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Countdown zur WM 2018: Fünf bekannte Fußball-Mythen aufgeklärt


Fünf Fälle, fünf Antworten
Im Zweifel für den Angreifer? "Das ist ein Mythos"

Von Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 13.06.2018Lesedauer: 6 Min.
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Sami Khedira (l.) und Julian Draxler (m.) fragen im Testspiel gegen Saudi-Arabien bei Schiedsrichter Slavko Vincic nach.Vergrößern des Bildes
Sami Khedira (l.) und Julian Draxler (m.) fragen im Testspiel gegen Saudi-Arabien bei Schiedsrichter Slavko Vincic nach. (Quelle: imago-images-bilder)

Jeder Fußball-Fan hat sich schon mal über den Schiedsrichter aufgeregt. Dabei liegt der Fehler oft beim Zuschauer selbst. Einige bekannte Regeln sind nämlich Mythen.

Die WM 2018 steht vor der Tür. Auch in Deutschland werden viele Millionen Menschen das Turnier verfolgen und den Jungs um Toni Kroos die Daumen drücken. Ob zu Hause oder beim Public Viewing, überall wird König Fußball zu sehen sein. Anschließend wird beim Stammtisch oder auf der Arbeit über das Spiel diskutiert. Neben der deutschen Leistung wird dabei auch das Auftreten des Schiedsrichters sehr kritisch beäugt. Doch oftmals wird dabei mit Regeln argumentiert, die es gar nicht gibt. t-online.de hat mit dem Schiedsrichter und Schiedsrichter-Coach Alex Feuerherdt gesprochen, der mit einigen Mythen oder Nicht-Mythen aufräumt.

Fall 1: "Im Zweifel für den Angreifer"

Team A schlägt einen langen Ball nach vorne. Ein Stürmer von Team A gewinnt das Laufduell gegen den Verteidiger von Team B und läuft alleine auf den Torwart zu. Der Schiedsrichter pfeift jedoch ab und entscheidet auf Abseits. In der Wiederholung ist zu sehen, dass der Stürmer aber nur um Haaresbreite im Abseits stand. Ein Fan von Team A ärgert sich und sagt: "Es heißt doch, im Zweifel für den Angreifer." Hat er recht?

Das sagt der Experte: Meist wird behauptet, dass es eine Anweisung des DFB oder der Fifa sei. Das ist ein Mythos, diese Anweisung existiert so nicht. Das hat mir Anfang 2016 auch nochmal der langjährige Fifa-Schiedsrichter Knut Kircher bestätigt. Außerdem wird bei dieser Aussage davon ausgegangen, dass der Unparteiische Zweifel hatte. Dabei hatte er sie vielleicht nicht und war sich seiner Sache sicher. Das ist der erste Teil des Problems und der zweite ist das 'Warum?'. Also warum sollte es diese Denkweise geben?

Oft wird dann argumentiert, dass es schließlich im Sinne des Offensivfußballs sei. Aber das ist weder in der Theorie noch in der Praxis der Fall. Ganz im Gegenteil. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man im Zweifel eher andersherum handelt. Da denkt man: Sicher ist sicher. Wenn hier ein Tor fällt und ich eine Abseitssituation übersehen habe, ist der Ärger größer, als wenn ich jetzt die Fahne hebe. Das sollte kein Kriterium sein, aber Schiedsrichter sind auch nur Menschen.

Fall 2: "Im Fünfmeterraum genießt der Torwart einen besonderen Schutz"

Eckstoß für Team B. Der Ball fliegt in den Strafraum und der Torwart von Team A geht ein paar Schritte nach vorne, um diesen zu fangen. Dabei prallt er mit einem Gegner zusammen, der ebenfalls den Ball haben wollte. Der Schiedsrichter lässt die Szene laufen. Der Fernseh-Kommentator kritisiert: "Der Torwart genießt im Fünfmeterraum einen besonderen Schutz, das ist ein Foul."

Das sagt der Experte: Seit Mitte des Jahres 2012 genießt der Torwart keinen besonderen Schutz mehr, wobei das ohnehin nur eine deutsche Sonderregel war. In den weltweiten Fußballregeln war davon nie die Rede. Als der DFB dann diesen Zusatz gestrichen hatte, wurde das jedoch nur kaum öffentlich gemacht. Als es dann die ersten Fälle von intensiven Zweikämpfen mit Beteiligung des Torwarts im Fünfmeterraum gab, haben sich viele Zuschauer gewundert und gefragt: 'Darf der Keeper so angegangen werden? Das war doch im Fünfmeterraum!'. So ganz allmählich kam dann vereinzelt an, dass es diese Änderung gab.

Die Schiedsrichter folgen aber dieser Neuregelung sehr gut und die Torhüter gewöhnen sich auch daran und wissen, dass nicht mehr jeder Körperkontakt abgepfiffen wird. Wenn es ein Foul gibt, dann wird natürlich abgepfiffen. Man muss aber auch hier ergänzen, dass die Praxis etwas anders aussehen kann. Das heißt, wenn ein Torhüter von einem Stürmer leicht berührt wird, zu Boden geht und das andere Team ein Tor schießt, ist der Schiedsrichter sofort von elf protestierenden Spielern umzingelt. Dadurch wird schon etwas strenger gepfiffen bei den Torhütern. Das heißt, an sich ist die Regel ein Mythos mit Abstrichen.

Fall 3: "Der Torwart darf den Ball nur sechs Sekunden in der Hand halten"

Ein Angriff von Team A über die linke Seite bleibt erfolglos. Der Torwart von Team B fängt die Flanke ab und hat den Ball unter Kontrolle. Auf der Suche nach einem freien Mitspieler lässt er sich etwas länger Zeit. Dabei steht im Regelbuch, dass der Torwart den Ball nur sechs Sekunden in der Hand halten darf. Warum sind die Schiedsrichter hier toleranter?

