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FC Bayern: Toni Kroos ging als der Sündenbock – und wurde ein Weltstar


Neuer Film über Toni Kroos
Die 8, die Ordnung in die Anarchie bringt

  • Gerhad Spörl
Von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 30.06.2019Lesedauer: 7 Min.
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Am Boden: Toni Kroos nach dem Elfmeterschießen 2012 gegen den FC Chelsea.Vergrößern des Bildes
Am Boden: Toni Kroos nach dem Elfmeterschießen 2012 gegen den FC Chelsea. (Quelle: MIS/imago-images-bilder)

Uli Hoeneß achtete Toni Kroos gering, Reals Trainer Zidane sieht in ihm den perfekten Spieler für seinen Traum vom perfekten Spiel: Ein Film, der an diesem Sonntag Premiere feiert, erzählt die Geschichte eines Ausnahmetalents mit Vorliebe für den schweren Weg.

Ein junger Mensch nimmt aus einem Regal voller Fussballschuhe ein weißes Paar heraus, mustert es, geht zum Spülbecken, dreht den Wasserhahn auf, greift nach einer dicken Bürste und fängt an, die guten Stücke von oben und unten, von vorne und hinten zu säubern. Mustert sie wieder, lässt noch einmal Wasser darüber laufen und stellt sie sorgfältig ins Regal zurück.

Kroos'sche Maßarbeit

Maßarbeit, wie alles Maßarbeit bei Toni Kroos ist. Gareth Bale amüsiert sich über diesen Tick des Deutschen, der das Schuhwerk einem Zeugwart überlassen könnte, aber nein, er macht es selber, ist das nicht komisch?

Weiß müssen sie sein, seine Fußballschuhe, sagt Toni Kroos, immer weiß. Er muss weiß sehen, wenn er an sich herunterschaut, sonst fühlt er sich nicht wohl, sagt er. Er lacht über sich wie Gareth Bale, der Waliser mit den kurzen Hosen und dem Pferdeschwanz, über ihn lacht: Ist halt so, ich bin eben so, ich brauche das.

Mit dieser Szene beginnt ein schöner, intensiver Film über Toni Kroos, der heute Premiere in Köln feiert und am Donnerstag in die Kinos kommt: "Kro8s" lautet der Titel, das zweite o ist durch die 8 ersetzt, seine Rückennummer bei Real Madrid, die er seit fünf Jahren trägt. Durch viele Interviews mit vielen kundigen Menschen entsteht das Porträt eines sympathischen Spielers, dem Bohei und Glamour, Selbstüberschätzung und Angeberei fremd sind.

Privat macht sich Kroos rar

Jenseits des Stadions ist Kroos ein privater Mensch, der sich nach einem Länderspiel zu einem Privatflugzeug fahren lässt, um so schnell wie möglich wieder bei seiner Familie zu sein. Vieles hält er auf Abstand: den Irrsinn, der Real Madrid ist, das Nachtleben, das Wilde, den Alkohol, die Groupies, die Journalisten. Keine große Schau, nirgends.

Auf dem Platz ist er unübersehbar, aber privat macht er sich rar. Zumutungen entzieht er sich. Unter keinen Umständen möchte er die Kontrolle verlieren, im Spiel wie im Leben. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass er einem Kinofilm über sich sofort zustimmte, als Leopold Hoesch, der Kölner Produzent, bei ihm anfragte. Kroos kannte dessen vorzüglichen Film über Dirk Nowitzki ("Der perfekte Wurf") und war interessiert. Der Basketballer und der Fußballer haben das Entscheidende gemeinsam: Können gepaart mit Bescheidenheit.

Real öffnete Kroos zuliebe viele Tore

Schon eine Woche nach dem ersten Kontakt begannen die Dreharbeiten im Sommer 2017. Sie dauerten bis in den Dezember 2018. Kroos setzte keine Grenzen und Real öffnete ihm zuliebe viele Tore. Tolles Material ist zu sehen für uns Fußball-Afficionados: Interviews mit der ganzen Familie Kroos, für die schon der kleine Toni der kommende Weltstar war. Das war vielleicht im Spaß gesagt, aber im Ernst gemeint. Das Unternehmen Kroos war lange Zeit ein Familienunternehmen. Der Vater war zugleich Trainer und Manager. Das blieb nicht nur harmonisch, was beide eingestehen.

Von Greifswald über Rostock nach München und Leverkusen und Madrid. Weltmeister. Vierfacher Champions-League-Sieger. Ungeliebt in München, geliebt in Madrid, ausgerechnet dort, wo er mit seiner Vorliebe fürs Private eigentlich nicht hinpasst.

