"Wir dürfen alles sagen" Lügt gedruckt: "Postillon" wird zur Printzeitung

Das Satireportal "Postillon" nimmt alles und jeden auf die Schippe. "Wir haben weiterhin das Gefühl, alles sagen zu können", sagt Gründer Stefan Sichermann. Warum seine Redaktion das jetzt auch gedruckt tun will, erklärt er im Interview.
Während Tageszeitungen ihre Printausgabe auf wöchentliches Erscheinen umstellen oder gar nicht mehr gedruckt verbreitet werden, geht ein Satiremagazin im Netz den umgekehrten Weg: "Der Postillon" wird am 25. Oktober erstmals in gedruckter Form erscheinen und dann monatlich. Die Nachricht ist diesmal kein Scherz des Portals, das monatlich über 10 Millionen Seitenaufrufe zählt, 2008 gegründet wurde und mit "ehrlichen Nachrichten seit 1845" wirbt.
Richtig durchgerechnet sei das aber nicht, sagt Gründer und Chefredakteur Stefan Sichermann. Ein Interview über Satire, eine veränderte Medien- und Politiklandschaft und die Meinungsfreiheit.
t-online: Herr Sichermann, welche dieser Meldungen hätte eine Chance im Newsticker Ihres Portals zu landen: "+++ Auf dem Holzweg: Der Postillon macht Druck +++", "+++ Gefällt: Bäume sterben für Digitalmagazin +++", "+++ Lügt gedruckt: Postillon jetzt auch auf Papier +++" ?
Stefan Sichermann: Es gab schon "+++ Holzweg: Polizei nach Großdiebstahl im Sägewerk auf falscher Spur +++" (Newsticker-Ausgabe 570), "+++ Gefällt: Biber erntet viele Likes für Selfie mit Mammutbaum +++" (2138) und "+++ Lügt wie gedruckt: Bild.de +++" (617). Insofern ... aber für einen t-online-Redakteur schon sehr lustig!
Einige meiner Kollegen könnten das noch besser. Was ist absurder: Als Leser dem "Postillon" originell zu kommen oder als "Postillon" beim Leser analog zu landen?
Tatsächlich haben wir im Vorfeld keinerlei Marktforschung betrieben, um zu klären, ob es überhaupt eine Nachfrage nach einem Print-"Postillon" gibt. Am Ende hätte man uns womöglich noch davon abgeraten. Wir haben das einfach mal ausprobiert und uns das Ziel gesetzt, 3.000 Abonnenten zu sammeln. Mit der großen Resonanz und inzwischen schon deutlich über 4.000 Abos haben wir selbst nicht gerechnet. Jetzt müssen wir wirklich eine Zeitung drucken, an rund 5.000 Leute ausliefern und bundesweit an alle Kioske gehen.
Wie lange geben Sie dem Projekt?
Ob sich die ganze Sache finanziell rechnet, wissen wir erst in einem Vierteljahr, wenn wir die Zahlen vom Kioskverkauf bekommen. Wir sind aber optimistisch und das Projekt ist auf unbestimmte Zeit ausgerichtet, also für immer.
Ist der Print-"Postillon" ein Sonderfall oder Ausdruck eines Bedürfnisses nach Analogem?
Wir glauben wirklich, dass 2025 ein guter Zeitpunkt für den Start einer Printzeitung ist. Die Konkurrenz ist praktisch tot. Druckereien suchen verzweifelt nach Kunden und unterbieten sich gegenseitig. Gleichzeitig ist eine Art Online-Ermüdung zu spüren. Hass auf Social Media, billiger KI-Müll, eine Flut an Memes, 2-Sekunden-Videos, Werbebanner: Die Leute sehnen sich auch wieder nach etwas zum Anfassen. Nach bleibenden Werten. Nach nachhaltigem Medienkonsum. Nach unserer Zeitung! Zumindest reden wir uns das ein.
Was wird den Print-"Postillon" von der Online-Version unterscheiden?
In der gedruckten Zeitung dürfte neben hervorragenden Artikeln, die auch online erscheinen, locker die Hälfte nie online veröffentlicht werden: Kleinanzeigen, einen nackten Seite-3-Opa, Fernsehprogramm, eine Rätselseite, eine Kinderseite, Post von Watschner, Börsentipps und und und. Außerdem: Er ist natürlich aus Papier. Man kann den gedruckten "Postillon" in der Hand halten. Er raschelt. Und man kann Fisch darin einwickeln.
Gibt's denn für 4,98 Euro im Abo oder 4,99 Euro am Kiosk vielleicht auch mal ein Gimmick zum Heft, wie früher beim Comic-Magazin "Yps" – etwa: "Deutlich verspätet: Uhrzeitkrebse"?
In der ersten Ausgabe wahrscheinlich nicht. Wir wollen unsere Leserinnen und Leser nicht zu sehr verwöhnen, sonst erwarten sie zu viel. Aber in unserer Weihnachtsausgabe planen wir mindestens eine Seite Geschenkpapier als Gimmick ein.
