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Ukrainischer Pfarrer in München: "Angst, dass wir aus der Gewaltspirale nicht rauskommen"


Ukrainischer Pfarrer
"Ich habe Angst, dass wir aus dieser Gewaltspirale nicht herauskommen"

InterviewVon Jennifer Lichnau

10.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Wolodymyr Viitovitch vor der Kirche seiner Gemeinde in München: "Auf den Frieden werden wir lange warten müssen."Vergrößern des Bildes
Wolodymyr Viitovitch vor der Kirche seiner Gemeinde in München: "Auf den Frieden werden wir lange warten müssen." (Quelle: Privat)

Wie tröstet man Menschen, die alles verloren haben? Vor dieser Aufgabe steht Wolodymyr Viitovitch beinahe täglich. Er leitet die ukrainische Gemeinde in München. Der Krieg hat sein Leben komplett verändert.

Wolodymyr Viitovitch lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Hier hat er sein Abitur gemacht und Theologie studiert. Und trotzdem ist der Krieg in der Ukraine sein täglicher Begleiter. Seine Angehörigen harren noch in seiner Heimat nahe Lwiw aus – trotz Bombenangriffen. In der Ukrainischen Gemeinde in München kümmert er sich um traumatisierte Geflüchtete, insbesondere um Mütter und Kinder.

t-online: Herr Viitovitch, Sie sind Pfarrer. Glauben sie noch an Gott?

Wolodymyr Viitovitch: Ich bin oft wütend und verzweifelt. Und frage nach dem Warum. Trotzdem glaube ich, dass gerade jetzt viele Menschen in Gott die letzte Institution sehen, die ein friedliches Ende herbeiführen kann. Für die Menschen, die nach Wochen der Flucht erschöpft hier ankommen sind, war unsere Kirche erst mal der einzige Ort, an dem sie zur Ruhe kommen konnten.

Welchen Eindruck machen die Geflüchteten auf Sie?

Es gibt sehr viel Leid und Not. Viele haben ihre Angehörigen verloren, ihre Söhne und ihre Männer. Gerade die Geflüchteten aus Mariupol oder aus den Vorstädten Kiews sind sich bewusst, dass sie im Grunde alles verloren haben.

Wie tröstet man Menschen, die alles verloren haben?

Die Geflüchteten bekommen bei uns Halt, allein schon, weil die Sprachbarriere wegfällt. Sie haben das Gefühl, verstanden zu werden. Davon abgesehen versuchen wir sie ein bisschen zu beschäftigen, beispielsweise mit Deutschkursen oder Malstunden für die Kinder.

Wie erleben Sie die Kinder, die hier ankommen?

Viele der Kinder mussten unter Bomben ihre Häuser verlassen und sind sehr verstört. Ein Kind, aus der Zentralukraine, lebt mit seiner Mutter hier mittlerweile in einer schönen Wohnung, bei einer netten Familie. Allerdings in der Nähe des Flughafens. Jedes Mal, wenn das Kind ein Flugzeug hört, versteckt es sich, aus Angst, dass jetzt gleich Bomben fallen.

Haben die Geflüchteten die Hoffnung, dass sie irgendwann zurück in die Ukraine können?

Ich höre immer wieder, dass die Leute nach Hause wollen. Aber es ist ja nicht so, dass in der Ukraine in absehbarer Zeit Frieden einkehrt. Ich hoffe einfach, dass die meisten ihre Familien wiedersehen werden.

Haben Sie damit gerechnet, dass es zu diesem Krieg kommt?

Im Grunde ist die Ukraine seit 2014 in diesem Krieg, nur ist daraus jetzt ein Vernichtungskrieg geworden. Man konnte damit rechnen. Nur haben alle gehofft, dass es nicht so weit kommt.

Tragen deutsche Politiker ihrer Meinung nach Mitverantwortung?

Auf einer Veranstaltung vergangene Woche hat jemand gesagt, dass wir in gewisser Weise alle mitverantwortlich sind. Wir alle haben die imperialistischen Tendenzen Russlands unterschätzt. Das Traurige ist, dass die Menschen in der Ukraine die Leidtragenden von Putins Rückkehr zu diesen sowjetischen Ideologien sind.