Kroos bringt Rationalität ins Spiel

Kroos ist der Logiker. Er bringt Rationalität in ein Spiel, in dem prinzipiell Anarchie herrscht, sagt Wolfram Eilenberger im Film, ein Autor, der normalerweise Bücher über Philosophen schreibt. Fußball ist für Eilenberger Stückwerk, eine Orgie wohl gemeinter Ansätze, bei denen der Ball schnell durch Schlampigkeit oder Nervosität verloren geht, bevor er wieder erobert wird und wieder verloren geht. Da viele Tore eine Seltenheit sind, passiert im Grunde wenig in 90 Minuten. Den Unterschied machen Spieler wie Kroos, die weite Bälle schlagen und damit den Stürmern Räume öffnen, die außer ihnen keiner gesehen hatte, sodass Tore fast naturgegeben folgen.

Fußball ist dieses ewige Hin und Her, dieses ewige Wogen aus Welle und Gegenwelle, sagt Luka Modric sinngemäß, der kongeniale Nebenmann im Mittelfeld. Für uns ist das Spiel wahnsinnig schnell und wechselhaft, sagt er, und dann fügt er etwas Erhellendes hinzu: Für Toni ist es anders, er verliert nie die Übersicht, denn er sieht das Spiel wie in Zeitlupe und so kommt er zu seiner Passgenauigkeit, diesem Unaufgeregten, diesem Stoischen, diesem Selbstverständlichen. Und der Brasilianer Casemiro sagt: Wenn Toni langsam spielt, spielen wir langsam, und wenn er schnell spielt, spielen wir schnell. Er gibt uns Rhythmus und Fluss. Er trifft die Entscheidungen.

Im Vergleich zu Real ist Bayern nur ein kleiner Zirkus mit gewaltigem Anspruch

Real ist ganz großer Zirkus mit obszön viel Geld, gigantischem Anspruch und mörderischer Ungeduld. Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Sergio Ramos haben ein monströses Ego, das sie unbedingt ausleben wollen. Madrid macht sie reich, vergöttert sie und will alles über sie wissen: welche Autos sie fahren, in welche Klubs sie gehen, wie viele Zimmer ihre Villen haben, mit wem sie schlafen. Wer sich in diesem Babylon behauptet, ist König. Wer scheitert, kann gehen – auf der Stelle.

Dagegen ist Bayern München nur kleiner Zirkus mit gewaltigem Anspruch. Mia san mia, na ja. Hollywood – ehrlich? Arjen Robben schaffte es nicht in Madrid, aber in München. Franck Ribéry kam über Bayern nie hinaus, Thomas Müller wollte nie weg. Robert Lewandowski hätte zu gerne ein Angebot von Real gehabt.

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In der Allianz-Arena hieß Kroos nur noch der "Querpass-Toni"

Im Sommer 2014 standen Vertragsverhandlungen an, Kroos’ Manager verlangte höhere Dotierung. Es ging, worum es immer bei Geld auch geht: um Respekt, Anerkennung, Bekenntnis. Aber da war zwei Jahre zuvor das berühmte Champions-League-Endspiel gegen den FC Chelsea gewesen. In München! Dahoam! Haushoch überlegen, aber nur 1:0 durch eine Flanke von Kroos auf Thomas Müller geführt. Warten auf den Abpfiff. Bereit zur Selbstbeweihräucherung. Dann Didier Drogbas sagenhaftes Kopfballtor kurz vor dem Abpfiff. Verlängerung. Elfmeterschießen. Drama.


Tragödie! Toni Kroos sagte zu Jupp Heynckes, er fühle sich nicht gut, er wolle nicht schießen. Schweinsteiger schoss den letzten Elfer an den Pfosten. Aus. Verloren, dahoam! Wer ist schuld? Kroos! Der hat eben keine Eier, sagt die Oliver-Kahn-Gemeinde des deutschen Fußballs, die über sehr viele Mitglieder verfügt. In der Allianz-Arena hieß Kroos nur noch der "Querpass-Toni". Mehr Geld will er haben? Soll sich mal nicht größer machen, als er ist, gaben sie ihm zu verstehen. Wenn nicht, kann er gehen, bitte sehr.