Also keinen Aufkleber mit Ihrem Markenzeichen, dem Posthorn, für den Briefkasten? Digital ist das Posthorn-Emoji weitverbreitet, viele Accounts in Social Media nutzen es im Profil.
Ja. Als der blaue Haken auf Twitter, der früher mal anzeigte, ob ein Account authentisch ist, plötzlich etwas kosten sollte, konnte sich jeder als Aktion mit dem Posthorn-Emoji "verifizieren". Kostet nix und ist mindestens genauso seriös wie der blaue Haken. Tatsächlich sind erstaunlich viele darauf aufgesprungen. Manche wissen heute gar nicht mehr, woher das ursprünglich kommt. Die haben das einfach so im Profil, weil man das eben so macht. Für uns steht es für seriöse Nachrichten vom seriösesten Medium der Welt.
Heute werden Posthorn-Nutzer gern auch mal als linksgrün oder linksextrem tituliert. Passt das zum Selbstverständnis des "Postillon"?
Uns ist eigentlich wurscht, wie man uns tituliert. Wir verfolgen ganz genau dieselbe Linie, die wir schon seit 1845 verfolgt haben. Wenn überhaupt, dann ist der Mainstream nach rechts gerutscht. Dinge werden heute von manchen Leuten als "linksgrün-versifft" wahrgenommen, die 2008, als der "Postillon" online ging, noch selbstverständlich waren und als Common Sense galten, zum Beispiel keinen unwissenschaftlichen Müll glauben, kein rassistisches Arschloch sein etc. Wir bekommen irre häufig zu hören, dass wir links geworden seien. Aber ich behaupte: Nö, wir sind da, wo wir immer waren. Aber die Leute, die uns beschimpfen, haben so viel rechten Müll und Online-Propaganda konsumiert, dass sie heute viel rechter sind als noch vor etwa 15 Jahren.
Die, die über "Posthörnchen" spotten, haben selbst oft den Begriff "Satire" in ihrer Accountbeschreibung. Haben Sie dieses Autoren-Reservoir im Blick?
Accounts, die sich selbst als Satire bezeichnen, sind in der Regel keine Satire, sondern Leute, die rumpöbeln wollen, ohne dafür juristisch belangt werden zu können. Das glauben sie zumindest. Der "Postillon" hat das nicht nötig.
Das Gefühl, nicht mehr alles sagen zu können, ist ja Umfragen zufolge verbreitet. Merken Sie davon auch etwas, also mehr Druck, mehr Drohungen, heftigere Reaktionen?
Wir haben das Gefühl, weiterhin alles sagen zu können. Wir bekommen heftigere Reaktionen und mehr Drohungen als früher. Aber das ist uns egal.
Ist es heute schwerer, sich Satire auszudenken, weil sie so schnell von der Realität überholt wird?
Das passiert immer wieder mal. Wir haben dafür sogar eine eigene Rubrik ins Leben gerufen. Sie heißt "'Postillon'-Leser wissen es früher".
Und was verändert Künstliche Intelligenz? Empfinden Sie das als bedrohlich, dass KI viel schneller "ehrliche Nachrichten" erfinden kann als die "Postillon"-Redaktion?
Wie alle anderen hatten auch wir erst Angst, dass KI uns bald ersetzen könnte. Aber alle Versuche, die wir in den vergangenen Jahren angestellt haben, ergaben: KI kann keine Satire und ist nicht lustig. Wir sind also womöglich eine der letzten Gruppen, die durch KI ersetzt werden. Es gibt natürlich auch Witzbolde, die KI nutzen, um schnell Bilder zu kreieren, aber das macht uns auch wenig Sorge. Wir machen nicht nur Schnellschüsse, sondern nachhaltige Nachrichten.
2045 feiert der "Postillon" dann also "200-Jähriges". Was wird im Newsticker in eigener Sache zu lesen sein?
Die Schlagzeile wird lauten: Print war gestern! Der "Postillon" wagt den Schritt in Richtung Steintafeln. Jetzt abonnieren!
Danke für das Gespräch!
Moment, ich habe auch noch eine Frage: t-online bezeichnet sich als größtes Internetportal. Wann wagt ihr den Schritt zu Print?
Wir verfolgen den Schritt des "Postillon" natürlich aufmerksam. Wenn die Konkurrenz nicht mitlesen würde, könnte ich auch etwas zur Arbeit einer Taskforce sagen, die unter dem Projektnamen "Fix per Fax" an einer Print-Zustellung mit sogenannter Telefaksimile-Technologie arbeitet.
- Gespräch mit Stefan Sichermann
- der-postillon.com: Der Postillon kommt als gedruckte Zeitung – aber nur, wenn DU mitmachst! (Update, 22.9.: Geschafft!)




