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Zum Tod von Diego Maradona: Das ewige Kind und die Hand Gottes


Zum Tod des Genies Maradona
Das ewige Kind und die Hand Gottes

  • Gerhad Spörl
MeinungEin Nachruf von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 25.11.2020Lesedauer: 3 Min.
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Hand statt Kopf: Maradonas Tor zum 1:0 gegen England wird für immer Gesprächsstoff bleiben.Vergrößern des Bildes
Hand statt Kopf: Maradonas Tor zum 1:0 gegen England wird für immer Gesprächsstoff bleiben. (Quelle: Joe Pepler/dpa-bilder)

Diego Maradona konnte Fußball spielen wie wenige andere. Das Leben danach war ein langes Trauerspiel, an dem nicht nur Argentinien Anteil nahm.

Wenn es einen Fussballgott gäbe, dann würde er Jungs wie Diego Armando Maradona Franco ein ewiges Fußballerleben schenken. Er würde ihn nicht langsamer werden lassen, nicht dicker, verfallen dem Kokain, nicht scharf auf die Groupies, er würde ihn nicht am Ende seiner wunderbaren Karriere bei den Newell’s Old Boys in der argentinischen Provinz verkommen lassen.

Argentinische Fußballspieler beschwören ihren Gott immer wieder im Stadion, als wären sie allein mit ihm. Sie bekreuzigen sich vor dem Spiel, küssen ihr Amulett, schauen gen Himmel, bedanken sich bei Gott für das Tor aus vollem Lauf oder per Kopfball. Diego Maradona aber hat den Katholizismus seines Landes auf die Spitze getrieben.

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Weltmeisterschaft in Mexiko 1986, Viertelfinale, 114.580 Zuschauer im Aztekenstadion, Argentinien spielt gegen England, 51. Minute. Diego Maradona und Jorge Valdarno spielen einen Doppelpass, der misslingt, ein englischer Verteidiger will klären, schlägt aber eine Kerze. Diego Maradona, 165 Zentimeter klein, springt mit dem Torwart Peter Shilton, 185 Zentimeter groß, hoch und der Ball liegt im Tor. Der tunesische Schiedsrichter sieht die zu Hilfe genommene linke Hand nicht, es steht 1:0. Nur vier Minuten später dribbelt sich Maradona durch die komplette englische Spielhälfte, umkurvt den Torhüter, schiebt den Ball lässig in die Maschen. Gleich zwei Tore für die Ewigkeit hat er geschossen; später wurde sein Solo zum 2:0 gegen England zum WM-Tor des Jahrhunderts gewählt.

Maradona bemühte seinen Glauben

Hat sich Maradona für sein Handspieltor hinterher geschämt oder wenigstens so getan, als ob? Natürlich nicht. Er bemühte seinen Glauben oder tat wenigstens so. Er sagte, bei diesem Tor sei sein Kopf und Gottes Hand im Spiel gewesen. Somit ist Gott dafür verantwortlich, dass Argentinien 1986 mit einem Betrug Weltmeister werden durfte.

Diese Szene vor 34 Jahren werden sie jetzt immer wieder im Fernsehen zeigen, jetzt, da der Nationalheilige, der ein großer Sünder war, mit 60 Jahren gestorben ist. Es ist auch pietätvoll, an den genialen Fußballspieler zu erinnern und den Mantel des Schweigens gnädig über die Zeit danach auszubreiten.

Argentinien bringt mit erstaunlicher Regelmäßigkeit unfassbar gute Fußballspieler heraus. Alfredo di Stefano habe ich noch spielen sehen: ein Genuss, eine Erleuchtung. Natürlich ragt Lionel Messi heraus, aber auch Carlos Tevez oder Gabriel Batistuta oder Angel di Maria oder Jorge Valdano, der Doppelpass-Spieler mit Maradona.

Es kam die Katastrophe

Für Maradona war der Zwang zum Aufhören mit 37 Jahren eine Katastrophe. Fußball war sein Leben. Als das Ende bei der SSC Neapel näher rückte, war er aus dem Gleichgewicht geraten. Damals fing er wohl mit dem Koksen an. Mit den Jahren kamen der Alkohol und die Tabletten dazu, die Antidepressiva und die Schlafmittel. In seinen besten Jahren sah Maradona wie ein Rockstar aus und wie einem Rockstar entglitt ihm das Leben und begann der stetige Niedergang und das lange Sterben.

Auf dem Platz sind Fußballspieler nicht Millionäre, sondern große Jungs, die sich nach einem Tor übereinander werfen und immer wieder den Thrill suchen, diese Explosion des Glücks und den ekstatischen Jubel der Zuschauer. Der Übergang in ein wenig aufregendes Leben ist hart, wenn nicht brutal. Das Leben danach ist im Normalfall nichts im Vergleich zum Leben davor.

Es gibt Ausnahmen, natürlich. Der Mann, mit dem Maradona damals den Doppelpass spielte, fällt aus dem Rahmen. Jorge Valdano war Stürmer, spielte zuletzt für Real Madrid und bildete mit Hugo Sánchez ein tolles Gespann. Nahtlos gelang ihm der Übergang in den Trainerberuf und bald darauf zum Sportdirektor und zwar bei Real Madrid, wo er Luís Figo, Ronaldo, David Beckham und Zinédine Zidane verpflichtete, das beste Real, das je spielte. Dann studierte Jorge Valdano Jura und arbeitete als Unternehmensberater. So klug wie er können wenige über die unumgängliche Kommerzialisierung des Fußballs reden. Wenn es außer César Menotti und Arsène Wenger noch einen Fußball-Philosophen gibt, dann ist es Jorge Valdano.

Das ewige Kind und der Philosoph bleiben für immer durch ein Tor verbunden. Ihre Biographie zeigt die extremen Möglichkeiten auf, die das Leben nach einer unvergleichlichen Karriere nehmen kann. Maradona blieb Maradona. Valdano häutete sich und erfand sich neu. Maradonas zweites Leben war eine wachsende Tragödie, an der nicht nur Argentinien trauernden Anteil nahm.

Nun ist er tot. Möge ihn der Fußballgott aufnehmen, damit Maradona sich für die Hilfe beim 1:0 gegen England bedanken kann.

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