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Handball-EM | DHB-Kapitän Johannes Golla: "Wurde ins kalte Wasser geworfen"


Vor dem EM-Start
"Der deutsche Handball nimmt enormen Schaden"

  • Dominik Sliskovic
InterviewVon Dominik Sliskovic

Aktualisiert am 13.01.2022Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Johannes Golla: Der Flensburger Kreisläufer führt das DHB-Team als Kapitän bei der EM an.Vergrößern des Bildes
Johannes Golla: Der Flensburger Kreisläufer führt das DHB-Team als Kapitän bei der EM an. (Quelle: Martin Rose/getty-images-bilder)

Das DHB-Team startet am Freitag in die Handball-EM. Für Johannes Golla ist es das erste Turnier als Kapitän. Im Interview spricht der Flensburger über seine überraschende Beförderung.

Das vergangene Jahr war eine herbe Enttäuschung für die stets so ambitionierte deutsche Handball-Nationalmannschaft der Männer. Bei der WM in Ägypten war bereits in der Hauptrunde Schluss, bei den Olympischen Spielen in Tokio war es dann ausgerechnet WM-Gastgeber Ägypten, der der Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason im Viertelfinale die Grenzen aufzeigte.

Der bereits seit längerer Zeit angekündigte Umbruch war bitter nötig geworden. Mit dem Rücktritt des langjährigen Kapitäns Uwe Gensheimer wurde er dann auch offiziell eingeleitet. Und Gislason führte ihn gleich mit einem Ausrufezeichen weiter aus: Der erst 24-jährige Johannes Golla, Kreisläufer der SG Flensburg-Handewitt, wurde zum neuen Spielführer des DHB-Teams ernannt.

Vor seinem ersten großen Turnier in neuer, verantwortungsvoller Rolle spricht Golla im t-online-Interview über seine überraschende Beförderung, die Chancen seines Teams bei der Kontinentalmeisterschaft in der Slowakei und Ungarn, und welche Folgen die Corona-Pandemie für den deutschen Handball haben könnte.

t-online: Herr Golla, Gratulation zum Kapitänsamt der deutschen Handball-Nationalmannschaft. Bundestrainer Alfred Gislason, so sagten Sie selbst, hat Sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Können Sie den Moment der Ernennung noch einmal für uns aufleben lassen?

Johannes Golla (24): Als es Anfang November zur ersten Sitzung mit der neu zusammengestellten Mannschaft kam, wussten wir, dass Veränderungen anstehen. Erfahrene Spieler, die die Nationalmannschaft über Jahre prägten, hatten ihre Länderspielkarriere beendet – unter anderem der bisherige Kapitän Uwe Gensheimer. Es war also klar, dass auch dieses Amt neu besetzt werden musste. Gislason teilte uns dann allen geradeheraus mit, dass seine Wahl auf mich gefallen war.

Wie haben Ihre Mannschaftskollegen, sowohl im DHB-Team als auch in Flensburg, auf Ihre Beförderung reagiert?

Ich habe viele Glückwünsche erhalten – und zwar nicht nur von meinen Mannschaftskollegen aus dem DHB-Team und aus Flensburg, sondern auch von ehemaligen Mitspielern und Weggefährten. Diese Anerkennung hat unglaublich gutgetan.

Sie sagten über Ihre Ernennung zum DHB-Kapitän, das Alter sei grundsätzlich kein Faktor, entweder man sei ein Führungsspieler oder nicht. Was macht Sie zu einem solchen Führungsspieler?

Zunächst einmal meine Leistung und Erfahrung, die ich in den vergangenen dreieinhalb Jahren bei der SG Flensburg-Handewitt gesammelt habe. Insbesondere die Champions-League-Einsätze haben mich als Spieler extrem weitergebracht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für mich eine ausgeprägte Empathie. Ich kommuniziere gern mit Mitmenschen, schätze das Zusammensein mit meinen Teamkollegen und freue mich sehr, wenn angebotene Unterstützung auch angenommen wird.

