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Diskussion um Novak Djokovic: Er ist Sportler, kein Papst


Diskussion um Tennisstar Djokovic
Was haben wir denn bitte erwartet?

MeinungEin Kommentar von Robert Hiersemann

Aktualisiert am 11.01.2022Lesedauer: 3 Min.
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Novak Djokovic: Steht aktuell mehr im Fokus als jeder andere Sportler auf der Welt.Vergrößern des Bildes
Novak Djokovic: Er steht aktuell mehr im Fokus als jeder andere Sportler auf der Welt. (Quelle: PanoramiC/imago-images-bilder)

Die ganze Welt diskutiert über den "Fall Djokovic". Und hinter allem steht die Frage:

Die Einreise-Affäre um Novak Djokovic entwickelt sich zu einem echten Krimi. Ein Gericht entschied am Montag zugunsten des Tennisstars und ordnete seine Freilassung aus der australischen Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige an. Die Anwälte des Serben hatten sich gegen die Annullierung seines Visums durch die Grenzschutzbehörden gewehrt. Vorausgegangen war ein tagelanges juristisches Tauziehen, das Menschen in der ganzen Welt bewegte (alle weiteren Informationen lesen Sie hier).

Juristisch mag Djokovic gewonnen haben, aus moralischer Sicht aber ist er der große Verlierer. Erst beanspruchte der wohl ungeimpfte Tennisstar eine Extrawurst für sich, um an den Australian Open teilzunehmen. Dann fühlte er sich ungerecht behandelt, als er nicht einreisen durfte, und nun ließ er über seine Familie per Pressekonferenz (hier lesen Sie: Djokovic-Mutter bricht in Tränen aus) in feinster Kriegsrhetorik (alles dazu erfahren Sie hier) auch noch ausrichten, dass er "für alle freien Menschen gewonnen" habe, "er nicht in die Knie gegangen ist", "er befreit worden" sei.

Die entscheidende Frage lautet:

Wie viel Vorbild muss ein Profisportler eigentlich sein?

Der Argentinier Diego Armando Maradona ist für viele der beste Fußballer aller Zeiten. Ein überragender Dribbler, ein genialer Ballverteiler, schlichtweg: Ein Künstler. Selbst die "Hand Gottes" und die privaten Skandalgeschichten um Prostitution und Drogenkonsum konnten seinen Legendenstatus nicht zerstören. "Diego" wird von seinen Anhängern noch immer abgöttisch verehrt.

Michael Jordan war der genialste Basketballspieler des Planeten, gewann sechs NBA-Meisterschaften mit den Chicago Bulls, wurde fünfmal als wertvollster Spieler der Saison ausgezeichnet. Aber politisch hielt er sich weitgehend raus. Auch seine weithin bekannte Spielsucht und damit verbundene nächtliche Casino-Trips zu aktiven Zeiten oder Geschichten eines vom Erfolgshunger Getriebenen, der seine Mitspieler drangsalierte, änderten nichts daran, dass "Air Jordan" bis heute ein generationsübergreifendes Vorbild ist.

Gleiches gilt für Tiger Woods. Er hatte schnell einen Ruf als Wunderkind weg, brach in seiner Karriere zahlreiche Rekorde, wurde zum Weltstar mit millionenschweren Werbeverträgen. Woods gilt als der erste Profisportler, der über eine Milliarde US-Dollar verdient hat. Abseits vom Grün aber lief es in den letzten Jahren desaströs: Affären, schwere Autounfälle, kolportierte Probleme mit Alkohol- und Medikamentenmissbrauch. Bilder des schwer gezeichneten Golfstars schockierten die Öffentlichkeit. Dann kamen auch noch Verletzungen hinzu. Woods ist aber noch immer Publikumsmagnet, besonders seine US-Fans beobachten gespannt, ob er doch noch mal längerfristig zu alter Form finden kann.

Und dann ist da noch Lance Armstrong, der wohl größte Radstar aller Zeiten, der sich jahrelang bei der Tour de France einen erbitterten Zweikampf mit Jan Ullrich lieferte. Doch dann stürzte er ab. Seine sieben (!) Tour-Gesamtsiege zwischen 1998 und 2005? Alle aberkannt, gelöscht aus den Geschichtsbüchern – als sich schon seit Jahren kursierende Doping-Gerüchte als wahr herausstellten. In einem heute legendären Auftritt bei US-Talk-Queen Oprah Winfrey gestand Armstrong 2013 dann selbst jahrelanges Doping ein. Seitdem gilt er heute auch als einer der größten Betrüger der Sportgeschichte.

Das sind Athleten, die man entweder hasst oder liebt. Und die streitbarsten von ihnen sind am Ende meist die besten. Vorbilder sind sie trotzdem alle. Nur Vorbilder wofür? Für Fleiß, Ehrgeiz, herausragende sportliche Leistung – nicht aber aus moralischer Sicht.

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Nur eine Ikone ist in wirklich jeder Hinsicht ein Held: Muhammad Ali. Der Schwergewichtsboxer gehörte zu den herausragendsten Athleten des 20. Jahrhunderts, der "Rumble in the Jungle" war ein Weltereignis.

Doch zur Legende wurde der US-Amerikaner nicht nur durch seine Schlagkraft, sondern auch durch sein politisches Engagement. Er lehnte öffentlich den Vietnamkrieg ab, verweigerte den Wehrdienst und unterstützte die Emanzipationsbewegung der Afroamerikaner. Auch deshalb wurde Ali zum "Sportler des Jahrhunderts" gewählt.

Muhammad Ali, einfach bewundernswert

Bei einem Superstar und Ausnahmemenschen wie ihm scheint das Verantwortungsbewusstsein in allen Bereichen aus einem inneren Gefühl heraus zu kommen. Das ist bewundernswert.

Doch man muss eben auch akzeptieren, wenn ein Tennisspieler wie Djokovic nicht als moralisches Vorbild dienen möchte. Was haben wir denn bitte erwartet? Ganz sicher: Sein aktuelles Verhalten wird ihm schaden. Sponsoren werden abspringen, Journalisten werden sich künftig dreimal überlegen, ob sie ihn noch zu politischen Entwicklungen befragen sollten. Aber ungeachtet dessen bleibt er ein toller Athlet. Und von seinem Fleiß und Ehrgeiz auf dem Tenniscourt sollten sich auch zukünftig Menschen inspirieren lassen.

Djokovic ist kein Papst, und auch kein Kanzler. Er ist ein herausragender Sportler. Nicht mehr, und auch nicht weniger.

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