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"Zahlt Lehrgeld" – Patrick Helmes über Florian Wirtz in der Premier League


Ex-Nationalspieler kritisiert DFB-Stars
"Keiner bekommt es wirklich hin"

InterviewEin Interview von William Laing

Aktualisiert am 22.09.2025Lesedauer: 9 Min.
Patrick Helmes rauft sich die Haare: Die ehemalige deutsche Sturmhoffnung wurde in ihrer Karriere immer wieder von Verletzungen ausgebremst.Vergrößern des Bildes
Patrick Helmes rauft sich die Haare: Die ehemalige deutsche Sturmhoffnung wurde in ihrer Karriere immer wieder von Verletzungen ausgebremst. (Quelle: imago sportfotodienst/imago)
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In der Bundesliga brillierte Patrick Helmes einst als Stürmer mit Torgarantie. Mit t-online spricht er nun über die Lage bei seinen Ex-Klubs – und erklärt, weshalb er nie ein großes Turnier für die Nationalelf bestreiten durfte.

98 Bundesligaspiele, 45 Treffer: Die Torquote von Patrick Helmes liest sich auch mehr als zehn Jahre nach seinem Karriereende noch hervorragend. Der ehemalige Stürmer, der im deutschen Oberhaus für den 1. FC Köln, Bayer Leverkusen und den VfL Wolfsburg spielte, verbreitete zu seiner aktiven Zeit in den gegnerischen Strafräumen Angst und Schrecken. Mehrere schwere Verletzungen verhinderten jedoch eine noch erfolgreichere Laufbahn. Mit nur 31 Jahren machte Helmes 2015 Schluss.

In der Folge widmete sich der 13-fache deutsche Nationalspieler seiner Trainerkarriere. Helmes arbeitete über die Jahre unter anderem als Coach in der Nachwuchsabteilung von Bayer Leverkusen, stand als Cheftrainer von Alemannia Aachen und den Sportfreunden Siegen an der Seitenlinie. Mittlerweile ist der 41-Jährige als TV-Experte beim Sender RTL für die Europa League und die Conference League tätig.

Mit t-online hat Helmes über die aktuelle Lage bei seinen Ex-Klubs aus Köln und Leverkusen gesprochen. Dabei erklärt er, welchen FC-Profis er Chancen auf eine Nominierung für die deutsche Nationalmannschaft ausrechnet und was er von der frühen Entlassung von Erik ten Hag bei der "Werkself" hält. Außerdem erzählt Helmes, warum er selbst nie an einem großen Turnier mit der DFB-Auswahl teilnehmen durfte, was Joachim Löw ihm Jahre später sagte und warum die Nationalelf aktuell so große Probleme hat.

t-online: Herr Helmes, der 1. FC Köln hat als Aufsteiger einen starken Start in die neue Bundesligasaison hingelegt. Bei Top-Team Bayer Leverkusen läuft es wiederum noch nicht rund. Welcher Ihrer Ex-Klubs spielt im kommenden Jahr in der Champions League?

Patrick Helmes: Ich habe zuletzt bereits aus Spaß gesagt: In Köln lernt man schon die Champions-League-Hymne auswendig. Es geht in dieser Hinsicht immer sehr schnell, wenn in der Stadt, im Verein solch eine Euphorie entfacht wird. In Leverkusen herrscht hingegen gerade eine gewisse Ernüchterung nach dem Debakel um Erik ten Hag. Trotzdem glaube ich, dass Bayer eher an Platz vier kratzen wird als der FC.

Ten Hag war als Nachfolger von Xabi Alonso installiert worden, musste seinen Hut in Leverkusen aber schon nach drei Pflichtspielen wieder nehmen. Woran lag es, dass der Niederländer bei Bayer nicht funktioniert hat?

Der Funke ist schon bei seiner Vorstellung überhaupt nicht übergesprungen, dann war auch noch die Vorbereitung wackelig. Eine Bindung zwischen ten Hag und Leverkusen hat nie wirklich existiert. Ich frage mich deshalb vor allem: Wie hat er es geschafft, die Bayer-Bosse Fernando Carro und Simon Rolfes davon zu überzeugen, dass er der richtige Mann für den Job ist? Zwischen Theorie und Praxis muss es da einen gravierenden Unterschied gegeben haben. Für Carro und Rolfes ist die frühe Entlassung auch ein herbes Eingeständnis. Immerhin kann Leverkusen jetzt aber die vor der Saison gesteckten Ziele noch erreichen. Deshalb war das wohl die richtige Entscheidung, auch wenn es mir für ten Hag unfassbar leidtut.