Hat Ihnen der DHB Angebote gemacht, um sich in Ihrer neuen Rolle bestmöglich zu entfalten – etwa die Teilnahme an einem Führungskräfteseminar?

Nein, ich wurde da ins kalte Wasser geworfen. Ich sehe diese neue Rolle als Kapitän ohnehin als Prozess. Dass es mir nach wenigen Wochen im Amt noch an Erfahrungswerten fehlt, ist klar. Aber ich bin überzeugt davon, dass ich mir sie im Laufe der nächsten Lehrgänge, Länderspiele – und insbesondere während des EM-Turniers – aneignen werde.

Haben Sie seit der Ernennung mit Ihrem Vorgänger Uwe Gensheimer gesprochen?

Uwe hat mich angerufen und mir gratuliert, sobald die Nachricht offiziell verkündet war. Zudem war er beim Tag des Handballs in Düsseldorf zu Gast und hat mir noch einmal zugesichert, dass ich mich jederzeit bei ihm melden kann, sollte ich Fragen haben. Das ist ein Angebot, auf das ich definitiv zurückkommen werde.

Ihre Ernennung zum Kapitän sollte auch ein Zeichen des Umbruchs sein. Abgesehen von personellen Entscheidungen, woran erkennen Sie, dass das DHB-Team unter Bundestrainer Gislason ein neues Kapitel aufschlägt?

Der Umbruch im DHB-Team ist notwendig, da viele erfahrene Spieler zurück- oder kürzergetreten sind. Der Kreis potenzieller Nationalspieler muss also erweitert werden, um mehr und neue Möglichkeiten zu entwickeln. Ich sehe es als eine der großen Stärken des Bundestrainers an, dass er früh den Kontakt zu jungen Spielern sucht, ihnen das Vertrauen schenkt und sie behutsam in die Nationalmannschaft integriert. Damit schaffen wir uns als gesamtes DHB-Team eine Basis, sodass wir bei künftigen Turnieren nicht wieder bei Null beginnen.

Könnte die EM zu früh kommen für das neu zusammengesetzte Team?

Für das Ziel EM-Titel kommt dieses Turnier sicherlich zu früh. Das dürfte jedem Spieler, aber auch jedem Fan, bewusst sein. Grundsätzlich stimme ich der These, dass die EM zu früh für unser junges Team kommt, jedoch nicht zu. Ein solches Turnier ist eine einmalige Drucksituation, in der man sich konstant beweisen muss. Darin sehe ich ein enormes Entwicklungspotenzial. Daher würde ich sogar eher behaupten, dass die EM für uns als Team zum absolut richtigen Zeitpunkt kommt. Wir müssen das Turnier nutzen, um alle Neulinge einzubinden und sie ihre Stärken ausspielen lassen. Nur so können wir bei der kommenden Großveranstaltung dann den nächsten Schritt machen.

2021 blieb das DHB-Team hinter seinen eigenen Erwartungen zurück. Bei der WM in Ägypten war bereits in der Hauptrunde Schluss, bei den Olympischen Spielen stoppte Sie der WM-Gastgeber im Viertelfinale. Wie haben Sie diese Enttäuschungen aufgearbeitet und welche Schlüsse haben Sie als Team daraus gezogen?

Diese beiden Turniere waren eine Enttäuschung. Wir haben viel über sie gesprochen und unsere Lehren aus ihnen gezogen. Der Bundestrainer hat jede einzelne Partie in der Videoanalyse aufbereitet und uns sehr deutlich aufgezeigt, was die Probleme waren, was er nicht mehr sehen will, aber auch, was ihm gefallen hat.

Mit Titelverteidiger Spanien, Weltmeister Dänemark und Olympiasieger Frankreich hat die EM drei natürliche Favoriten. Sind das auch die drei Teams, die Sie am Ende vorne sehen?

