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Unterschätzte Gefahr des Fußballs: Christoph Kramer warnt vor Kopfverletzungen


Mehr als nur Kopfschmerzen
Die unterschätzte Gefahr des Fußballs

Von Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 15.05.2019Lesedauer: 6 Min.
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Kennt jeder Fußballer: Zusammenstöße mit dem Kopf sind schmerzhaft – und gefährlich.Vergrößern des Bildes
Kennt jeder Fußballer: Zusammenstöße mit dem Kopf sind schmerzhaft – und gefährlich. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Nicht nur im American Football oder im Boxen, auch im Fußball kommt es häufig zu Gehirnerschütterungen. Ausgewechselt werden die Spieler nicht in jedem Fall. Das kann schwere Folgen haben.

Schlussphase in Nürnberg, der "Club" kämpft gegen den FC Bayern um den Sieg. Es steht 1:1, die 93. Spielminute läuft. Es ist der 31. Spieltag in der Bundesliga. Für beide Teams geht es um viel. Sie geben alles, kämpfen um jeden Ball. Bei einem hohen Anspiel in der Münchner Hälfte steigen die Nürnberger Lukas Mühl und Georg Margreitter zum Kopfball hoch, nehmen sich dabei gegenseitig nicht wahr und stoßen mit den Köpfen aneinander. Beide gehen zu Boden. Doch während Margreitter schnell wieder steht, bleibt Mühl liegen. Stark benommen wird er von medizinischen Betreuern untersucht und aus dem Spiel genommen. Für ihn ist die Partie beendet. Diagnose: Gehirnerschütterung. Keine Seltenheit im Profifußball.

Die schweren Folgen

Etwa an jedem zweiten Spieltag kommt es in der Bundesliga laut DFB zu einer Kopfverletzung. Zwei weitere Beispiele aus der Rückrunde: Freiburgs Philipp Lienhart fehlt seit Mitte März mit einer Gehirnerschütterung, auch Stuttgarts Timo Baumgartl verpasste den kompletten Februar wegen einer Kopfverletzung. Die längeren Pausen sind angemessen. Eine Gehirnerschütterung braucht Zeit. Hoffenheims Benjamin Hübner fehlte deshalb die gesamte Hinrunde. Zu oft werden Spieler zu früh wieder eingesetzt oder im Spiel zu spät ausgewechselt. Noch scheint es so, als sei nicht jeder Klub für dieses Thema sensibilisiert.

Dabei können Gehirnerschütterungen bei falscher Behandlung schwere Folgen haben. Wenn Spieler trotz Kopfverletzung weiterspielen, besteht ein erhöhtes Risiko für Langzeitschäden. Die Krankheit CTE (Chronisch Traumatische Enzephalopathie) ist ein Beispiel. CTE ist eine Gehirnerkrankung, die unter anderem Gedächtnisverlust, Persönlichkeitsveränderung, Depression oder sogar parkinsonähnliche Zuckungen verursachen kann. So beschreiben die Wissenschaftler der University of California die möglichen Folgen.

"Dem Gehirn ist egal, welchen Sport man ausübt. Beim Fußball wird das Gehirn durch viele Kopfbälle und Zusammenstöße belastet. Auch da besteht die Gefahr von CTE", warnt die Neurowissenschaftlerin Ann McKee von der Boston University. Und es gibt auch einige Beispiele: Der Schweizer Philippe Mantandon musste vor einigen Jahren vorzeitig seine Karriere beenden. Gleiches galt für den irischen Nationalspieler Kevin Doyle im Herbst 2017.

Der Fall Vertonghen

Vor allem bei mehreren Zusammenstößen innerhalb von kurzer Zeit ist die Gefahr groß. Es ist gefährlich, wenn sichtlich benommene Spieler wenige Minuten nach einem Kopfstoß wieder auf dem Platz stehen. Beim Halbfinal-Hinspiel in der Champions League zwischen Tottenham Hotspur gegen Ajax Amsterdam am 30. April kollidierte Innenverteidiger Jan Vertonghen mit Teamkollege Toby Alderweireld. Sichtlich benommen musste Vertonghen behandelt werden.