Überragender Kroos beim WM-Triumph

Kroos brach die Vertragsverhandlungen ab. Dann folgte die WM in Brasilien, die Deutschland gewann – mit einem überragenden Toni Kroos, von dem seither niemand mehr behauptet, er hätte keine Eier. Nun konnte er sich den nächsten Verein aussuchen, jeder wollte ihn. Die Entscheidung fiel auf Real Madrid und hinter vorgehaltener Hand murmelten sie in München: Netzer hat es dort geschafft, ja gut, aber Kroos? Niemals!

Uli Hoeneß sagt im Film immerhin, es sei möglicherweise ein Fehler gewesen, ihn ziehen zu lassen. "Möglicherweise" ist in der Welt der Münchner Selbstherrlichkeit ein Synonym für resignative Einsicht in einen schweren Fehler. Im Sommer 2014 besaß Real Madrid eine vorzügliche Hintermannschaft und einen grandiosen Sturm. In der Mitte klaffte ein Loch. Seit Kroos klafft nichts mehr. Deshalb lieben sie ihn in Madrid, im Management und auf den Rängen, diesen blonden Deutschen mit der Nummer 8, dem sie das Spiel anvertrauen.

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Am interessantesten wird es in diesem Film, wenn Pep Guardiola und Zinedine Zidane über Toni Kroos reden. Sie schätzen ihn, keine Frage, sie mögen ihn auch, aber aus einem ganz bestimmten Grund. Für beide Trainer stehen nicht die Spieler im Zentrum ihrer Überlegungen, sondern das Spiel. Nicht irgendein Spiel, nein, das perfekte Spiel. Ihm jagen sie hinterher und für die Erfüllung dieses Traums suchen sie den perfekten Spieler. Nur: Ebenso wenig wie es das perfekte Spiel gibt, kann es den perfekten Spieler geben. Aber Toni Kroos kommt dem Anspruch an seinen besten Tagen so nahe wie irgend möglich. Dank Spielern wie ihm bekommt jedermann im Stadion eine Ahnung davon, was das ist: das perfekte Spiel.

Ein Jahr zum Vergessen

Das letzte Jahr war eines zum Vergessen. Real war überaltert und ließ Cristiano Ronaldo nach Turin ziehen. Kroos wirkte überspielt. Dann die WM in Russland: ein Graus. Das Spiel gegen Schweden war ein Toni-Kroos-Spiel: Zuerst sein Fehlpass im Mittelfeld, der zum 1:0 führt. Peinlich: Der Unfehlbare fehlt! Was macht er jetzt? Lässt er sich hängen? Er schüttelt das Missgeschick ab, fordert immer wieder den Ball, treibt das Spiel nach vorn und leitet das Tor zum 1:1 durch Marco Reus ein. Dann in letzter Minute dieser Freistoß von der linken Strafraumkante: Mit härtest denkbarem Effet den Ball an allen Schweden vorbei in den Winkel geschlenzt. Jubel. Erleichterung. Trotzdem ausgeschieden in der Vorrunde.

Kein gutes Jahr nach vielen guten Jahren. Knapp zwei Stunden ist die Kamera dabei, wenn Toni Kroos seinen Vertrag bei Real verlängert oder mit seinem kleinen Bruder Felix (aufgestiegen mit Union Berlin) über ihre Kindheit plaudert. Seine Frau Jessica schätzt an ihm seine Fähigkeit, bei Niederlagen oder Fehlern oder Rückschlägen nicht den Kopf hängen zu lassen.

Kroos‘ Lieblingsverein war Werder Bremen

Da ging jemand mit 17 von zu Hause weg, stieß auf etliche Widrigkeiten, ohne sein Selbstvertrauen zu verlieren. Sein Lieblingsverein war Werder Bremen, sagt er lachend, aber er zog den schweren Weg vor und der führte zuerst nach München und dann nach Madrid. Wenig verändert hat ihn der beispiellose Erfolg, er ist nur noch mehr so geworden, wie er immer war: mit dieser bemerkenswerten inneren Ruhe und diesem Verzicht auf das Schwelgen nach einem Sieg oder einer Niederlage.


Zinedine Zidane ist wieder sein Trainer. Reals Mannschaft wird neu zusammengesetzt. Sein Vertrag ist verlängert. Am 4. Januar wird Toni Kroos 30 Jahre alt. Normalerweise verjagen sie Spieler dann aus Madrid oder setzen sie auf die Bank, damit Platz wird für den nächsten Star aus England, Frankreich, Portugal oder Kroatien.

Kann ihm auch passieren, dem Toni Kroos, aber er macht nicht den Eindruck, dass er daran zerbrechen wird.

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