Deutschland siegt in Nordirland Die Festung ist gefallen – mehr nicht

Mit viel Kampf, Leidenschaft und Emotionen ringt die DFB-Elf den Außenseiter Nordirland nieder. Spielerisch aber bleibt viel Luft nach oben.
Aus Belfast berichtet Benjamin Zurmühl
Viel war in den vergangenen Tagen über die Spielweise der Nordiren gesprochen worden. Lange Bälle, Standards, viele Zweikämpfe. Julian Nagelsmann hatte mehrfach darauf hingewiesen, was die deutsche Mannschaft im Windsor Park von Belfast erwarten würde, hatte sein Team mit einer Extraschicht Standardsituationen darauf vorbereitet. Der Bundestrainer sollte recht behalten.
Nach den 90 Minuten am Montag in der WM-Qualifikation wies die Statistik insgesamt 32 Fouls, 52 lange Bälle und 9 Ecken auf. Zum Vergleich: Gegen Luxemburg am Freitag waren es noch insgesamt 15 Fouls, 32 lange Bälle und 7 Ecken gewesen. In der Festung Windsor Park, in der die Nordiren zwei Jahre lang ungeschlagen waren, spielten die Deutschen das Spiel der Nordiren mit, nicht die Nordiren das Spiel der Deutschen.
Spielerische Mängel in der Offensive
Am Ende gewann die DFB-Elf das Spiel mit 1:0, feierte den emotionalen Sieg. Aleksandar Pavlović lobte die "Kampfbereitschaft" des Teams. Und Jonathan Tah betonte: "Es war sehr zäh, aber solche Spiele musst du so annehmen." Bundestrainer Nagelsmann lobte die Art und Weise, wie die Mannschaft in Belfast auftrat. Das Eklige, das Emotionale, das Gierige, er hatte es im September in der Slowakei noch vermisst. Nun zeigte seine Mannschaft eben jene Grundtugenden und fuhr einen Sieg in hitziger Atmosphäre ein.
Dennoch: Trainer betonen immer wieder, dass man das Ergebnis von der Leistung trennen sollte. Wer dem folgt und die Leistung der deutschen Mannschaft isoliert betrachtet, der wird auf das Fazit "Jo, geht so" kommen. Denn bei allem Lob für die Einsatzbereitschaft und den Kampfeswillen der DFB-Elf offenbarte das Spiel auch einige Mängel. Aus dem Spiel heraus kreierte sich die DFB-Elf kaum Chancen. Im ersten Durchgang war lediglich Aleksandar Pavlović mit seinem Abschluss in der 20. Minute halbwegs gefährlich. In der zweiten Hälfte dann hatte Karim Adeyemi nach gutem Anspiel von Florian Wirtz die beste Möglichkeit. Viel mehr gute Abschlüsse – abseits von Standardsituationen – hatte Deutschland nicht.
Das lag auch an Unsauberkeiten im letzten Drittel. Das Fehlen von Jamal Musiala und Kai Havertz war spürbar. Selten kam Deutschland gegen den nordirischen Block durch, geniale Einzelaktionen waren selten. Von 15 Dribblingversuchen klappten lediglich zwei, Flügelstürmer Karim Adeyemi ging bei vier Versuchen gänzlich leer aus. Auch im Passspiel fehlte es an Präzision und Schärfe.
"Mund abwischen, drei Punkte mitnehmen"
Nun sind die Nordiren wahrlich keine schlechte Mannschaft, sonst hätten sie nicht Nationen wie Dänemark oder Island im Windsor Park geschlagen. Sie sind aber eben auch nicht die Nation, die einem Team mit dem Ziel WM-Titel große Steine in den Weg legen können sollte. Doch genau das gelang der Nummer 72 der Welt gegen Deutschland am Montag. Womöglich lobte Nagelsmann deswegen so sehr den Charakter seiner Mannschaft, denn viel mehr Herausragendes gab es nicht. "Es war ein wichtiger Sieg. Mund abwischen, drei Punkte mitnehmen, die waren wichtig für die Tabelle", fasste er auf der Pressekonferenz zusammen.
Er wolle mitnehmen, "dass wir uns auf solche Spiele einlassen können". Das sei "der größte Lerneffekt und ein ganz großer Schritt". Gleichzeitig gab Nagelsmann zu: "Wir müssen uns fußballerisch auch nach vorne entwickeln." Fügte dann aber wieder an: "Das war heute nicht gefragt, darüber haben wir auch kaum mit der Mannschaft geredet."
Diese WM-Qualifikationsgruppe A, sie fordert die deutsche Nationalelf mehr heraus, als man es vor dem Start vielleicht gedacht hätte. Erst die cleveren Slowaken, die eine lethargische DFB-Auswahl verdient besiegten. Und dann die unangenehmen Nordiren, die ihnen in zwei engen Partien lange die Stirn boten und ihr ein anderes Spiel abverlangten.
Für das Ziel WM-Titel muss die Nationalmannschaft noch viele Schritte unternehmen. Es bleiben aber nur noch zwei Länderspielpausen bis zum Sommer. Im November geht es nach Luxemburg und in Leipzig gegen die Slowakei. Im März finden dann entweder die WM-Play-offs oder Testspiele statt. In diesen Länderspielphasen wird es wichtig sein, dass Deutschland auch spielerisch wieder nach vorn geht.
Embed
Derzeit verletzte Ausnahmekönner wie Jamal Musiala oder Kai Havertz werden nach ihrer Rückkehr dabei helfen. Und im Sturm gibt es mit dann wohl wieder fitten Niclas Füllkrug oder Tim Kleindienst ein weiteres Element, das zuletzt fehlte.
Noch bleibt vieles Stückwerk. Der Sieg in Nordirland war wichtig, aber er täuscht nicht darüber hinweg, dass das große Ganze noch nicht greift. Kampf allein wird bei der WM nicht reichen – dafür braucht es mehr Ideen, mehr Präzision, mehr Spielkultur. In den verbleibenden Monaten bis zum Turnier muss die DFB-Elf zeigen, dass sie beides kann: das Spiel annehmen – und es bestimmen.
- Eigene Beoachtungen