Kurze Zeit später stand er am Spielfeldrand und sollte wieder auf den Platz. Von den Ärzten gab es dafür das Okay. Nach einer halben Minute auf dem Rasen deutete Vertonghen an, dass es für ihn nicht weiter geht. Ein Einsatz wäre für seine langfristige Gesundheit sehr riskant gewesen.

Vorbild NFL

Im Nachhinein behauptete Tottenham, der Belgier habe keine Gehirnerschütterung gehabt. Bei Ansicht der Bilder ist das kaum zu glauben. Doch es handelt sich dabei nicht um einen Einzelfall. Es ist nur ein Beispiel von vielen. Ein mögliches Problem beim Umgang mit Kopfverletzungen: Auf den Ärzten der Teams lastet ein hoher Druck.

"Einem Schlüsselspieler eine Gehirnerschütterung zu diagnostizieren und damit aus dem Spiel zu nehmen, ist oft eine schwierige Entscheidung und wird des Öfteren übersehen (Christoph Kramer im WM-Finale 2014)", erklärt Dr. Ingo Helmich, Neurowissenschaftler von der Sporthochschule Köln t-online.de und ergänzt: "Für diese Entscheidung wäre eine geschulte und unabhängige Person, die validierte Messmethoden anwenden kann, optimal."

Diesen Zwiespalt könnte die DFL nach dem Vorbild NFL, der amerikanischen Football-Liga, lösen. Dort beurteilen nicht die Teamärzte die Kopfverletzungen der Spieler, sondern neutrale Mediziner, wie sie Helmich auch für den Fußball vorschlägt. Bei einem sogenannten "Concussion Protocol", einem strikten Protokoll für Gehirnerschütterungen, werden die betroffenen Athleten nach einem standardisiertem Plan von Experten für Kopfverletzungen untersucht. Sie allein entscheiden, ob der Spieler wieder auf den Platz zurückkehren darf.

"Dafür braucht man geschultes Personal"

Die Mannschaftsärzte der Bundesliga-Teams zählen auf ihrem Gebiet zu den besten des Landes. Doch in vielen Fällen sind sie auf Verletzungen am Knie oder am Fuß spezialisiert. Nicht auf die im oder am Kopf.

"Gehirnerschütterungen sind nicht immer leicht zu erkennen. Um eine Gehirnerschütterung zu erkennen, braucht man geschultes Personal. Dies haben insbesondere prominente Beispiele wie Loris Karius im Champions-League-Finale 2018 gezeigt", so Helmich. Bei dem deutschen Torwart stellte sich erst nach dem Spiel heraus, dass er während der Partie eine Gehirnerschütterung erlitt. Das ergab eine Untersuchung im Massachusetts General Hospital. Die Teamärzte von Liverpool hatten die Kopfverletzung nicht bemerkt.

"Tunnel Doctor" kein Thema für die DFL

Trotzdem hält die DFL von dem Vorschlag, unabhängige Mediziner in der Bundesliga mit einzubeziehen, nicht viel. Auf Anfrage von t-online.de teilte die DFL mit: "Jeder fremde Arzt hat es schwerer, eine Einschätzung zu treffen, wenn er die Spieler und deren Verhalten nicht kennt. Das macht insbesondere die Einschätzung von Gehirnerschütterungen noch schwerer."

Die Premier League hat für diese Thematik eine andere Lösung. Seit einigen Jahren gibt es dort den sogenannten "Tunnel Doctor" (zu Deutsch: Tunnel-Doktor), der bei einem Premier-League-Spiel Pflicht ist und auf Gehirnerschütterungen spezialisiert ist. Die DFL sieht dies aber nicht als eine Option für die Bundesliga an: "Der 'Tunnel Doctor' steht in einem vollen Stadion ebenfalls unter einem gewissen Druck, so dass wir es in der Summe für vorteilhaft halten, wenn der Mannschaftsarzt die Diagnostik vornimmt."

