechen. (Quelle: Christof Paulus)

In der Ukraine ist Stepan Bandera ein Held, für die russischen Propaganda ein Nazi. 1959 wurde er im Exil in München ermordet. Sein Grab zieht Verehrer an – und Vandalen.

Grabfeld 43 ist es. Das muss man wissen, sonst ist man gut eine gute Stunde oder mehr auf dem alten Teil des Münchner Waldfriedhofs unterwegs, um das Grab von Stepan Bandera zu finden. Dabei gibt es kaum eine Ruhestätte, die so leicht zu identifizieren ist wie jene Banderas auf dem Friedhof, der so weitläufig ist, dass Menschen hier ihre Joggingrunden drehen.

Anlaufstelle für Anhänger des Unabhängigkeitskämpfers war das Grab schon immer. Jetzt, da sein Anliegen wieder so aktuell ist wie zu seinen Lebzeiten, ist es geschmückt. Mit Blumen, Kerzen, ukrainischen Flaggen und Flaggen in den Farben Schwarz und Rot, die sinnbildlich für Bandera stehen und seine historische Rolle. Dafür, warum er in der Ukraine ein Nationalheld ist; und warum er in den Nachbarländern verachtet wird, seine Ruhestätte Ziel von Grabschändern ist.

Stepan Bandera und sein Grab in München

Sicher ist: Stepan Bandera kämpfte ein Leben lang für die Unabhängigkeit der Ukraine. Sicher ist aber auch: Dafür ging er über Leichenberge. Während des Zweiten Weltkrieges stand er lange an der Seite der Nazis gegen die Sowjetunion. Seiner Rebellentruppe werden Massaker gegen polnische Zivilisten in der Westukraine angelastet.

In der Sowjetunion wurde Bandera deshalb in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Aber auch den Deutschen wurde er zum Dorn im Auge: Sie inhaftierten ihn, weil eine unabhängige Ukraine nicht in die Pläne der Nazis passte. Nach dem Krieg blieb Bandera in Deutschland, konnte in München in Freiheit leben. Bis er 1959 von einem sowjetischen Agenten ermordet wurde. Und auf dem Waldfriedhof seine letzte Ruhe fand.

"Einmal täglich fährt die Polizei hier vorbei", sagt Gerd Reinhold, ein Friedhofsbesucher, der hier seine Runden dreht. "Ob ich das Grab kenne?", fragt er. "Ich komme oft daran vorbei!" Er schiebt sein Rad über den Weg am Grab entlang, betrachtet die Fahnen in den ukrainischen Nationalfarben Gelb und Blau. Oder in den Farben der OUN-B, Banderas ukrainischer Unabhängigkeitsmiliz, in Schwarz und Rot.

Was ist mit der Kamera am Grab von Stepan Bandera?

"Hier stehen fast immer Menschen und betrachten das Grab", sagt Reinhold. "Vor ein paar Jahren wurde der Grabstein mal umgeworfen. Seitdem steht hier ein neuer, schwererer." Der Rentner ist gut informiert, kennt viele Gräber auf dem Friedhof und ist sich sicher: Im Grableuchtenspender, direkt auf der anderen Seite des Weges vor Banderas Grab, ist eine Kamera.

Das bestätigt auch Ali Özge, der stellvertretende Leiter des Friedhofs. Ob in dem Kasten tatsächlich eine Kamera installiert ist, bleibt jedoch offen: Videoüberwachung ist laut bayerischem Datenschutzgesetz kenntlich zu machen.

Einen entsprechenden Hinweis findet man an Banderas Grab hingegen nicht. Und ein Polizeisprecher sagt, "dass zu konkreten Schutzmaßnahmen oder ermittlungstaktischen Maßnahmen grundsätzlich keine Angaben gemacht werden können".

Grab von ukrainischem Nationalheld wird zur Pilgerstätte

Doch schon das Gerücht könnte auf Vandalen abschreckend genug wirken. Das ukrainische Generalkonsulat gibt an, in jüngerer Vergangenheit nicht von Angriffen auf den Grabstein zu wissen. Von der Polizei heißt es, "in den zurückliegenden Jahren wurden vereinzelt Sachbeschädigungen an der Gedenkstätte am Waldfriedhof angezeigt".

Und: "Anfang April 2022 wurde auf der Gedenkstätte eine antirussische Abbildung abgelegt", meldet ein Polizeisprecher. Die täglichen Patrouillen der Beamten bestätigt indes Vize-Friedhofsleiter Özge, und auch, dass seine Mitarbeiter ein Auge auf das Grab haben.

Was Banderas Grab zum Ziel von Vandalismus machen dürfte, ist unter anderem russische Propaganda, die seit der russischen Invasion in der Ukraine auf Hochtouren läuft. Banderas Verstrickung in den Nationalsozialismus, seine Morde, das alles instrumentalisiert der Kreml, um die gesamte Ukraine als Nazi-Staat darzustellen und ihre Unabhängigkeit zu delegitimieren.

Stepan Bandera ist Teil der russischen Propaganda

Dabei nutzt Russland, dass die Verehrung Banderas in der Ukraine offensichtlich ist, nicht nur an seinem Grab in München. Das hatte 2015 der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk besucht. Und in der Ukraine stehen rund 40 Denkmäler für Bandera. Allerdings ist dessen Rolle nicht nur in der russischen Propaganda umstritten.

Zwei Männer, die in München leben, kommen am Grab vorbei. "Für uns in Polen ist er ein Verbrecher", sagen sie über Bandera. Dann lassen sie sich von Friedhofskiebitz Reinhold eine weitere Ruhestätte zeigen, weniger bekannt, nicht geschmückt und etwas vom Grab des Unabhängigkeitskämpfers entfernt: das seiner Tochter Natalie Kucan-Bandera.

Ukrainer nehmen Stellung zu Stepan Bandera

"Die Banderas sind nicht die einzigen Ukrainer, die auf dem Friedhof liegen", sagt Dmytro Shevchenko, ukrainischer Konsul in München. Das Generalkonsulat pflege zwei Gräber dort. Die Verachtung für Bandera in Polen ist ihm geläufig. "Historiker beider Länder stehen deshalb im Austausch", sagt er. "Aber Russland hat mit dem Dialog nichts zu tun."

In seinen Augen seien die "dunklen Seiten" Banderas bekannt, die Ukraine verschweige das nicht. "Aber er wird nicht dafür verehrt", sagt Shevchenko. Sondern für seinen Kampf um den Nationalstaat. Der sei mit hiesigem Nationalismus nicht gleichzusetzen. Denn während Nationalisten etwa in Deutschland eine Überlegenheit des eigenen Volkes betonen wollen, sei es Bandera darum gegangen, unabhängig zu sein.

Dass es in der Ukraine eine differenzierte Betrachtung Banderas gebe, wolle die russische Propaganda verdrehen. Und ohnehin: "Wenn Menschen Politik auf den Friedhof tragen, ist das falsch", sagt Shevchenko. Das Generalkonsulat stehe in engem Kontakt mit der Polizei. "Wir danken dafür, dass das Grab geschützt wird", sagt der Konsul.

Verwendete Quellen
  • Besuch auf dem Waldfriedhof München, Gespräch mit Besucher Gerd Reinhold und anderen
  • Gespräch mit Dmytro Shevchenko
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