Köln mischt derweil mit sieben Punkten aus den ersten drei Spielen die Liga auf. Der FC ist damit deutlich besser in die Saison gekommen als der Mit-Aufsteiger HSV, der erst einen Zähler auf dem Konto hat. Woran liegt das?

Beim FC haben die Verantwortlichen den Kader mit spannenden Neuzugängen wie zum Beispiel Marius Bülter, Jakub Kamiński oder Rav van den Berg ergänzt und dadurch eine positive Stimmung rund um den Klub erzeugt. Das ist in Köln enorm wichtig und kann ungeahnte Qualitäten freisetzen. Beim HSV gab es wiederum seit dem ersten verlorenen Testspiel in der Vorbereitung Stimmen, die gesagt haben: Das kann hier so nicht funktionieren. Das bleibt in der Mannschaft haften, es entstehen Zweifel – und plötzlich stimmen auch die Ergebnisse nicht.

Nach dem Punkt zum Auftakt in Gladbach stand am 2. Spieltag für den HSV direkt das Stadtderby gegen den FC St. Pauli an. Die Partie endete 0:2.

Mit einem Sieg in diesem Spiel hättest du eine ganze schlechte Vorbereitung wettgemacht und gleichzeitig eben jene Euphoriewelle erzeugt, die du in der Bundesliga als Aufsteiger brauchst. Sie haben das Spiel aber verloren und das zurecht. Am nächsten Spieltag gab es dann bei den Bayern eine 0:5-Klatsche. Man könnte fast sagen: Der HSV muss den Bayern dankbar sein, dass sie nach einer halben Stunde das Spiel mit dem Ball eingestellt haben. Sonst hätte das noch schlimmer geendet als ohnehin schon. In Hamburg herrscht deshalb in dieser Frühphase der Saison nicht diese positive Stimmung wie in Köln. Die Bundesliga gibt dir aber eigentlich nicht die Zeit, das aufzuholen.

Beim 1. FC Köln trumpfen mit Eric Martel und Jan Thielmann aktuell auch zwei langjährige U21-Nationalspieler groß auf. Müsste Julian Nagelsmann die beiden nicht bald zur A-Nationalelf einladen?

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Wenn ich mir die letzten beiden deutschen Länderspiele angucke, dann müsste ich Ja sagen. Wir sollten den Jungs aber Zeit geben. Eric Martel war zuletzt Kapitän der U21-Auswahl. Ihm ist es von seiner Entwicklung her auf jeden Fall zuzutrauen, in den nächsten zwei Jahren A-Nationalspieler zu werden. Ich mag auch Jan Thielmann von seinen Fähigkeiten her sehr. Er hat einen super Abschluss, den er aber viel zu selten zeigt. Dafür, dass er schon über 100 Bundesligaspiele gemacht hat, ist seine Torquote einfach nicht gut (neun Treffer, Anm. d. Red.). Wenn er das aber in den Griff bekommt, stehen ihm alle Türen offen.

Eigentlich ist Thielmann gelernter Angreifer, in der vergangenen Spielzeit musste er in Köln aber oft als rechter Verteidiger agieren. Ist es da nicht schwierig, die geforderte Torgefahr zu entwickeln?

Als Vollblutstürmer hätte ich so was früher auf gar keinen Fall mitgemacht. Da hätte ich gesagt: 'Trainer, sei mir nicht böse, aber nein. Ich bin Stürmer. Ich will Tore schießen.' Für mich hat Jan Thielmann als Außenverteidiger in der vergangenen Saison ein Jahr verloren, um zu zeigen, was für eine Torquote er generieren kann.

Sie waren selbst einst Nationalspieler, absolvierten zwischen 2007 und 2010 insgesamt 13 Länderspiele. Das Besondere: Als Sie debütierten, waren Sie in Köln noch Zweitligaprofi. Wie haben Sie reagiert, als Sie das erste Mal zur A-Nationalmannschaft eingeladen wurden?

