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Behindertensport: Vom Reck in den Rennrollstuhl: Ziesmers Ziel sind die Paralympics 2016


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Vom Reck in den Rennrollstuhl: Ziesmers Ziel sind die Paralympics 2016

dapd, t-online.de

28.09.2011Lesedauer: 3 Min.
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Es geht alles, nur langsam, sagt er. Damit kann er aber in diesem Moment nicht das Autofahren gemeint haben. Ronny Ziesmer gibt Gas - im Auto wie im Leben. Es ist Samstagmittag, Fahrsicherheitstraining in Linthe, 75 Kilometer südlich von Berlin. Ronny ist hoch konzentriert, er folgt exakt den Anweisungen der Trainer. Das hat er so gelernt. Gas geben. Bremsen. Auf glatter Fahrbahn. Wieder Gas geben. Nun die Kurve mit Höchstgeschwindigkeit. Es sind Grenzsituationen, die Ziesmer testet. Mit leblosen Beinen, mit fast unbeweglichen Armen, mit Fingern, die zu Fäusten geballt sind. Ronny Ziesmer ist querschnittsgelähmt.

Umstieg in den Rennrollstuhl

Doch Ziesmer gab nicht auf, kehrte im Rollstuhl zurück ins Leben und in den Wettkampfsport. Beim Berlin-Marathon startete der mittlerweile 32-Jährige zum dritten Mal mit dem Handbike, ein Liegerad mit Handpedalen. Ein Lauf über 42,195 Kilometer wäre ihm früher als Turner nie in den Sinn gekommen. "25 Meter Anlauf war die längste Strecke", sagt er und schmunzelt.

"Eine Zeit unter zwei Stunden ist das Ziel in Berlin", sagte der Cottbuser vor dem Start, der im Windschatten seines Trainers Heinrich Köberle seine Bestzeit (2:09,29) toppen wollte. Letztendlich verbesserte er seinen Rekord bei optimalen Bedingungen um mehr als siebeneinhalb Minuten auf 2:01:49, blieb aber hinter seinem gesteckten Ziel zurück. "Dafür hätte man wohl noch intensiver trainieren müssen, aber momentan schließe ich gerade mein Studium mit dem Bachelor ab. Das stand natürlich im Vordergrund", sagt Ziesmer. Weil er zwar seinen Bizeps, aber nicht seinen Trizeps nutzen kann, hat er nie eine Chance, bei den Handbikern vorn mitzufahren. Denn er kann die Pedale nur ziehen, aber nicht bewusst drücken.

Deshalb arbeitet er derzeit am Umstieg in den Rennrollstuhl. "Das ist technisch auch anspruchsvoller. Da muss man mehr den Kopf einschalten. Damit kann ich mich besser identifizieren", sagt er. Außerdem werden im Rennrollstuhl die Schadensklassen differenzierter als bei den Handbikern unterschieden, damit haben auch sogenannte Schwersttetraplegiker wie Ziesmer Siegchancen.

"Ich habe den Ansporn, mich auf die 100 Meter für die Paralympics 2016 vorzubereiten." Im Moment "schleicht" er noch mit fünf Kilometern pro Stunde über die Straßen. Mit dem vierfachen Paralympics-Sieger Heinrich Köberle hat er aber einen der erfahrensten Handicap-Sportler Deutschlands an seiner Seite. Davon, dass bei ihm als Leistungsturner fast jeder Muskel ausgeprägt war, profitiert Ziesmer noch heute. Und er hat noch immer den Willen eines Athleten in sich, die Disziplin, den Mut und das Gespür für seinen Körper. "Ich will mich noch auf den Sport stürzen. Fulltime."

"Allianz der Hoffnung" als Mutmacher

Gern wird Ziesmer als Vorzeige-Behinderter in den Medien beschrieben, als leuchtendes Beispiel für Lebensmut und Beharrlichkeit, wie der frühere italienische Rennfahrer Alex Zanardi, der nach einem Unfall beide Beine verlor. Ziesmers Schicksal wurde allerdings nicht verfilmt, das hätte er nie gewollt. Mit seiner "traurigen Popularität", sagt sein Freund und Mentor Eckhard Herholz, hat sich der junge Mann aus der Lausitz "für eine gute Sache stark gemacht" und 2006 die Stiftung "Allianz der Hoffnung" gegründet. Ziesmer will zusammen mit einem Kompetenzteam Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Querschnittlähmung voranbringen, dafür hat er sogar Kanzlerin Angela Merkel als Schirmherrin gewonnen. Das nötige Wissen hat er sich im Biotechnologie-Studium mit Schwerpunkt Nervenzellen-Regeneration angeeignet.

"Ich will das meiste aus meinem Leben rausholen, was geht. Ich habe erlebt, wie schnell es einen Bruch geben kann", sagt Ziesmer. Sein Motto dabei: So viel Hilfe wie nötig, so wenig Hilfe wie möglich. Er wohnt allein in einem Haus am Stadtrand von Cottbus, er zieht sich allein an, auch wenn das schon mal eine Stunde dauert, er kocht sich Kaffee, er flucht, wenn zum fünften Mal am Tag der Löffel herunterfällt. "Ich nehme komplett am Leben teil - nur etwas langsamer. Mobilität bedeutet alles", sagt er mit fester Stimme. Dann gibt er wie der Pilot im Flugzeug mit dem Handhebel Gas und verschwindet blitzschnell mit seinem Kombi.

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