Deutscher Klub vor dem Absturz Eine Ära droht zu enden

Die SGS Essen ist der letzte echte Frauenfußball-Verein in der Bundesliga. Doch der Saisonstart verlief katastrophal. Für den Klub geht es sportlich jetzt ums Überleben.
Fünf Spieltage sind in der deutschen Frauen-Bundesliga absolviert. Am Samstag wurde einmal mehr deutlich, wie weit die fußballerische Qualität einiger Teams tatsächlich auseinanderliegt. Die SGS Essen duellierte sich mit dem deutschen Rekordmeister VfL Wolfsburg – und musste vor eigenem Publikum eine deftige 0:8-Klatsche hinnehmen.
Während die "Wölfinnen" sich durch den Kantersieg an die Tabellenspitze setzten, bleibt Essen nach der neuerlichen Niederlage Letzter. Schon in der Frühphase der Saison steht damit fest: Für den Klub, der noch im letzten Jahr eine Spielzeit ohne große Abstiegssorgen absolvierte, wird der Ligaverbleib in der aktuellen Runde zur Mammutaufgabe. Sollte der Klassenerhalt nicht gelingen, endet im deutschen Frauenfußball womöglich eine Ära.
"Es ist bisher katastrophal gelaufen"
14 Vereine spielen seit dieser Saison in der Frauen-Bundesliga. Was auffällt: Die meisten von ihnen sind der breiten Öffentlichkeit eher durch ihre Herren-Abteilungen bekannt. So sind beispielsweise der FC Bayern München, aber auch Klubs wie der 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen oder der Hamburger SV nicht nur mit ihrem Frauen-, sondern auch mit ihrem Männerteam in Deutschlands höchster Spielklasse vertreten.
Anders ist das seit jeher bei der SGS Essen. Die Abteilung für den Frauenfußball ist das Aushängeschild beim Ruhrpottklub. Damit hat der Verein im deutschen Oberhaus seit dem Abstieg des früheren Spitzenteams Turbine Potsdam in der vergangenen Saison ein Alleinstellungsmerkmal. Essen, seit 2004 in der Bundesliga, ist der letzte Klub seiner Art, der dem strukturellen Wachstum des deutschen Frauenfußballs und den deutlich höheren finanziellen Möglichkeiten der Konkurrenz sportlich noch nicht zum Opfer gefallen ist – bis jetzt.
Der völlig verpatzte Saisonstart lässt die Alarmglocken bei der SGS nämlich schrillen. Nur einen Punkt hat das Team bisher ergattern können – und auch das Torverhältnis spricht Bände. Dem einen erzielten Treffer bei der Auswärtsniederlage in Köln Ende September stehen 17 Gegentore gegenüber. Ohne Zweifel Werte eines Absteigers. "Es ist bisher katastrophal gelaufen", fasste Co-Trainerin Jessica Wissmann nach der Klatsche gegen Wolfsburg laut "WAZ" die ersten Partien in der Liga zusammen. "Das muss man dann auch so klar sagen."
Högners Lücke ist für Augustin aktuell zu groß
Die Gründe für die aktuell missliche Lage des Teams sind divers. Fakt ist zum Beispiel, dass im Sommer eine entscheidende Position im Klub neu besetzt wurde: Robert Augustin wurde als neuer Teamchef auserkoren. Der 33-Jährige übernahm die Aufgaben von Markus Högner, der mit kurzer Unterbrechung insgesamt zwölf Jahre in Essen an der Seitenlinie stand und den Verein mit seiner Arbeit maßgeblich prägte.
Essens Rekordtrainer, der seine Spielerinnen unter anderem ins Pokalfinale 2020 und in der Saison 2023/2024 auf den vierten Tabellenplatz führte, wollte noch einmal eine neue Herausforderung wahrnehmen. Mittlerweile trainiert Högner die aufstrebenden Frauen von Borussia Dortmund. Doch die Lücke, die er in Essen hinterlassen hat, scheint für seinen Nachfolger Augustin aktuell zu groß zu sein. Lediglich im DFB-Pokalduell mit Regionalligateam Kickers Offenbach (7:0) wusste Essen unter dem vorherigen Co-Trainer wirklich zu überzeugen.
Im Anschluss sagte dieser im "Kicker": "Jetzt gilt es, mit dem Selbstbewusstsein aus dem Pokalspiel in die nächsten Bundesligapartien zu gehen und das abzurufen, was wir uns im Training erarbeiten." Doch dann folgte das Debakel gegen Wolfsburg. Augustins Analyse nach der Pleite gegen das Team um Ex-DFB-Kapitänin Alexandra Popp ließ bereits einiges an Hilflosigkeit durchblicken. "Wir sind dem Maßstab, den sie uns heute gesetzt haben, in keinster Weise gerecht geworden", so der neue Coach.
