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Deutschland – Schweden: Wie das WM-Halbfinale 1958 mein Weltbild erschütterte


WM-Halbfinale 1958
Wie ein Schweden-Spiel mein Weltbild erschütterte

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 23.06.2018Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Deutschlands Horst Eckel (l.) und der Schwede Nils Liedholm: Bei der WM 1958 herrschte in Göteborg eine hitzige Atmosphäre und dann wurde auch noch ein Handspiel übersehen.Vergrößern des Bildes
Deutschlands Horst Eckel (l.) und der Schwede Nils Liedholm: Bei der WM 1958 herrschte in Göteborg eine hitzige Atmosphäre und dann wurde auch noch ein Handspiel übersehen. (Quelle: Horstmüller/imago-images-bilder)

1958 scheiterte WM-Titelverteidiger Deutschland im Halbfinale gegen Schweden. Ein klares Handspiel wurde dabei übersehen. Das wurmt unseren Autor noch immer.

Der Fernseher sah wie ein riesiges Radio mit kleinem Bildschirm aus und stand auf schrägen Füßen. Ich saß direkt davor, ich wäre am liebsten hineingekrochen, in dieses herrliche Ungetüm der Firma Grundig. Wir waren bei Freunden meiner Eltern, um dieses Spiel der Spiele zu sehen, das Halbfinale zwischen Deutschland, dem amtierenden Weltmeister, und Schweden, das nichts als ein Außenseiter war, aber ein fanatisches Publikum hatte und auch noch daheim in Göteborg spielen durfte.

Wir waren gut, sehr gut. Toller Torwart, er hieß Fritz Herkenrath. Toller linker Läufer, der bald nach Italien wechseln würde: Horst Szymaniak. Fritz Walter! Uwe Seeler, gerade 18 Jahre alt. Ich kann die Aufstellung heute noch im Schlaf singen. Eine Mannschaft aus einem Guss. Nicht satt, vier Jahre nach dem Wunder von Bern, nicht in Grüppchen zerfallen. Es gab einen Chef (Fritz Walter), es gab eine Torfabrik (Helmut Rahn), alles war vorbereitet für den Wiedereinzug in das Finale, für die Titelverteidigung, für meinen Jubelsturm vor dem Fernseher.

Ich war acht Jahre alt und wahnsinnig aufgeregt. Ich verstand nicht die Hassgesänge des Publikums und schon gar nicht den ungarischen Schiedsrichter István Zsolt, der seltsam pfiff. Mein Vater schrie: "Der ist gekauft!", und ich wusste, er hatte Recht.

Nils Liedholm machte unübersehbar Hand im Strafraum: kein Elfmeter! Kurt Hamrin, der Rechtsaußen, trat nach, worauf Erich Juskowiak, unser Verteidiger, auch nachtrat, worauf der Schiedsrichter unseren Erich vom Platz stellte, während Hamrin weiter spielen durfte und auch noch ein Tor schoss. Sie traten Fritz Walter zusammen, einfach so, und er konnte nur noch über den Platz humpeln. Auswechslungen gab es noch nicht. Wir verloren 3:1.

Wütend und frustriert zugleich

Was für eine Tragödie, was für eine Ungerechtigkeit, meine Welt brach zusammen! Wenn ich an das Spiel denke, fühle ich mich noch heute so, wie ich mich damals gefühlt habe, verzweifelt und taub und betrogen.

Sonst haben wir die Spiele der Großen immer auf dem Viktoria-Platz in Hof nachgespielt. Die entscheidenden Szenen, die Tore, die Rettungstaten. Vor 60 Jahren ging ich tagelang nicht auf den Sportplatz. Keiner meiner Freunde ließ sich dort sehen. Wir trauerten. Jeder für sich. Der Ball ruhte in der Ecke.

In einer Welt, die so viel Ungerechtigkeit hinnahm, wollten wir nicht leben. In einer Welt, in der die tückischen Schweden in das Endspiel gegen Brasilien einziehen durften, mussten wenigstens wir Konsequenzen ziehen, wo die Erwachsenen einfach so weiter machten, als sei nichts passiert. Sie gingen arbeiten, lachten, sahen fern, tranken Bier, freuten sich über das Wirtschaftswunder und merkten gar nicht, was sie uns damit antaten.

"Wir waren die Brasilianer"

Unser Ball-Boykott währte fünf Tage lang. Dann zerlegte Brasilien diese Schweden im Endspiel mit 5:2. Wir liebten Pelé/Didi/Vava dafür. Sie rächten uns. Sie stellten die Gerechtigkeit wieder her. Sie rückten die Welt zurecht, unsere Welt, die Welt schlechthin.

Wir trafen uns wieder auf dem Viktoria-Platz. Jeden Tag. Wir waren die Brasilianer. Wir zauberten. Die Schweden konnten uns nicht die Beine wegziehen. Wir sprangen einfach darüber. Jeden Schiedsrichter, den wir nicht leiden konnten, nannten wir Zsolt. Schöne Zeit. Kinderzeit.

Vorüber ist sie nicht. Noch immer liebe ich die Brasilianer, noch immer mag ich die Schweden nicht. Heute um 20 Uhr beginnt die Revanche für damals, für 1958, für das Kind in mir.

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