Ich würde auf jeden Fall Norwegen noch zum erweiterten Favoritenkreis zählen: eine Mannschaft, die seit Jahren oben mitmischt und heiß auf ihren ersten Titel ist. Zudem sollte man den Vizeweltmeister Schweden auf dem Zettel haben, der 2021 tollen Handball gespielt hat.

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Ist das DHB-Team für eine Überraschung gut? Die junge, neu zusammengestellte Mannschaft dürfte doch für viele Gegner unberechenbar sein …

Wir haben gute Spieler in unseren Reihen, die Woche für Woche in der 1. und 2. Bundesliga ihre Leistungen bringen, denen es aber noch an internationaler Erfahrung und Anerkennung fehlt. Wir reisen für viele Gegner als eine Art Wundertüte an. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen. Trifft man in der Champions League regelmäßig auf deutsche Profis, kann man sich wesentlich besser auf seine Gegenspieler bei der EM einstellen. Fallen diese Erfahrungswerte weg, müssen wir genau diese Informationslücke für uns nutzen.

Ein Thema, das weiterhin omnipräsent ist, ist die Corona-Pandemie. Sie selbst haben sich vor gut einem Jahr bei der WM in Ägypten infiziert. Haben Sie noch mit Nachwirkungen zu kämpfen?

Ich spüre heute nichts mehr von meiner Corona-Infektion. Dieses Empfinden unterstreichen auch alle medizinischen Untersuchungen seitdem. Ich hatte ohnehin einen milden Verlauf. Bevor ich den positiven Testbefund erhielt, ging ich davon aus, dass es eine leichte Erkältung sei. Die einzigen Symptome, die sich etwas hartnäckiger hielten, waren Geruchs- und Geschmacksverlust.

Die WM in Ägypten wurde scharf kritisiert, auch weil sich die Blase als löchrig erwies. Schwingt eine gewisse Sorge mit vor der Abreise zur EM nach Bratislava?

Alle Spieler im Kader sind geimpft oder genesen und werden regelmäßig PCR-getestet. Wir gehen auf Nummer sicher. Diese Sorgfalt erwarte ich auch von den EM-Veranstaltern. Da bin ich aber guter Dinge. Das Turnier wird unter 2G-plus-Voraussetzungen ausgetragen. Trotz dieser hohen Sicherheitsstufe schwingt ein gewisses Risiko immer mit – gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Infektionszahlen so hoch sind. Wir müssen alle weiterhin achtsam und respektvoll mit der Situation umgehen.

Erfolge der Handballer sorgen auch immer für eine Euphoriewelle in Deutschland. Die Zuschauerzahlen in den Hallen steigen, die Anmeldungen in den Vereinen nehmen zu. Wäre es aktuell nicht der schlechtmöglichste Zeitpunkt für den Überraschungscoup EM-Titel? Schließlich könnten durch Zuschauer- und mögliche Kontaktbeschränkungen beim Nachwuchstraining die aufkommende Euphorie nicht so umgemünzt werden wie in den Jahren zuvor.

Der deutsche Handball nimmt seit zwei Jahren enormen Schaden durch die Pandemie. Besonders Kinder konnten gute eineinhalb Jahre nicht zum Handball. Das ist eine enorm lange Zeit. Dass sich einige von ihnen deshalb vom Sport entfremdet oder komplett verabschiedet haben, ist schade, aber auch nachvollziehbar. Gerade da ist es die Aufgabe der deutschen Nationalmannschaft, durch Auftritte und gute Leistungen bei großen Turnieren, Aufmerksamkeit für den Handball zu schaffen. Nur möchte ich betonen: Eine erfolgreiche Nationalmannschaft war auch vor der Pandemie ein wichtiges Faustpfand für die Attraktivität des Handballsports in Deutschland – und wird es auch in Zukunft sein. Von daher nehmen wir jede Gelegenheit mit, Spiele zu gewinnen und die Menschen für Handball zu begeistern.

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