Max Kruse kritisiert DFB-Coach "Ich habe keine Lust, mir die Nationalelf anzuschauen"

Was – oder wer – fehlt der deutschen Nationalmannschaft aktuell? Ex-Nationalspieler Max Kruse vermisst einen bekannten Namen beim DFB-Team – und geht mit dem Bundestrainer hart ins Gericht.
Wenn am Donnerstagabend der VfB Stuttgart gegen Celta Vigo in die Saison 2025/26 der Europa League startet (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online), wird Max Kruse genau hinschauen. Der langjährige Bundesligaspieler (307 Einsätze, 97 Tore unter anderem für Werder Bremen, Union Berlin und Borussia Mönchengladbach) gehört seit dieser Spielzeit zum namhaft besetzten Expertenteam von RTL+. Für den Kölner Privatsender wird er bei den Übertragungen des Europapokals mit Patrick Helmes und Felix Kroos in der Sendung "Matchday" seine Meinung zu den Auftritten der deutschen Mannschaft beisteuern.
Kruse ist auch durch die sozialen Medien bekannt als "Typ", gilt als authentisch und unverblümt in seinen Meinungsäußerungen. So auch im Interview mit t-online. Im ausführlichen Gespräch verrät der Ex-Nationalspieler (14 Länderspiele, 4 Tore), ob es einen Max Kruse im Fußball 2025 noch geben könnte, äußert sich zu Beleidigungen im Netz – und wird bei Bundestrainer Julian Nagelsmann deutlich.
t-online: Max Kruse, sehen Sie Fußball noch aus der Sicht eines Profis oder schon mehr als Fan?
Max Kruse: Ich versuche tatsächlich, mir die Spiele so neutral wie möglich anzusehen. Ich fühle mich auch keinem Verein besonders verbunden oder hege besonders große Sympathien. Ich gehe so neutral wie möglich in die Spiele. Aber eins muss ich auch sagen …
Ja?
Ich bin sehr gespannt auf diese neue Aufgabe. Ehrlich gesagt habe ich mir noch keine großen Gedanken darüber gemacht, was mich da erwartet. Ich bin spontan und lasse das auf mich zukommen. Ich möchte aus dem Gefühl heraus eine Art für mich als Experten entwickeln, nicht mit vorgefertigten Sprüchen oder ähnlichem in die Spiele gehen.
In der Europa League starten diese Saison der VfB Stuttgart und Ihr Ex-Klub SC Freiburg, der am Mittwoch 2:1 gegen den FC Basel gewann. In der Conference League geht Mainz 05 ins Rennen. Was traut Experte Max Kruse den deutschen Teams zu?
Den Mainzern in der Conference League traue ich viel zu, sie haben machbare Gegner zugelost bekommen. Sowohl Stuttgart als auch Freiburg hatten einen schweren Start in die Saison, scheinen sich jetzt aber gerade wieder zu fangen. Wenn das so weitergeht, dann können es beide in die nächste Runde der Europa League schaffen. Aber trotzdem besteht immer die Gefahr, dass beide auch schon früh ausscheiden – das wird nicht leicht.
Europapokal im Free-TV
An jedem Spieltag der Europa League und Conference League überträgt der Kölner Privatsender RTL eine Partie mit deutscher Beteiligung im Free-TV (bei RTL oder Nitro). Bei RTL+ sind dagegen zehn ausgewählte Partien beider Wettbewerbe inklusive aller deutschen Teams verfügbar. Die Sendung "Matchday" bei RTL+ soll die Übertragungen einrahmen.
Fans freuen sich über immer mehr Fußball im TV, Profis ächzen unter der weiter zunehmenden Belastung. Besorgt Sie diese Entwicklung?
Ich kann beide Sichtweisen verstehen. Für die Zuschauer ist das aber natürlich ganz anders und letztlich toll, wenn sie nicht mehrere Monate im Jahr auf Fußball verzichten müssen, ob im Stadion oder am Bildschirm. Insgesamt aber bin ich aus Sportlersicht zumindest kein großer Fan der aktuellen Situation. Kein Fußballer freut sich darüber, wenn der Sommerurlaub nach der Saison von vier auf drei auf zwei Wochen verkürzt wird – oder es am Ende sogar gar keine Zeit zur Erholung mehr gibt. Als Profisportler brauchst du einfach deine Regenerationsphase, wenn du das über Jahre machen willst. Sonst ist irgendwann schon früh einfach Schluss, und es geht nicht mehr weiter.
Wären Sie mit Blick auf den immer volleren Terminkalender heute gerne noch Profi bei einem Topklub?
Gute Frage. Diese Situation hat schließlich Vor- und Nachteile. Einerseits gibt es immer mehr Spiele, andererseits steigen auch die Spielergehälter immer weiter an, natürlich reizt das. Aber ich muss schon sagen: Ich bin doch sehr froh, dass ich noch in Zeiten gespielt habe, in denen es vier Wochen Urlaub im Sommer gab (lacht).
Was würde Sie denn noch reizen, welches Angebot könnten Sie nicht ablehnen?