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Football und Fußball nicht 1:1 vergleichbar

Die Mannschaftsärzte werden also weiter auf sich selbst gestellt sein. Eine neutrale Unterstützung von außen hält Ralph Kern, verantwortlicher Mediziner der TSG Hoffenheim, ohnehin für überflüssig: "Wir handeln und behandeln bei Gehirnerschütterungen auch nach standardisiertem Plan. Ich glaube nicht, dass uns eine unabhängige Unterstützung an der Seitenlinie weiterhelfen würde."

Würde ein Concussion Protocol wirklich nicht helfen? Zwar können Sportarten wie American Football und Fußball nicht leicht miteinander verglichen werden. Die Anzahl der starken physischen Zusammenstöße ist im Football schließlich viel höher als im Fußball. Trotzdem besteht auch im Fußball ein Risiko. Neben den Zusammenstößen ist die Vielzahl von Kopfbällen nicht zu unterschätzen. Wissenschaftler des University College London untersuchten die Gehirne von dementen Fußballern und stellten fest, dass CTE bei ihnen häufiger vertreten war als bei gewöhnlichen Menschen, die nicht Fußballer waren.

"Ich dachte: 'Mist, hoffentlich kannst du mit 30 noch denken'"

Aber was sagen die Fußballer selbst? Schließlich sind sie es, die mit den Konsequenzen leben müssen. Den Gefahren von Gehirnerschütterungen müssen sich nicht nur Ärzte, Vereine und Verbände bewusst sein. Einer, der mit dem Thema schon häufiger konfrontiert war, ist Ex-Nationalspieler Christoph Kramer. Seine Gehirnerschütterung im WM-Finale ist das bekannteste Beispiel.

Er ist sich der Gefahren bewusst und warnt im Gespräch mit t-online.de: "Ich habe mich ganz viel damit beschäftigt. Das ist ein Thema, das man nicht unterschätzen darf." Gleichzeitig fügt der 28-Jährige an: "Mich mit einem Football-Profi zu vergleichen, wäre Quatsch. Da kracht es viel häufiger. Als ich bei meiner ersten Gehirnerschütterung gelesen habe, was mit mir alles passieren kann, hab ich nur gedacht: 'Mist, hoffentlich kannst du mit 30 noch denken.' Als ich mich dann selbst mit dem Thema auseinandergesetzt und mich mit Experten unterhalten habe, konnte ich das besser einordnen und etwas entspannter sehen. Trotzdem: Das ist sehr ernst zu nehmen, und im Falle einer Gehirnerschütterung muss man alles durchchecken und auskurieren."

Sensibilität ist gestiegen

Nicht jeder Spieler setzt sich so stark mit dem Thema auseinander wie Christoph Kramer. Nur wenige Profis sind sich den Risiken bewusst. Wie viele Informationen erhalten sie von der DFL? Kramer: "Eigentlich nicht so viele. Wenn was passiert, sind aber unsere Mannschaftsärzte natürlich sofort da und versorgen einen mit allen nötigen Informationen und kümmern sich um uns. Aber ich weiß auch gar nicht, ob das so gut wäre, über negative Dinge so viel zu reden. Wenn man jedes Mal als Vereinsarzt sagt 'immer auf den Kopf aufpassen', dann passiert es erst recht."

Auch wenn Kramer sich von dem Thema nicht verrückt machen lässt, spürt er eine erhöhte Sensibilität dafür. Der Weltmeister sagt, in den letzten Jahren habe er sich immer vom Platz nehmen lassen, wenn er etwas hatte.


Das ist auch die einzig richtige Entscheidung. Denn selbst, wenn sich nach einer Partie herausstellt, dass ein wegen einer Kopfverletzung vom Platz genommener Spieler doch keine schwere Gehirnerschütterung hatte, ist es besser, auf Nummer sicher gegangen zu sein. So wird es schließlich auch bei anderen Verletzungen gehandhabt. Spieler werden nicht erst dann ausgewechselt, wenn das Außenband gerissen ist, sondern auch, wenn eine erhöhte Gefahr besteht.

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