Es wurde immer wieder diskutiert, ob es Putins oder Russlands Krieg ist. Wie sehen Sie das?

Es ist nicht nur Putin. Putin hat eine Regierung hinter sich, er hat ein starkes Militär unter seiner Kontrolle. Es ist erschütternd, dass ein Großteil der Russen seine Politik unterstützt. Wobei man sich natürlich fragen muss, wie unabhängig die Umfragen in Russland sind, wenn bei einer falschen Antwort Gefängnis droht.

In München und ganz Deutschland haben am Montag prorussische Demos stattgefunden – zum Tag der Befreiung. Wie ist das für Sie?

Ich finde das unerträglich. Jeder weiß mittlerweile, welche Gräueltaten die Russen in der Ukraine begangen haben und immer noch begehen. In München oder anderen Städten "Z"-Zeichen zu sehen, die auch auf den Bomben sind, die die Russen auf die Ukraine abwerfen, das ist erschütternd.

Die Polizei hat in den letzten Monaten vermehrt Übergriffe auf Ukrainer vermeldet, auch in München. Können Sie das bestätigen?

Ich habe schon ein paar Mal was davon gehört. Es ist auch traurig zu sehen, dass die russische Propaganda bis nach Deutschland wirkt. In Russland kann ich es in einem gewissen Maße nachvollziehen, wenn man 14 Jahre nichts anderes hört. Aber dass die Menschen, die im Westen leben und die Möglichkeiten haben, sich anderweitig zu informieren, sich so stark mit der jetzigen Führung identifizieren, ist traurig. Unterdessen sterben in der Ukraine täglich Menschen. Das ist grauenhaft.

Haben Sie hier in München auch Kontakt zur russischen Bevölkerung?

Klar. Bis vor dem Krieg haben viele Ukrainer selbst nur Russisch gesprochen. Dafür wurde im Übrigen auch niemand verfolgt in der Ukraine. Auch in unserer Gemeinde kann jeder die Sprache sprechen, mit der er aufgewachsen ist. Viele wollen aber als Zeichen gegen die russische Aggression jetzt Ukrainisch lernen und sprechen.

Was erwarten Sie, wie es weitergeht?

Wir bekommen immer mehr Unterstützung und schwere Waffen. Das ist wahrscheinlich der einzige Weg, um den Aggressor in die Schranken zu weisen. Andererseits wirft Russland auch immer mehr Bomben auf ukrainische Gebiete und ich habe Angst, dass wir aus dieser Gewaltspirale nicht rauskommen. Ich schätze, dass wir noch lange auf den Frieden warten müssen. Und dann kommt die schwere Zeit des Wiederaufbaus.

Haben Sie verstanden, warum Scholz so zögerlich mit den Waffenlieferungen war?

Olaf Scholz hat sich vielleicht bei der einen oder anderen Sache zu viel Zeit gelassen oder war sich unsicher. Aber in Kriegszeiten muss man schnell reagieren, das ist leider so.

Sie selbst sind täglich mit dem Krieg konfrontiert. Wie gehen sie damit um?

Die letzten Wochen und Monate waren sehr hart und intensiv. Insbesondere, wenn man immer wieder erfährt, was den Kindern und den Müttern in der Ukraine passiert ist. Das ist erschütternd. Um das zu verarbeiten, gehe ich regelmäßig zu meiner Psychologin. Es tut mir sehr gut, mit jemand Außenstehendem offen reden zu können.

Das ukrainische Osterfest ist noch nicht lange her. Haben sie das überhaupt gefeiert?

Dieses Jahr war das Osterfest etwas Besonderes. Es war traurig, obwohl es normalerweise ja schön ist, wenn so viele Ukrainer zusammenkommen. Und dieses Jahr haben wir zwar gefeiert, aber es gab auch Tränen und ich habe sehr viel Trauer und Schmerz in den Augen der Menschen gesehen. Aber auch ein bisschen Hoffnung.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Wolodymyr Viitovitch am 9. Mai 2022
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