Für mich war das alles kaum zu glauben. Ich war kein langjähriger Jugendnationalspieler, hatte erst im September 2006 meine ersten Tore für die deutsche U21-Nationalmannschaft geschossen. Dann bin ich mit einem Mittelfußbruch vier Monate ausgefallen. An einem Sonntag im März war ich dann mit einem Kumpel Playstation spielen. Plötzlich bekam ich einen Anruf von einer unbekannten Nummer. Am Telefon war nicht der damalige Bundestrainer Joachim Löw, sondern sein Assistent Hansi Flick. Ich habe zuerst gar nicht geschnallt, dass er das wirklich ist.

Und dann?

Er sagte zu mir, die Nationalmannschaft spiele am Mittwoch in Duisburg gegen Dänemark. Sie würden mich gerne dazunehmen. Ich war wie in Trance. Auf der Autofahrt nach Düsseldorf, wo das DFB-Team untergebracht war, habe ich mich schon gefragt, was das jetzt wohl wird. Ich kannte die großen Jungs aus dem DFB-Team nur aus dem Fernsehen, es war ja keiner aus der zweiten Liga dabei. Am Ende wurde ich in der Nationalmannschaft aber gut aufgenommen und habe ein starkes erstes Länderspiel absolviert, auch wenn wir 0:1 verloren haben.


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Wenn ich die Weltmeister von 2014 sehe, dann hätte ich ein Teil davon sein können.


Patrick Helmes


Ein großes Turnier durften Sie aber nie mit Deutschland bestreiten, obwohl Sie insbesondere bei den Europameisterschaften 2008 und 2012 zum engeren Kandidatenkreis für den Kader zählten. Ein blödes Gefühl, letztlich nicht ausgewählt zu werden?

Angenehm ist auf jeden Fall anders. Dass ich 2012 nicht nominiert wurde, hat mich besonders enttäuscht, weil ich in absoluter Top-Form war. Ich bin der Meinung: In diesen EM-Kader hätte ich reingehört. Manchmal denke ich auch: Wenn ich die Weltmeister von 2014 sehe, dann hätte ich ein Teil davon sein können. Bei einer Nominierung 2012 hätte ich mich über die nächsten zwei Jahre sicherlich in der Nationalelf gehalten. Meine Abschlussquote war enorm. Jogi Löw hat mir bei seinem Abschied in Wolfsburg 2021 gesagt, er habe in all den Jahren nie einen besseren Abschlussspieler als mich gesehen.

Und nominierte Sie trotzdem nie für ein finales Turnier-Aufgebot …

Ich hatte eben auch das Pech der schweren Verletzungen. 2010 hat mich ein Kreuzbandriss die WM gekostet. Zwei Jahre zuvor stand ich als Zweitliga-Profi im vorläufigen EM-Kader. Ich wurde am letzten Tag aussortiert, weil das Trainerteam lieber mit Oliver Neuville, der mit Gladbach selbst gerade in die 2. Liga abgestiegen war, ins Turnier gehen wollte. Olli hatte durch seine Leistungen bei der Heim-WM 2006 einfach einen Bonus und auch noch einen weiteren großen Vorteil mir gegenüber.

Der da wäre?

Er konnte mit der Rolle als Ergänzungsspieler viel besser umgehen als ich. Olli war älter und reifer. Die EM-Teilnahme hatten wir beide verdient. Aus Trainersicht weiß ich heute aber: Es geht nicht immer nur darum, die besten Spieler zu nehmen. Du musst eine Homogenität im Kader schaffen, bei der du weißt: Wenn ich einen Spieler brauche, dann ist er da. Das hat Olli die Jahre zuvor bewiesen, wenn man beispielsweise an sein entscheidendes Tor bei der WM 2006 gegen Polen zurückdenkt.

Zuletzt wackelte das DFB-Team in der WM-Qualifikation sogar gegen die vermeintlich kleinen Gegner Slowakei und Nordirland. Woran hapert es momentan?

Über das Spiel gegen die Slowakei (0:2, Anm. d. Red.) brauchen wir nicht zu reden. Das war nichts. Gegen Nordirland (3:1, Anm. d. Red.) war es aber auch nicht viel besser. Ich war in Köln im Stadion. Auf den Rängen gab es praktisch keine Stimmung. Wenn die aber gerade in Köln, wo die Fans im Stadion ohnehin nicht den besten Fußball gewohnt sind, nicht aufkommt, dann ist das immer ein Indikator dafür, dass sich das Feuer der Mannschaft nicht auf das Publikum überträgt. Ich sehe aber noch ein anderes Problem.