Reizen würde mich vieles, aber darauf kommt es ja nicht an. Es geht mehr um die Frage: Könnte ich nochmals den Fitnessstand erreichen, um auf hohem Level mitzuhalten? Und deshalb ist es wohl utopisch, daran zu glauben, dass ich überhaupt noch mal ein entsprechendes Angebot bekomme, so schön der Gedanke auch ist.
Sané? Dieser Wechsel hätte nicht sein müssen.
Max Kruse über den wechsel des nationalspielers zu galatasaray
Leroy Sané konnte indes ein Angebot von Galatasaray nicht ablehnen. Der Wechsel in die Türkei ist ihm von vielen als karriereschädigend ausgelegt worden …
Ich sage mal so: Meiner Meinung nach hätte dieser Wechsel nicht sein müssen.
Wie meinen Sie das?
Als Spieler des FC Bayern im besten Fußballeralter hatte er doch sicher noch andere Möglichkeiten. Galatasaray hat ihm aber offenbar das beste Angebot gemacht. Trotzdem ist mir dieser Wechsel in die Türkei für ihn zu früh in seiner Karriere gekommen.
Sie sind 2019 mit 31 Jahren zu Fenerbahce gewechselt.
Trotz allem ist die Türkei ein Land, das begeistern kann. Und meiner Meinung nach ist die Süper Lig auch nicht so schlecht, wie sie hier manchmal dargestellt wird – auch wenn Galatasaray mit Sané gerade 1:5 bei Eintracht Frankfurt verloren hat. Und ich sage noch etwas …
Bitte!
Der Wechsel in die Türkei sollte überhaupt kein Grund sein, Sané nicht mehr für die Nationalmannschaft zu nominieren.
Das wurde vereinzelt schon gefordert.
Aber wenn er auch dort seine Leistung bringt, dann spricht doch nichts dagegen. Ein Spieler seiner Qualität muss eigentlich Bestandteil der deutschen Nationalmannschaft sein.
Auf der anderen Seite ist Nick Woltemade nach einer starken Dreiviertelsaison beim VfB Stuttgart direkt für 75 Millionen Euro in die Premier League gewechselt, wofür er ebenfalls kritisiert wurde.
Nick Woltemade ist für mich keine 75 Millionen Euro wert, Punkt. Aber natürlich ist er ein sehr guter, sehr talentierter Spieler. Ich glaube auch, nachdem der Wechsel zum FC Bayern nicht geklappt hatte, war die Beziehung zum VfB Stuttgart dermaßen belastet, dass ein schneller Abschied unvermeidbar war.
In der Premier League hat er direkt in seinem ersten Einsatz für Newcastle United getroffen.
Und ich glaube auch, dass er nach England passt mit seiner Größe, mit seiner Stabilität. Sein Wechsel zu Newcastle ist nachvollziehbar. Er spielt jetzt in der Champions League – was mit Stuttgart diese Saison nicht möglich gewesen wäre. Und was noch dazu kommt: Newcastle ist in England zwar ein großer Verein, aber keiner der absoluten Topklubs. So steht er nicht direkt voll im Rampenlicht und kann sich dort entwickeln und Erfahrungen sammeln. Und wenn das klappt, dann wird es auch nicht lange dauern, bis sich einer der Top-Fünf-Klubs bei ihm meldet.
Vielleicht wäre ein Max Kruse von damals heute sogar noch besser geworden.
Max Kruse über den FUSSBALL 2025
Sie selbst haben in Ihrer Profikarriere für acht Vereine gespielt und haben mal gesagt, dass Ihre Art Ihnen vielleicht manche Tür verschlossen hat. Könnte es heute überhaupt noch einen Max Kruse, Profifußballer, geben?
Doch, ich denke schon. Grundsätzlich ist es doch so: Wenn du talentiert bist, schaffst du es auch nach oben – die Frage ist nur, wie lange du dort bleibst.
Sie haben 2009 den Durchbruch geschafft und letztlich 13 Jahre Profifußball gespielt …
Vielleicht wäre ein Max Kruse von damals heute sogar noch besser geworden.
Das müssen Sie erklären.
Damals sind wir, grob gesagt, einfach rausgegangen und haben gekickt. Heute wirst du fast schon gezwungen, deinen Körper auch perfekt vorzubereiten, ins Gym zu gehen, ständig topfit zu sein. Das war in meiner Jugend nicht der Fall. Das hätte mir eventuell geholfen.
Sie, Thomas Müller oder auch Sandro Wagner werden gerne als "letzte Typen" im Fußball betitelt. Ist dieses Gefühl, der Sport würde keine "Typen" mehr hervorbringen, gerechtfertigt?
Da ist schon etwas dran. Es kann niemand erwarten, dass sich ein Spieler heute noch in Interviews groß vorwagt oder etwas traut in einer Zeit, in der alles sofort in den sozialen Medien landet und von verschiedensten Seiten hochgepusht wird. Meiner Meinung nach aber wollen die Vereine auch gar nicht mehr solche "Typen" haben.
Warum das?