Etliche DFB-Stars in Essen ausgebildet
Dabei ist der Kader, der Augustin im Vergleich zur Vorsaison zur Verfügung steht, eigentlich nicht schlechter geworden. Mit Sophia Winkler hat der Klub zwar eine hochtalentierte DFB-Torhüterin nach Frankfurt abgeben müssen, mit Annalena Rieke zudem die intern zweitbeste Torjägerin der vergangenen Spielzeit in Richtung Rom. Doch mit Ex-Nationalspielerin Jana Feldkamp (aus Hoffenheim) sowie Shari van Belle (aus Lüttich) verpflichtete Essen auch zwei qualitativ hochwertige Spielerinnen für das eigene Aufgebot. Letztere erzielte auch das bisher einzige Tor des Klubs in der Liga.
Ohnehin gelang es den Verantwortlichen in der Vergangenheit eigentlich immer wieder, die Abgänge von Topstars zu kompensieren – und das vor allem mit jungen, entwicklungsfähigen Spielerinnen, oft auch aus der eigenen Jugend. Essen gilt nicht umsonst als klassischer Ausbildungsverein. Zahlreiche deutsche Nationalspielerinnen starteten oder absolvierten einen Teil ihres fußballerischen Werdegangs in der Stadt im Zentrum des Ruhrgebiets.
Bayern-Star Linda Dallmann spielte beispielsweise acht Jahre für die SGS. Ihre Mannschaftskollegin Lea Schüller schaffte es in Essen aus dem Juniorinnen- in den Profibereich, genauso wie Frankfurts Nicole Anyomi. Auch Lena Oberdorf (FC Bayern), Carlotta Wamser, Stina Johannes und Elisa Senß (alle Eintracht Frankfurt) liefen einst im lila-weißen Trikot auf.
Augustin kritisiert DFB-Talent: "Einfach härter arbeiten"
Im aktuellen Kader stehen ebenfalls etliche Talente, die das Potenzial besitzen, künftig für die deutsche A-Auswahl aufzulaufen. Dazu zählen die 17-jährige Kassandra Potsi oder die 18-jährige Leonie Köpp. Auch Spielerinnen wie Natasha Kowalski (22), Lany Mia Bäcker (17) oder Paulina Platner (19) liefen bereits für die U-Auswahlen des DFB auf. Doch ihre Qualitäten stellen die jungen Spielerinnen noch zu selten unter Beweis. Schon vor der Wolfsburg-Partie kritisierte Augustin deshalb Kowalski und Platner.
Die ehemalige VfL-Akteurin müsse im Spiel "einfach härter arbeiten und durch deutlich mehr Laufarbeit zeigen, dass sie da ist", sagte der Coach über Kowalski und machte damit indirekt deutlich, dass er mit ihrer Einstellung nicht vollends zufrieden ist. Bei Platner überwog in der Kritik der sportliche Aspekt.
"Sie benötigt im zentralen Mittelfeld zu viele Kontakte, um Pässe zu spielen. Bis der Ball ankommt, dauert es noch zu lange, das weiß sie", sagte Augustin. Auch eine "konstantere Technik" forderte er von seiner Spielerin. Das brauche aber "noch ein bisschen Zeit und Training für die Entwicklung", sagte er. Zeit, welche die SGS in dieser kritischen Phase womöglich nicht hat.
Schweres Programm in den kommenden Wochen
Bitter ist für den Klub derweil auch der Ausfall von Lilli Purtscheller. Die österreichische Nationalspielerin zählte in den vergangenen beiden Saisons zum Stammpersonal im Essener Mittelfeld. Seit Juli fällt die 22-Jährige jedoch aus. Im Training riss Purtscheller sich das Kreuzband. Ein Einsatz vor der Rückrunde gilt als ausgeschlossen. Heißt: Augustin muss die Wende in den kommenden Wochen mit den ihm verfügbaren Spielerinnen meistern.
Die Aufgaben werden für die Essenerinnen jedoch nicht leichter. Bereits am Freitag steht das knifflige Gastspiel bei RB Leipzig auf dem Plan. Eine Woche später empfängt das Team die TSG Hoffenheim um DFB-Stürmerin Selina Cerci. Anfang November geht es dann zum wohl schwersten Auswärtsspiel des Jahres: Essen gastiert beim deutschen Meister FC Bayern.
Dass die SGS in den kommenden drei Spielen punktet, ist also mit Blick auf den bisherigen Saisonverlauf alles andere als sicher. Die Lage dürfte sich bei den nächsten Niederlagen in der Liga weiter zuspitzen – der Abstieg würde noch näher rücken. Die Bundesliga droht damit, ihren letzten echten Frauenklub zu verlieren.
Kleiner Hoffnungsschimmer für Fußballromantiker: In der 2. Bundesliga ist aktuell der SC Sand Tabellenführer und träumt vom Aufstieg. Auch der Klub aus Baden-Württemberg ist vor allem für seine Frauenfußballabteilung bekannt.
- waz.de: "'Bisher katastrophal': Bei der SGS Essen dominieren Verunsicherung und Hilflosigkeit"
- sgs-essen.de: "Deutliche Niederlage gegen den VfL – SGS gegen Wolfsburg chancenlos"
- kicker.de: "Plötzlich Letzter: Wie findet die SGS Essen zurück in die Spur, Robert Augustin?" (kostenpflichtig)
- Eigene Recherche