Ja?

Wenn ich zum Beispiel Jonathan Tah im vergangenen Jahr bei Bayer Leverkusen mit dem Jonathan Tah bei der Nationalmannschaft vergleiche, sind das für mich zwei unterschiedliche Spieler. Das gilt auch für den gerade verletzten Kai Havertz und sogar für Florian Wirtz. Flo spielt im DFB-Team nie so frei auf, wie er das in Leverkusen immer getan hat. Insgesamt bekommt es keiner wirklich hin, das, was er im Verein zeigt, auf die Nationalelf zu übertragen.


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Flo ist der talentierteste Spieler, den wir hier seit Jahrzehnten erlebt haben.


Patrick Helmes über Florian Wirtz


Wirtz wirkt momentan aber nicht nur in der Nationalelf gehemmt. Auch beim FC Liverpool, zu dem er im Sommer für 125 Millionen Euro gewechselt ist, hat er noch Anlaufschwierigkeiten. War der Schritt nach England dennoch die richtige Entscheidung?

Flo zahlt in der Premier League gerade Lehrgeld. Dass er noch nicht vollkommen angekommen ist, zeigt zunächst einmal: Der englische Fußball ist vom Tempo und von der Härte her auf einem ganz anderen Level als die Bundesliga. Persönlich hätte ich mich sehr gefreut, wenn er in Deutschland geblieben wäre. Aber Flo ist der talentierteste Spieler, den wir hier seit Jahrzehnten erlebt haben. Dass er diese Entscheidung getroffen hat, passt perfekt.

Woran machen Sie das fest?

In Deutschland hat Flo schon alles gewonnen, was du national gewinnen kannst – und das nicht mal mit dem FC Bayern. Wenn er jetzt die intrinsische Motivation hat, der beste Fußballer der Welt zu werden, muss er den nächsten Schritt gehen und das geht im Grunde nur in der stärksten Liga der Welt: der Premier League. Ihm wird klar gewesen sein, dass es am Anfang ein bisschen ruckeln könnte. Ich glaube, dass ihn das letztlich aber besser machen wird.

Inwiefern?

Flo ist besessen von Erfolgen, selbst im Training. Wenn er verliert, spricht er kein Wort mehr. Dann ist er sauer ohne Ende. Dass in Liverpool noch nicht alles nach Plan läuft, packt ihn dementsprechend richtig. Diese Einstellung wird ihn auf die nächste Ebene heben. Das ist eigentlich das Beste, was ihm persönlich, aber auch der deutschen Nationalmannschaft passieren kann.

Neben Wirtz ist auch Nick Woltemade im Sommer für teures Geld nach England gewechselt. In der Nationalelf konnte er zuletzt nicht überzeugen. Die Alternativen Tim Kleindienst und Niclas Füllkrug sind zudem verletzt oder außer Form. Hat Deutschland ein Stürmerproblem?

Wir haben aktuell keinen Weltklasse-Stürmer, weil auch keiner bei einem Weltklasse-Verein spielt. Das gilt für Kleindienst in Gladbach, genauso wie für Füllkrug bei West Ham und Woltemade in Newcastle. Dessen Stern ist sowieso erst vor einem halben Jahr aufgegangen. Dass der Junge seinem neuen Klub jetzt fast 100 Millionen Euro wert war, ist schön für ihn. Woltemade muss jetzt aber erst mal nachweisen, dass er wie zum Beispiel Harry Kane für den FC Bayern und England jede Woche treffen kann. Das ist dann echte Weltklasse.

Die Transfersummen, die in diesem Sommer weltweit geflossen sind, haben noch einmal völlig neue Dimensionen erreicht. Was wäre eigentlich ein Patrick Helmes zu seiner besten Zeit heute wert?

Ich konnte damals Tore garantieren. Wenn ich die aktuellen Summen sehe, dann würde ich mit einem Schmunzeln sagen: Ich wäre da auch im dreistelligen Millionenbereich.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Patrick Helmes
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