Man möchte sich keine Schwierigkeiten aufladen. Die Gefahr ist den Klubs zu groß. Auch deshalb trauen sich Fußballer heutzutage kaum noch, Ecken und Kanten zu zeigen.
Sie sprechen aus eigener Erfahrung?
Ich habe mich nie darum gekümmert, was andere über mich denken oder wie auf meine Beiträge in den sozialen Medien reagiert wird. Mir war und ist schon immer nur wichtig gewesen, was meine Familie denkt und was meine Freunde denken, nicht irgendjemand, der sich hinter einem Social-Media-Profil versteckt und mir das, was er schreibt, niemals ins Gesicht sagen würde.
Nicht nur im Fußball berichten Aktive zunehmend von Beleidigungen und Bedrohungen gegen sich auf den verschiedenen Plattformen.
Mir war das immer egal – das ging bei mir schon immer links rein und rechts wieder raus.
Diese Fähigkeit haben viele aber nicht.
Ich kann auch sehr gut verstehen, wenn andere damit nicht zurechtkommen und vielleicht auch in jungen Jahren noch nicht souverän genug sind, mit dieser Herausforderung richtig umzugehen. Ich kenne das ja von meiner Frau.
Ihre Ehefrau Dilara, die in den sozialen Medien sehr präsent ist.
Da bin ich ganz nah dran und merke, wie sie sich Dinge, die dort geschrieben werden, zu Herzen nimmt – und es sich nicht anmerken lassen will.
Das ist im Fußball genauso? Wieso suchen sich betroffene Spieler keinen Ansprechpartner?
Vereine bieten Gesprächsmöglichkeiten und Hilfe an. Das Problem ist nur: Viele trauen sich das nicht, weil sie Angst haben, als schwach abgestempelt zu werden oder beim Trainer unten durch zu sein. Deshalb versuchen sie dann, diese Schwierigkeiten mit sich selbst auszumachen, statt aktiv auf den Verein zuzugehen.
Abseits vom Hass im Netz haben Sie auf jeden Fall einen namhaften Fan: Julian Nagelsmann, der Sie einst als "coolen Typen" bezeichnet hat, als einen, der "seine Meinung kundtut".
Der Einschätzung kann ich nur zustimmen (lacht).
Wie sehen Sie seine Arbeit als Bundestrainer? Zuletzt lief es nicht optimal.
Ich habe das Gefühl, dass Julian Nagelsmann eine Mannschaft braucht, die er täglich betreut, um seine großen Fähigkeiten auch umsetzen zu können. Das hat er bei der Nationalmannschaft nun mal nicht. Und ich muss ehrlich sagen: Als Fan habe ich aktuell keine Lust, mir Länderspiele der DFB-Elf anzuschauen. Das wirkt lustlos, behäbig, auch wenn taktisch alles stimmen mag – irgendetwas fehlt. Spaß macht sie momentan nicht – und dafür ist dann auch der Trainer verantwortlich.
Nagelsmann hat mehr "Emotionalität" von seinen Spielern eingefordert. Ist das die Lösung?
Aber diese bemängelte Emotionslosigkeit, dieses Problem fängt doch bei ihm an. Ich glaube, dass die Nationalmannschaft da vor Kurzem einen wichtigen Baustein verloren hat.
"Ich habe nicht das Gefühl, dass Nagelsmann von außen so einen Impuls geben kann, dass die Spieler sagen: 'Für den geben wir alles und gehen noch mal so richtig ans Limit.'"
Max Kruse über den Bundestrainer
Wen meinen Sie?
Sandro Wagner. Der kann ein Team mitziehen, zeigt Emotionen, ob in Ansprachen, im Training oder am Spielfeldrand. Das überträgt sich auf die Mannschaft. Da hat der DFB wirklich einen ganz Großen verloren.
Diese Emotionalität trauen Sie Nagelsmann nicht zu?
Julian Nagelsmann hat völlig zweifellos sehr, sehr viel Ahnung vom Fußball, ist ein absoluter Experte. Aber auf diesem Niveau reicht das nicht. Als Nationaltrainer musst du ein ganzes Land begeistern können. Ich weiß nicht, ob er das kann. Ich habe nicht das Gefühl, dass er von Außen so einen Impuls geben kann, dass die Spieler sagen: "Für den geben wir alles und gehen noch mal so richtig ans Limit."
Wo sehen Sie aktuell die Probleme bei der DFB-Elf?
Es ist einfach auch so, dass in Deutschland die Auswahl an Spielern, die für die Nationalmannschaft infrage kommen, sehr begrenzt ist, und ich befürchte, dass da nicht viel nachkommt in den nächsten Jahren.
Dabei werden Jamal Musiala und Florian Wirtz als größte Talente seit langer Zeit gelobt und geschätzt.
Ja, die beiden sind auch hervorragende Spieler, zweifellos. Aber in der Breite fehlt es an Qualität, und das schon länger. Vielleicht müssen wir uns damit auch mal abfinden, dass es für uns aktuell nicht zur Weltspitze reicht.
- Telefonisches Interview mit Max Kruse