Das sagt der Experte: Es ist auf den ersten Blick etwas seltsam, warum man eine so konkrete Zahl in das Regelwerk schreibt und sie dann nicht einhält. Um das zu verstehen, muss man etwas ausholen. Beim Fußball in den 1980er Jahren durften die Torhüter den Ball sehr lange in der Hand halten und auf den Boden legen, wieder aufnehmen und so weiter. Da haben die obersten Regelhüter vom Ifab (International Football Association Board, Anm. d. Red.) entschieden, dass es so nicht weitergehen kann. Hätte man damals keine Zeit festgelegt, wäre es vielleicht so weitergegangen.

Aber die Spielverzögerung hat sich soweit eingestellt, sodass diese Sechs-Sekunden-Regelung eher ein Richtwert ist und man da toleranter ist. So wird es auch vom DFB gelehrt. Die Schiedsrichter zählen im Geiste mit und wenn sie merken, dass ein Torwart das Spiel verzögern will, reagieren sie. Ansonsten wird da ein Auge zugedrückt. Übrigens: In der vorvorletzten Saison hat Sky in allen neun Bundesliga-Spielen gemessen, wie lange die Torhüter den Ball in der Hand hatten. Sie kamen auf 50 bis 60 Situationen, in denen die Zeit von sechs Sekunden überschritten wurden.

Fall 4: Wann wird ein Elfmeter wiederholt – und wann nicht?

Team A erhält einen Strafstoß und der Schütze verwandelt eiskalt. Doch plötzlich pfeift der Schiedsrichter und lässt den Elfmeter wiederholen. Dabei war im Spiel davor eine ähnliche Situation, in der der Unparteiische das Tor zählte. Warum?

Das sagt der Experte: Schiedsrichter sollen bei der Ausführung immer abwarten, wie der Strafstoß ausgeht. Danach passiert genau das, was Sie beschreiben.

Beispiel 1: Wenn der Schütze verwandelt und ein gegnerischer Verteidiger schon fünf Meter im Strafraum steht, dann wird der Elfmeter natürlich nicht wiederholt und der Schiedsrichter gibt das Tor. Andernfalls wäre das ja ein Vorteil für die Mannschaft, die die Regeln nicht eingehalten hat.

Beispiel 2: Wenn bei einem verwandelten Elfmeter ein Mitspieler zu früh in den Strafraum läuft, sehen die Regeln eigentlich vor, dass der Schiedsrichter einen indirekten Freistoß für die verteidigende Mannschaft gibt. In der Praxis wird aber auch oft weiterlaufen gelassen.

Beispiel 3: Wenn Spieler beider Mannschaften zu früh in den Strafraum laufen, soll grundsätzlich wiederholt werden. Das pfeifen nicht alle Schiedsrichter streng, da man ja auch betrachten muss, wie weit ein Spieler schon in den Strafraum gelaufen ist. Da hängt auch viel vom weiteren Verlauf ab. Also wenn ein Verteidiger zu früh durch seinen Frühstart den Ball klären kann, den er normalerweise nicht hätte klären können, würde er wiederholt werden. Andersherum gilt das Gleiche.

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Fall 5: Wie kommt die Nachspielzeit zustande?

Team A geht kurz nach der Halbzeit mit 1:0 in Führung. Im Anschluss lässt sich die Mannschaft viel Zeit bei Abstößen, Einwürfen oder Auswechslungen. Kurz vor Schluss fällt das 1:1. Der Schiedsrichter zeigt nur drei Minuten Nachspielzeit an. Warum?

Das sagt der Experte: In erster Linie muss man zwischen der verlorenen und der vergeudeten Spielzeit unterscheiden. Verlorene Spielzeit MUSS nachgeholt werden. Damit sind Unterbrechungen wie Verletzungen, ein Eingriff des Videobeweises oder ein Flitzer gemeint. Also Faktoren, die nicht mit dem Verhalten einer Mannschaft zu tun haben. Vergeudete Spielzeit KANN nachgeholt werden. Das sind Aktionen, die man grob unter dem Begriff „Zeit schinden“ zusammenfasst.

In solchen Fällen muss der Schiedsrichter auch den Spielverlauf in die Entscheidung mit einbeziehen. Wenn eine Mannschaft beispielsweise 1:0 führt und sich bei Auswechslungen oder Einwürfen viel Zeit lässt, will sie das Ergebnis über die 90 Minuten bringen. Falls der Schiedsrichter eigentlich vier Minuten Nachspielzeit für angemessen hält, in der 90. Minute aber das 1:1 fällt, dann versteht sich von selbst, dass weniger als diese vier Minuten nachgespielt werden.

Die Nachspielzeit kommt also nicht durch das Stoppen der Uhr zustande, das machen nur die Wenigsten. Meist werden die Sekunden bzw. Minuten im Kopf addiert. Die angezeigte Nachspielzeit darf übrigens nicht verkürzt, dafür aber verlängert werden, falls es zu weiteren Unterbrechungen kommt.

Das ist Alex Feuerherdt
Seit 1985 ist er als Schiedsrichter tätig und pfiff Spiele bis zur Oberliga. In erster Linie ist er jedoch für die Aus- und Fortbildung von Unparteiischen zuständig. Nebenbei arbeitet er als freier Publizist und Schriftsteller und betreibt zusammen mit Klaas Reese den Schiedsrichter-Podcast "Collinas Erben". Darin diskutieren die beiden über aktuelle Themen und kontroverse Entscheidungen und begründen, warum diese falsch bzw. richtig waren.

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